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Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691].

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anderer Jrrthümer zu widerlegen.
liche Dinge betrifft. Denn die Wahrschein-
ligkeit und Unwahrscheinligkeit hat ihre gewis-
se grade, derer unzehlig sind/ und die der mensch-
liche Verstand nicht so genau begreiffen und
entscheiden kan/ auch folglich dem menschlichen
Geschlecht nicht viel daran gelegen ist/ ob man
in diesen Fällen dieser oder jener Meinung zu-
gethan; als wie man im gemeinen Leben und
Wandel nicht achtet/ ob ein Ducaten ein 16.
Theil von einem Eßgen schwerer sey als der
andere/ oder ob zwey Wege die an einen Ort
gehen/ einer etliche wenige Schritte weiter sey
als der andere; Oder ob zwey einander sehr
gleiche couleuren gleich einen Unterschied haben/
darzu man aber das allerscharffsinnigste Ge-
sichte haben muß/ selbigen zu penetriren. De-
rowegen/ so wenig als in diesen Fällen alle
Menschen entscheiden können/ was eigentlich
als wahrscheinlich durchgehends für wahr ge-
halten werden müsse; so wenig kan man auch
entscheiden/ was eigentlich durchgehends als
unwahrscheinlich für falsch gehalten werden
müsse/ und folglich kan man in diesen Fällen
keine von zwey wiedersprechenden Meinungen
für einen Jrrthum halten/ vielweniger densel-
selben befechten; sondern gescheide Leute sagen

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anderer Jrrthuͤmer zu widerlegen.
liche Dinge betrifft. Denn die Wahrſchein-
ligkeit und Unwahrſcheinligkeit hat ihre gewiſ-
ſe grade, derer unzehlig ſind/ und die der menſch-
liche Verſtand nicht ſo genau begreiffen und
entſcheiden kan/ auch folglich dem menſchlichen
Geſchlecht nicht viel daran gelegen iſt/ ob man
in dieſen Faͤllen dieſer oder jener Meinung zu-
gethan; als wie man im gemeinen Leben und
Wandel nicht achtet/ ob ein Ducaten ein 16.
Theil von einem Eßgen ſchwerer ſey als der
andere/ oder ob zwey Wege die an einen Ort
gehen/ einer etliche wenige Schritte weiter ſey
als der andere; Oder ob zwey einander ſehr
gleiche couleuren gleich einen Unterſchied haben/
darzu man aber das allerſcharffſinnigſte Ge-
ſichte haben muß/ ſelbigen zu penetriren. De-
rowegen/ ſo wenig als in dieſen Faͤllen alle
Menſchen entſcheiden koͤnnen/ was eigentlich
als wahrſcheinlich durchgehends fuͤr wahr ge-
halten werden muͤſſe; ſo wenig kan man auch
entſcheiden/ was eigentlich durchgehends als
unwahrſcheinlich fuͤr falſch gehalten werden
muͤſſe/ und folglich kan man in dieſen Faͤllen
keine von zwey wiederſprechenden Meinungen
fuͤr einen Jrrthum halten/ vielweniger denſel-
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[293/0319] anderer Jrrthuͤmer zu widerlegen. liche Dinge betrifft. Denn die Wahrſchein- ligkeit und Unwahrſcheinligkeit hat ihre gewiſ- ſe grade, derer unzehlig ſind/ und die der menſch- liche Verſtand nicht ſo genau begreiffen und entſcheiden kan/ auch folglich dem menſchlichen Geſchlecht nicht viel daran gelegen iſt/ ob man in dieſen Faͤllen dieſer oder jener Meinung zu- gethan; als wie man im gemeinen Leben und Wandel nicht achtet/ ob ein Ducaten ein 16. Theil von einem Eßgen ſchwerer ſey als der andere/ oder ob zwey Wege die an einen Ort gehen/ einer etliche wenige Schritte weiter ſey als der andere; Oder ob zwey einander ſehr gleiche couleuren gleich einen Unterſchied haben/ darzu man aber das allerſcharffſinnigſte Ge- ſichte haben muß/ ſelbigen zu penetriren. De- rowegen/ ſo wenig als in dieſen Faͤllen alle Menſchen entſcheiden koͤnnen/ was eigentlich als wahrſcheinlich durchgehends fuͤr wahr ge- halten werden muͤſſe; ſo wenig kan man auch entſcheiden/ was eigentlich durchgehends als unwahrſcheinlich fuͤr falſch gehalten werden muͤſſe/ und folglich kan man in dieſen Faͤllen keine von zwey wiederſprechenden Meinungen fuͤr einen Jrrthum halten/ vielweniger denſel- ſelben befechten; ſondern geſcheide Leute ſagen ein- T 3

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Außübung Der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), [1691], S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungvernunfftlehre_1691/319>, abgerufen am 21.11.2024.