Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.Das 13. H. von dem Zorn des Menschen/ "Denn wer wolte sich über seinen Patienten/ den"er curiren soll/ erzürnen? Ja sprichst du: Die "bösen Leute lassen sich nicht mehr endern/ es ist "alle Hoffnung zur Besserung an ihnen verloh- "ren. Je nun/ so schaffe man solche böse und mit "ihrer Boßheit andere Menschen ansteckende "Leute aus der Welt/ und brauche dieses noch "übrige eintzige Mittel/ dadurch man machen "kan/ daß sie aufhören böse zu seyn. Aber ohne "Haß. Denn warum solte ich denjenigen has- "sen/ dem ich seinen grösten Nutzen schaffe/ in- "dem ich ihn von ihm selbst und seiner eigenen "Boßheit befreye. Denn hasset man seine Glie- "der wohl/ die man sich ablösen läst? Dieses ist "eine erbärmliche Cur/ kein Zorn. Tolle Hun- "de/ stößige Ochsen/ ansteckendes Vieh schlä- "get man todt/ und schaffet es fort. Dieses ist "kein Zorn/ sondern Vernunfft/ das Unnütze "von dem Guten und Gesunden scheiden. Ei- "ner der andere straffet/ muß nichts weniger "thun/ als sich erzürnen. Denn je mehr die "Straffe zur Besserung dienen soll/ je mehr muß "sie mit ruhigem Verstande ausgeübet werden: "Dannenhero sagte Socrates zu seinem Knechte: "Jch wolte dich prügeln/ wenn ich nicht zornig "wäre. Er hat die Bestraffung seines Knechts "bis auf eine vernünfftigere Zeit ausgesetzt/ zur "selben Zeit aber sich selbst bestrafft. Wer wolte "nun seines Zorns Meister seyn/ wenn Socrates "sich nicht getrauet/ in seinem Zorn was anzu- fan-
Das 13. H. von dem Zorn des Menſchen/ „Denn wer wolte ſich uͤber ſeinen Patienten/ den„er curiren ſoll/ erzuͤrnen? Ja ſprichſt du: Die „boͤſen Leute laſſen ſich nicht mehr endern/ es iſt „alle Hoffnung zur Beſſerung an ihnen verloh- „ren. Je nun/ ſo ſchaffe man ſolche boͤſe und mit „ihrer Boßheit andere Menſchen anſteckende „Leute aus der Welt/ und brauche dieſes noch „uͤbrige eintzige Mittel/ dadurch man machen „kan/ daß ſie aufhoͤren boͤſe zu ſeyn. Aber ohne „Haß. Denn warum ſolte ich denjenigen haſ- „ſen/ dem ich ſeinen groͤſten Nutzen ſchaffe/ in- „dem ich ihn von ihm ſelbſt und ſeiner eigenen „Boßheit befreye. Denn haſſet man ſeine Glie- „der wohl/ die man ſich abloͤſen laͤſt? Dieſes iſt „eine erbaͤrmliche Cur/ kein Zorn. Tolle Hun- „de/ ſtoͤßige Ochſen/ anſteckendes Vieh ſchlaͤ- „get man todt/ und ſchaffet es fort. Dieſes iſt „kein Zorn/ ſondern Vernunfft/ das Unnuͤtze „von dem Guten und Geſunden ſcheiden. Ei- „ner der andere ſtraffet/ muß nichts weniger „thun/ als ſich erzuͤrnen. Denn je mehr die „Straffe zur Beſſerung dienen ſoll/ je mehr muß „ſie mit ruhigem Verſtande ausgeuͤbet werden: „Dannenhero ſagte Socrates zu ſeinem Knechte: „Jch wolte dich pruͤgeln/ wenn ich nicht zornig „waͤre. Er hat die Beſtraffung ſeines Knechts „bis auf eine vernuͤnfftigere Zeit ausgeſetzt/ zur „ſelben Zeit aber ſich ſelbſt beſtrafft. Wer wolte „nun ſeines Zorns Meiſter ſeyn/ wenn Socrates „ſich nicht getrauet/ in ſeinem Zorn was anzu- fan-
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Das 13. H. von dem Zorn des Menſchen/
„Denn wer wolte ſich uͤber ſeinen Patienten/ den
„er curiren ſoll/ erzuͤrnen? Ja ſprichſt du: Die
„boͤſen Leute laſſen ſich nicht mehr endern/ es iſt
„alle Hoffnung zur Beſſerung an ihnen verloh-
„ren. Je nun/ ſo ſchaffe man ſolche boͤſe und mit
„ihrer Boßheit andere Menſchen anſteckende
„Leute aus der Welt/ und brauche dieſes noch
„uͤbrige eintzige Mittel/ dadurch man machen
„kan/ daß ſie aufhoͤren boͤſe zu ſeyn. Aber ohne
„Haß. Denn warum ſolte ich denjenigen haſ-
„ſen/ dem ich ſeinen groͤſten Nutzen ſchaffe/ in-
„dem ich ihn von ihm ſelbſt und ſeiner eigenen
„Boßheit befreye. Denn haſſet man ſeine Glie-
„der wohl/ die man ſich abloͤſen laͤſt? Dieſes iſt
„eine erbaͤrmliche Cur/ kein Zorn. Tolle Hun-
„de/ ſtoͤßige Ochſen/ anſteckendes Vieh ſchlaͤ-
„get man todt/ und ſchaffet es fort. Dieſes iſt
„kein Zorn/ ſondern Vernunfft/ das Unnuͤtze
„von dem Guten und Geſunden ſcheiden. Ei-
„ner der andere ſtraffet/ muß nichts weniger
„thun/ als ſich erzuͤrnen. Denn je mehr die
„Straffe zur Beſſerung dienen ſoll/ je mehr muß
„ſie mit ruhigem Verſtande ausgeuͤbet werden:
„Dannenhero ſagte Socrates zu ſeinem Knechte:
„Jch wolte dich pruͤgeln/ wenn ich nicht zornig
„waͤre. Er hat die Beſtraffung ſeines Knechts
„bis auf eine vernuͤnfftigere Zeit ausgeſetzt/ zur
„ſelben Zeit aber ſich ſelbſt beſtrafft. Wer wolte
„nun ſeines Zorns Meiſter ſeyn/ wenn Socrates
„ſich nicht getrauet/ in ſeinem Zorn was anzu-
fan-
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/450>, abgerufen am 17.06.2024. |