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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Liebe anderer Menschen überhaupt.
be lasterhaffter/ aber dabey wohlgestalter Per-
sonen für vernünfftig ausgeben.

43.

Und hierzu darff man eben keine allzu-
grosse Weißheit/ zubegreiffen/ daß die Reitzung
eines schönen Angesichts oder eines schönen
Auges/
die alsobald auff die Leibes Vermi-
schung dencket/ mehr viehisch als menschlich
seyn. Denn der muß gewiß noch wenig von
vernünfftiger Liebe wissen/ der den Unterscheid
zwischen den tadelnswürdigen Feuer eines
brennenden Auges/ und denen untadelhafften
Strahlen eines sehnenden Auges/ das auff die
Vereinigung der Seelen hauptsächlich zielet/
nicht zu machen weiß/ und nur die Brunst die
jenes erwecket/ niemahlen aber die keusche
Flamme
dieses letzteren gespüret hat.

44.

Jch gebe wohl zu/ daß ein durchdrin-
gend brennendes Auge das wächserne Hertze
eines neuangehenden Tugend-Schülers
leichte zuschmeltzen werde; aber diese guten Leu-
te müssen das durch die Weißheit und Tugend
ausgehärtete Hertz eines rechtschaffenen
Philosophi nicht nach dem ihrigen rechnen.
Das Gespräch des Socrates mit der Theodotae
bey dem Xenophon wird ihnen zeugen/ daß alle
Pfeile eines in die Thorheit verliebten Weibes-
Bildes an dem Hertzen eines weisen Mannes
zurücke prallen müssen.

45.

Endlich so müssen wir auch den Trieb
der zwischen beyderley Geschlecht ist/ Kinder mit

einan-
M

Liebe anderer Menſchen uͤberhaupt.
be laſterhaffter/ aber dabey wohlgeſtalter Per-
ſonen fuͤr vernuͤnfftig ausgeben.

43.

Und hierzu darff man eben keine allzu-
groſſe Weißheit/ zubegreiffen/ daß die Reitzung
eines ſchoͤnen Angeſichts oder eines ſchoͤnen
Auges/
die alſobald auff die Leibes Vermi-
ſchung dencket/ mehr viehiſch als menſchlich
ſeyn. Denn der muß gewiß noch wenig von
vernuͤnfftiger Liebe wiſſen/ der den Unterſcheid
zwiſchen den tadelnswuͤrdigen Feuer eines
brennenden Auges/ und denen untadelhafften
Strahlen eines ſehnenden Auges/ das auff die
Vereinigung der Seelen hauptſaͤchlich zielet/
nicht zu machen weiß/ und nur die Brunſt die
jenes erwecket/ niemahlen aber die keuſche
Flamme
dieſes letzteren geſpuͤret hat.

44.

Jch gebe wohl zu/ daß ein durchdrin-
gend brennendes Auge das waͤchſerne Hertze
eines neuangehenden Tugend-Schuͤlers
leichte zuſchmeltzen werde; aber dieſe guten Leu-
te muͤſſen das durch die Weißheit und Tugend
ausgehaͤrtete Hertz eines rechtſchaffenen
Philoſophi nicht nach dem ihrigen rechnen.
Das Geſpraͤch des Socrates mit der Theodotæ
bey dem Xenophon wird ihnen zeugen/ daß alle
Pfeile eines in die Thorheit verliebten Weibes-
Bildes an dem Hertzen eines weiſen Mannes
zuruͤcke prallen muͤſſen.

45.

Endlich ſo muͤſſen wir auch den Trieb
der zwiſchen beyderley Geſchlecht iſt/ Kinder mit

einan-
M
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[177/0209] Liebe anderer Menſchen uͤberhaupt. be laſterhaffter/ aber dabey wohlgeſtalter Per- ſonen fuͤr vernuͤnfftig ausgeben. 43. Und hierzu darff man eben keine allzu- groſſe Weißheit/ zubegreiffen/ daß die Reitzung eines ſchoͤnen Angeſichts oder eines ſchoͤnen Auges/ die alſobald auff die Leibes Vermi- ſchung dencket/ mehr viehiſch als menſchlich ſeyn. Denn der muß gewiß noch wenig von vernuͤnfftiger Liebe wiſſen/ der den Unterſcheid zwiſchen den tadelnswuͤrdigen Feuer eines brennenden Auges/ und denen untadelhafften Strahlen eines ſehnenden Auges/ das auff die Vereinigung der Seelen hauptſaͤchlich zielet/ nicht zu machen weiß/ und nur die Brunſt die jenes erwecket/ niemahlen aber die keuſche Flamme dieſes letzteren geſpuͤret hat. 44. Jch gebe wohl zu/ daß ein durchdrin- gend brennendes Auge das waͤchſerne Hertze eines neuangehenden Tugend-Schuͤlers leichte zuſchmeltzen werde; aber dieſe guten Leu- te muͤſſen das durch die Weißheit und Tugend ausgehaͤrtete Hertz eines rechtſchaffenen Philoſophi nicht nach dem ihrigen rechnen. Das Geſpraͤch des Socrates mit der Theodotæ bey dem Xenophon wird ihnen zeugen/ daß alle Pfeile eines in die Thorheit verliebten Weibes- Bildes an dem Hertzen eines weiſen Mannes zuruͤcke prallen muͤſſen. 45. Endlich ſo muͤſſen wir auch den Trieb der zwiſchen beyderley Geſchlecht iſt/ Kinder mit einan- M

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/209>, abgerufen am 22.11.2024.