Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691].

Bild:
<< vorherige Seite

Das 5. H. Von der Geschickligkeit
Jrrender durch diese Art auch die Nichtigkeit
seiner Meynung erkennen.

45. Viele unter denen Gelehrten halten auf
den ersten Weg mehr als auff den andern/
und geben vor/ daß man damit einen Jrrenden
viel schärffer binden könne. Jedoch ist wohl
offenbahr/ daß der erste Weg zwar für die
Widerlegenden leichter
als der andere sey/
aber bey weiten in Ansehen des Jrrenden
nicht so viel Frucht schaffen könne
als der an-
dere.

46. Leichter ist der erste/ weil nur eine
Wahrheit ist/ auch die Conclusiones mit denen
Grund-Wahrheiten nur auff eine Weise ver-
knüpfft werden/ da im Gegentheil eine Wahr-
heit tausend falsche Meynungen entgegen ge-
setzt haben kan; und wenn man einmahl von
der Wahrheit abgewichen/ man hernach gemei-
niglich mehr und gröbere Fehler zu begehen pfle-
get. Nun ist allezeit leichter das vielfältige eher
anzumercken als das einzige: Und man kan
zum Exempel eher von einer krummen als ge-
raden Linie/ von einem heßlichen als schönen
Frauen-Zimmer urtheilen; und in Summa
eher etwas tadeln als besser machen. Und die-
ses ist wohl die wahre Ursache/ worumb man

die-

Das 5. H. Von der Geſchickligkeit
Jrrender durch dieſe Art auch die Nichtigkeit
ſeiner Meynung erkennen.

45. Viele unter denen Gelehrten halten auf
den erſten Weg mehr als auff den andern/
und geben vor/ daß man damit einen Jrrenden
viel ſchaͤrffer binden koͤnne. Jedoch iſt wohl
offenbahr/ daß der erſte Weg zwar fuͤr die
Widerlegenden leichter
als der andere ſey/
aber bey weiten in Anſehen des Jrrenden
nicht ſo viel Frucht ſchaffen koͤnne
als der an-
dere.

46. Leichter iſt der erſte/ weil nur eine
Wahrheit iſt/ auch die Concluſiones mit denen
Grund-Wahrheiten nur auff eine Weiſe ver-
knuͤpfft werden/ da im Gegentheil eine Wahr-
heit tauſend falſche Meynungen entgegen ge-
ſetzt haben kan; und wenn man einmahl von
der Wahrheit abgewichen/ man hernach gemei-
niglich mehr und groͤbere Fehler zu begehen pfle-
get. Nun iſt allezeit leichter das vielfaͤltige eher
anzumercken als das einzige: Und man kan
zum Exempel eher von einer krummen als ge-
raden Linie/ von einem heßlichen als ſchoͤnen
Frauen-Zimmer urtheilen; und in Summa
eher etwas tadeln als beſſer machen. Und die-
ſes iſt wohl die wahre Urſache/ worumb man

die-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0314" n="288"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das 5. H. Von der Ge&#x017F;chickligkeit</hi></fw><lb/>
Jrrender durch die&#x017F;e Art auch die Nichtigkeit<lb/>
&#x017F;einer Meynung erkennen.</p><lb/>
        <p>45. Viele unter denen Gelehrten halten auf<lb/>
den <hi rendition="#fr">er&#x017F;ten Weg</hi> mehr als auff <hi rendition="#fr">den andern/</hi><lb/>
und geben vor/ daß man damit einen Jrrenden<lb/>
viel &#x017F;cha&#x0364;rffer binden ko&#x0364;nne. Jedoch i&#x017F;t wohl<lb/>
offenbahr/ daß der <hi rendition="#fr">er&#x017F;te Weg</hi> zwar <hi rendition="#fr">fu&#x0364;r die<lb/>
Widerlegenden leichter</hi> als der andere &#x017F;ey/<lb/>
aber bey weiten in An&#x017F;ehen <hi rendition="#fr">des Jrrenden<lb/>
nicht &#x017F;o viel Frucht &#x017F;chaffen ko&#x0364;nne</hi> als der an-<lb/>
dere.</p><lb/>
        <p>46. <hi rendition="#fr">Leichter i&#x017F;t der er&#x017F;te/</hi> weil nur eine<lb/>
Wahrheit i&#x017F;t/ auch die <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Conclu&#x017F;iones</hi></hi> mit denen<lb/>
Grund-Wahrheiten nur auff eine Wei&#x017F;e ver-<lb/>
knu&#x0364;pfft werden/ da im Gegentheil eine Wahr-<lb/>
heit tau&#x017F;end fal&#x017F;che Meynungen entgegen ge-<lb/>
&#x017F;etzt haben kan; und wenn man einmahl von<lb/>
der Wahrheit abgewichen/ man hernach gemei-<lb/>
niglich mehr und gro&#x0364;bere Fehler zu begehen pfle-<lb/>
get. Nun i&#x017F;t allezeit leichter das vielfa&#x0364;ltige eher<lb/>
anzumercken als das einzige: Und man kan<lb/>
zum Exempel eher von einer krummen als ge-<lb/>
raden Linie/ von einem heßlichen als &#x017F;cho&#x0364;nen<lb/>
Frauen-Zimmer urtheilen; und in <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Summa</hi></hi><lb/>
eher etwas tadeln als be&#x017F;&#x017F;er machen. Und die-<lb/>
&#x017F;es i&#x017F;t wohl die wahre Ur&#x017F;ache/ worumb man<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">die-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[288/0314] Das 5. H. Von der Geſchickligkeit Jrrender durch dieſe Art auch die Nichtigkeit ſeiner Meynung erkennen. 45. Viele unter denen Gelehrten halten auf den erſten Weg mehr als auff den andern/ und geben vor/ daß man damit einen Jrrenden viel ſchaͤrffer binden koͤnne. Jedoch iſt wohl offenbahr/ daß der erſte Weg zwar fuͤr die Widerlegenden leichter als der andere ſey/ aber bey weiten in Anſehen des Jrrenden nicht ſo viel Frucht ſchaffen koͤnne als der an- dere. 46. Leichter iſt der erſte/ weil nur eine Wahrheit iſt/ auch die Concluſiones mit denen Grund-Wahrheiten nur auff eine Weiſe ver- knuͤpfft werden/ da im Gegentheil eine Wahr- heit tauſend falſche Meynungen entgegen ge- ſetzt haben kan; und wenn man einmahl von der Wahrheit abgewichen/ man hernach gemei- niglich mehr und groͤbere Fehler zu begehen pfle- get. Nun iſt allezeit leichter das vielfaͤltige eher anzumercken als das einzige: Und man kan zum Exempel eher von einer krummen als ge- raden Linie/ von einem heßlichen als ſchoͤnen Frauen-Zimmer urtheilen; und in Summa eher etwas tadeln als beſſer machen. Und die- ſes iſt wohl die wahre Urſache/ worumb man die-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691/314
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691], S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691/314>, abgerufen am 21.11.2024.