Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691].

Bild:
<< vorherige Seite

Das 2. H. von der Geschickligkeit
man denen jungen Leuten Lust zum studie-
ren
und attention erweckte/ so wäre sie nur
deßhalben unschätzbar. Es ist aber gantz of-
fenbahr/ daß ein junger Mensch ein verteuf-
felt Gemüth haben müsse/ wenn man ein halbes
oder auffs längste ein gantzes Jahr alle Tage
nur eine Stunde auff diese Art mit ihm raiso-
nir
et/ daß er nicht solte anfangen attent zu wer-
den/ und Lust zu dem studieren zu kriegen/ wenn
er siehet/ daß die Warheit so leichte sey/ und daß
er dieselbe selbst bey sich habe/ und vermögend
sey/ neue und zuvor unerkandte Warheiten zu
erfinden/ und wenn er binnen der Zeit/ so viel
allgemeine Jrrthümer und deren Schädlig-
keit hat zu begreiffen angefangen.

121. Fragstu/ wie kommts denn/ daß bey-
nahe kein Mensch sich derselben bedienet?

Wundere dich nicht/ diese methode ist des prae-
judicii autoritatis
ihr geschworner Feind. An
diesem praejudicio ist vielen Lehrern das meiste
gelegen. Hierzu kömmt noch der Neid und Un-
wissenheit
der Lehrer. Aus diesen Ursachen
hat das silentium Pythagoricum seinen Ur-
sprung genommen/ und man pfleget wohl zu
Beschönigung dieses Unwesens anzuführen:
Ein Narre könne mehr fragen/ als ze-

hen

Das 2. H. von der Geſchickligkeit
man denen jungen Leuten Luſt zum ſtudie-
ren
und attention erweckte/ ſo waͤre ſie nur
deßhalben unſchaͤtzbar. Es iſt aber gantz of-
fenbahr/ daß ein junger Menſch ein verteuf-
felt Gemuͤth haben muͤſſe/ weñ man ein halbes
oder auffs laͤngſte ein gantzes Jahr alle Tage
nur eine Stunde auff dieſe Art mit ihm raiſo-
nir
et/ daß er nicht ſolte anfangen attent zu wer-
den/ und Luſt zu dem ſtudieren zu kriegen/ weñ
er ſiehet/ daß die Warheit ſo leichte ſey/ und daß
er dieſelbe ſelbſt bey ſich habe/ und vermoͤgend
ſey/ neue und zuvor unerkandte Warheiten zu
erfinden/ und wenn er binnen der Zeit/ ſo viel
allgemeine Jrrthuͤmer und deren Schaͤdlig-
keit hat zu begreiffen angefangen.

121. Fragſtu/ wie kommts denn/ daß bey-
nahe kein Menſch ſich derſelben bedienet?

Wundere dich nicht/ dieſe methode iſt des præ-
judicii autoritatis
ihr geſchworner Feind. An
dieſem præjudicio iſt vielen Lehrern das meiſte
gelegen. Hierzu koͤm̃t noch der Neid und Un-
wiſſenheit
der Lehrer. Aus dieſen Urſachen
hat das ſilentium Pythagoricum ſeinen Ur-
ſprung genommen/ und man pfleget wohl zu
Beſchoͤnigung dieſes Unweſens anzufuͤhren:
Ein Narre koͤnne mehr fragen/ als ze-

hen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0158" n="132"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das 2. H. von der Ge&#x017F;chickligkeit</hi></fw><lb/>
man denen jungen Leuten <hi rendition="#fr">Lu&#x017F;t zum</hi> <hi rendition="#aq">&#x017F;tudie-<lb/>
ren</hi> <hi rendition="#fr">und</hi> <hi rendition="#aq">attention</hi> <hi rendition="#fr">erweckte/</hi> &#x017F;o wa&#x0364;re &#x017F;ie nur<lb/>
deßhalben un&#x017F;cha&#x0364;tzbar. Es i&#x017F;t aber gantz of-<lb/>
fenbahr/ daß ein junger Men&#x017F;ch ein verteuf-<lb/>
felt Gemu&#x0364;th haben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e/ wen&#x0303; man ein halbes<lb/>
oder auffs la&#x0364;ng&#x017F;te ein gantzes Jahr alle Tage<lb/>
nur eine Stunde auff die&#x017F;e Art mit ihm <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">rai&#x017F;o-<lb/>
nir</hi></hi>et/ daß er nicht &#x017F;olte anfangen <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">attent</hi></hi> zu wer-<lb/>
den/ und Lu&#x017F;t zu dem <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">&#x017F;tudieren</hi></hi> zu kriegen/ wen&#x0303;<lb/>
er &#x017F;iehet/ daß die Warheit &#x017F;o leichte &#x017F;ey/ und daß<lb/>
er die&#x017F;elbe &#x017F;elb&#x017F;t bey &#x017F;ich habe/ und vermo&#x0364;gend<lb/>
&#x017F;ey/ neue und zuvor unerkandte Warheiten zu<lb/>
erfinden/ und wenn er binnen der Zeit/ &#x017F;o viel<lb/>
allgemeine Jrrthu&#x0364;mer und deren Scha&#x0364;dlig-<lb/>
keit hat zu begreiffen angefangen.</p><lb/>
        <p>121. Frag&#x017F;tu/ wie kommts denn/ daß <hi rendition="#fr">bey-<lb/>
nahe kein Men&#x017F;ch &#x017F;ich der&#x017F;elben bedienet?</hi><lb/>
Wundere dich nicht/ die&#x017F;e <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">methode</hi></hi> i&#x017F;t des <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">præ-<lb/>
judicii autoritatis</hi></hi> ihr ge&#x017F;chworner Feind. An<lb/>
die&#x017F;em <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">præjudicio</hi></hi> i&#x017F;t vielen Lehrern das mei&#x017F;te<lb/>
gelegen. Hierzu ko&#x0364;m&#x0303;t noch der <hi rendition="#fr">Neid</hi> und <hi rendition="#fr">Un-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;enheit</hi> der Lehrer. Aus die&#x017F;en Ur&#x017F;achen<lb/>
hat das <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">&#x017F;ilentium Pythagoricum</hi></hi> &#x017F;einen Ur-<lb/>
&#x017F;prung genommen/ und man pfleget wohl zu<lb/>
Be&#x017F;cho&#x0364;nigung die&#x017F;es Unwe&#x017F;ens anzufu&#x0364;hren:<lb/><hi rendition="#fr">Ein Narre ko&#x0364;nne mehr fragen/ als ze-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">hen</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0158] Das 2. H. von der Geſchickligkeit man denen jungen Leuten Luſt zum ſtudie- ren und attention erweckte/ ſo waͤre ſie nur deßhalben unſchaͤtzbar. Es iſt aber gantz of- fenbahr/ daß ein junger Menſch ein verteuf- felt Gemuͤth haben muͤſſe/ weñ man ein halbes oder auffs laͤngſte ein gantzes Jahr alle Tage nur eine Stunde auff dieſe Art mit ihm raiſo- niret/ daß er nicht ſolte anfangen attent zu wer- den/ und Luſt zu dem ſtudieren zu kriegen/ weñ er ſiehet/ daß die Warheit ſo leichte ſey/ und daß er dieſelbe ſelbſt bey ſich habe/ und vermoͤgend ſey/ neue und zuvor unerkandte Warheiten zu erfinden/ und wenn er binnen der Zeit/ ſo viel allgemeine Jrrthuͤmer und deren Schaͤdlig- keit hat zu begreiffen angefangen. 121. Fragſtu/ wie kommts denn/ daß bey- nahe kein Menſch ſich derſelben bedienet? Wundere dich nicht/ dieſe methode iſt des præ- judicii autoritatis ihr geſchworner Feind. An dieſem præjudicio iſt vielen Lehrern das meiſte gelegen. Hierzu koͤm̃t noch der Neid und Un- wiſſenheit der Lehrer. Aus dieſen Urſachen hat das ſilentium Pythagoricum ſeinen Ur- ſprung genommen/ und man pfleget wohl zu Beſchoͤnigung dieſes Unweſens anzufuͤhren: Ein Narre koͤnne mehr fragen/ als ze- hen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691/158
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691], S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691/158>, abgerufen am 21.05.2024.