Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691].

Bild:
<< vorherige Seite

andern die Warheit beyzubringen.
wer denselben von denen Jrrthümern reinigen
will/ muß es nicht anders machen/ als ein
Medicus mit seinem Patienten. Dieser er-
zürnet sich nicht über ihn/ wenn die gegebe-
nen und gebrauchten Artzneyen nicht anschla-
gen wollen/ und er nicht gesund wird. Er
schilt ihn nicht/ wenn seine delicate Gewon-
heit ihm einen Eckel für der Artzney macht;
sondern er giebt ihm freundliche und gute
Worte/ damit er eine Liebe und Vertrauen
gegen sich bey denen Patienten erwecke. Wie
vielmehr erfordert dannenhero die cur des
Verstandes eine dergleichen Freundligkeit/
weil die Zärtligkeiten eines Patienten, und die
Kranckheit die er am Halse hat/ zum öfftern
mehr von seiner eigenen Willkühr ihren Ur-
sprung genommen/ als die Unwissenheit oder
der Jrthumb anderer Menschen.

49. Derowegen fliesset hieraus nothwendig/
daß wir diejenigen/ die man unterweisen will/
nicht verfolgen/ oder ihnen unsere Meinun-
gen mit Gewalt auffdringen müsse.

50. Ja es folget ebenfalls hieraus/ daß es
sehr ungeschickt sey/ wenn man diejenigen/ die
man eines Jrrthumbs beschuldiget/ nicht un-
ter sich leiden
will/ und will doch von ihnen

prae-

andern die Warheit beyzubringen.
wer denſelben von denen Jrrthuͤmern reinigen
will/ muß es nicht anders machen/ als ein
Medicus mit ſeinem Patienten. Dieſer er-
zuͤrnet ſich nicht uͤber ihn/ wenn die gegebe-
nen und gebrauchten Artzneyen nicht anſchla-
gen wollen/ und er nicht geſund wird. Er
ſchilt ihn nicht/ wenn ſeine delicate Gewon-
heit ihm einen Eckel fuͤr der Artzney macht;
ſondern er giebt ihm freundliche und gute
Worte/ damit er eine Liebe und Vertrauen
gegen ſich bey denen Patienten erwecke. Wie
vielmehr erfordert dannenhero die cur des
Verſtandes eine dergleichen Freundligkeit/
weil die Zaͤrtligkeiten eines Patienten, und die
Kranckheit die er am Halſe hat/ zum oͤfftern
mehr von ſeiner eigenen Willkuͤhr ihren Ur-
ſprung genommen/ als die Unwiſſenheit oder
der Jrthumb anderer Menſchen.

49. Derowegen flieſſet hieraus nothwendig/
daß wir diejenigen/ die man unterweiſen will/
nicht verfolgen/ oder ihnen unſere Meinun-
gen mit Gewalt auffdringen muͤſſe.

50. Ja es folget ebenfalls hieraus/ daß es
ſehr ungeſchickt ſey/ wenn man diejenigen/ die
man eines Jrrthumbs beſchuldiget/ nicht un-
ter ſich leiden
will/ und will doch von ihnen

præ-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0121" n="95"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">andern die Warheit beyzubringen.</hi></fw><lb/>
wer den&#x017F;elben von denen Jrrthu&#x0364;mern reinigen<lb/>
will/ muß es nicht anders machen/ als ein<lb/><hi rendition="#aq">Medicus</hi> mit &#x017F;einem <hi rendition="#aq">Patienten.</hi> Die&#x017F;er er-<lb/>
zu&#x0364;rnet &#x017F;ich nicht u&#x0364;ber ihn/ wenn die gegebe-<lb/>
nen und gebrauchten Artzneyen nicht an&#x017F;chla-<lb/>
gen wollen/ und er nicht ge&#x017F;und wird. Er<lb/>
&#x017F;chilt ihn nicht/ wenn &#x017F;eine <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">delicate</hi></hi> Gewon-<lb/>
heit ihm einen Eckel fu&#x0364;r der Artzney macht;<lb/>
&#x017F;ondern er giebt ihm freundliche und gute<lb/>
Worte/ damit er eine Liebe und Vertrauen<lb/>
gegen &#x017F;ich bey denen <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Patienten</hi></hi> erwecke. Wie<lb/>
vielmehr erfordert dannenhero die <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">cur</hi></hi> des<lb/>
Ver&#x017F;tandes eine dergleichen Freundligkeit/<lb/>
weil die Za&#x0364;rtligkeiten eines <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Patienten</hi>,</hi> und die<lb/>
Kranckheit die er am Hal&#x017F;e hat/ zum o&#x0364;fftern<lb/>
mehr von &#x017F;einer eigenen Willku&#x0364;hr ihren Ur-<lb/>
&#x017F;prung genommen/ als die Unwi&#x017F;&#x017F;enheit oder<lb/>
der <choice><sic>Jrthnmb</sic><corr>Jrthumb</corr></choice> anderer Men&#x017F;chen.</p><lb/>
        <p>49. Derowegen flie&#x017F;&#x017F;et hieraus nothwendig/<lb/>
daß wir diejenigen/ die man unterwei&#x017F;en will/<lb/>
nicht <hi rendition="#fr">verfolgen/</hi> oder ihnen un&#x017F;ere Meinun-<lb/>
gen mit <hi rendition="#fr">Gewalt</hi> auffdringen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
        <p>50. Ja es folget ebenfalls hieraus/ daß es<lb/>
&#x017F;ehr unge&#x017F;chickt &#x017F;ey/ wenn man diejenigen/ die<lb/>
man eines Jrrthumbs be&#x017F;chuldiget/ nicht <hi rendition="#fr">un-<lb/>
ter &#x017F;ich leiden</hi> will/ und will doch von ihnen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">præ-</hi></hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0121] andern die Warheit beyzubringen. wer denſelben von denen Jrrthuͤmern reinigen will/ muß es nicht anders machen/ als ein Medicus mit ſeinem Patienten. Dieſer er- zuͤrnet ſich nicht uͤber ihn/ wenn die gegebe- nen und gebrauchten Artzneyen nicht anſchla- gen wollen/ und er nicht geſund wird. Er ſchilt ihn nicht/ wenn ſeine delicate Gewon- heit ihm einen Eckel fuͤr der Artzney macht; ſondern er giebt ihm freundliche und gute Worte/ damit er eine Liebe und Vertrauen gegen ſich bey denen Patienten erwecke. Wie vielmehr erfordert dannenhero die cur des Verſtandes eine dergleichen Freundligkeit/ weil die Zaͤrtligkeiten eines Patienten, und die Kranckheit die er am Halſe hat/ zum oͤfftern mehr von ſeiner eigenen Willkuͤhr ihren Ur- ſprung genommen/ als die Unwiſſenheit oder der Jrthumb anderer Menſchen. 49. Derowegen flieſſet hieraus nothwendig/ daß wir diejenigen/ die man unterweiſen will/ nicht verfolgen/ oder ihnen unſere Meinun- gen mit Gewalt auffdringen muͤſſe. 50. Ja es folget ebenfalls hieraus/ daß es ſehr ungeſchickt ſey/ wenn man diejenigen/ die man eines Jrrthumbs beſchuldiget/ nicht un- ter ſich leiden will/ und will doch von ihnen præ-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691/121
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691], S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691/121>, abgerufen am 21.11.2024.