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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Liebe aller Menschen.
einen solchen Menschen Friede zu machen schicke.
Aber es scheinet nur so.

97.

Ein Furchtsamer ist mehr grausam/ wenn
man ihm Unrecht oder Gewalt gethan/
und
hernach eine grössere Furcht blicken läst/ oder er
seine Gelegenheit sich zu rächen findet/ als wenn
man eine Beleydigung von ihm verträget/

und ihn in seiner Furcht die er hatte/ daß man sich
wider ihm rächen würde/ ein wenig verzappeln
läst: Ja es kan eben diese gehabte Furcht an-
treiben/ daß er uns die unterlassene Rache als eine
Gutthat ausleget und lieb gewinnet.

98.

Hiernechst mustu einen Unterscheid unter
der Furcht und Gedult machen. Wer aus
Furcht gedultig ist/ ist nicht gedultig/ weil er sich
gerne rächen wolte/ wenn er nur sicher könte.
Ein Gedultiger aber weiset auch mitten in seiner
Gedult/ daß er großmächtig sey/ und daß er sich
nicht rächen wolle ob er schon könne. Bey die-
ser Bewandniß aber kandie Gedult einen Furcht-
samen nicht irritiren/ wider zu kommen/ weil der
Gedultige sich nicht furehtsam erweiset/ auch die
bey der Gedult bezeigte Großmüthigkeit ihn ge-
nugsam lehret/ daß es so sicher nicht sey/ wenn er
in seiner Beleydigung ferner fortfahren wolte.

99.

Denn du must auch drittens einen Unter-
schied unter den vergangenen und zukünffti-
gen Beleydigungen
machen. Wir handeln
jetzo von der Gedult der vergangenen. Ein an-
ders ist es/ wenn man fraget/ ob ich auch schul-

dig
Q 2

Liebe aller Menſchen.
einen ſolchen Menſchen Friede zu machen ſchicke.
Aber es ſcheinet nur ſo.

97.

Ein Furchtſamer iſt mehr grauſam/ wenn
man ihm Unrecht oder Gewalt gethan/
und
hernach eine groͤſſere Furcht blicken laͤſt/ oder er
ſeine Gelegenheit ſich zu raͤchen findet/ als wenn
man eine Beleydigung von ihm vertraͤget/

und ihn in ſeiner Furcht die er hatte/ daß man ſich
wider ihm raͤchen wuͤrde/ ein wenig verzappeln
laͤſt: Ja es kan eben dieſe gehabte Furcht an-
treiben/ daß er uns die unterlaſſene Rache als eine
Gutthat ausleget und lieb gewinnet.

98.

Hiernechſt muſtu einen Unterſcheid unter
der Furcht und Gedult machen. Wer aus
Furcht gedultig iſt/ iſt nicht gedultig/ weil er ſich
gerne raͤchen wolte/ wenn er nur ſicher koͤnte.
Ein Gedultiger aber weiſet auch mitten in ſeiner
Gedult/ daß er großmaͤchtig ſey/ und daß er ſich
nicht raͤchen wolle ob er ſchon koͤnne. Bey die-
ſer Bewandniß aber kandie Gedult einen Furcht-
ſamen nicht irritiren/ wider zu kommen/ weil der
Gedultige ſich nicht furehtſam erweiſet/ auch die
bey der Gedult bezeigte Großmuͤthigkeit ihn ge-
nugſam lehret/ daß es ſo ſicher nicht ſey/ wenn er
in ſeiner Beleydigung ferner fortfahren wolte.

99.

Denn du muſt auch drittens einen Unter-
ſchied unter den vergangenen und zukuͤnffti-
gen Beleydigungen
machen. Wir handeln
jetzo von der Gedult der vergangenen. Ein an-
ders iſt es/ wenn man fraget/ ob ich auch ſchul-

dig
Q 2
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[247[243]/0275] Liebe aller Menſchen. einen ſolchen Menſchen Friede zu machen ſchicke. Aber es ſcheinet nur ſo. 97. Ein Furchtſamer iſt mehr grauſam/ wenn man ihm Unrecht oder Gewalt gethan/ und hernach eine groͤſſere Furcht blicken laͤſt/ oder er ſeine Gelegenheit ſich zu raͤchen findet/ als wenn man eine Beleydigung von ihm vertraͤget/ und ihn in ſeiner Furcht die er hatte/ daß man ſich wider ihm raͤchen wuͤrde/ ein wenig verzappeln laͤſt: Ja es kan eben dieſe gehabte Furcht an- treiben/ daß er uns die unterlaſſene Rache als eine Gutthat ausleget und lieb gewinnet. 98. Hiernechſt muſtu einen Unterſcheid unter der Furcht und Gedult machen. Wer aus Furcht gedultig iſt/ iſt nicht gedultig/ weil er ſich gerne raͤchen wolte/ wenn er nur ſicher koͤnte. Ein Gedultiger aber weiſet auch mitten in ſeiner Gedult/ daß er großmaͤchtig ſey/ und daß er ſich nicht raͤchen wolle ob er ſchon koͤnne. Bey die- ſer Bewandniß aber kandie Gedult einen Furcht- ſamen nicht irritiren/ wider zu kommen/ weil der Gedultige ſich nicht furehtſam erweiſet/ auch die bey der Gedult bezeigte Großmuͤthigkeit ihn ge- nugſam lehret/ daß es ſo ſicher nicht ſey/ wenn er in ſeiner Beleydigung ferner fortfahren wolte. 99. Denn du muſt auch drittens einen Unter- ſchied unter den vergangenen und zukuͤnffti- gen Beleydigungen machen. Wir handeln jetzo von der Gedult der vergangenen. Ein an- ders iſt es/ wenn man fraget/ ob ich auch ſchul- dig Q 2

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 247[243]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/275>, abgerufen am 22.11.2024.