Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.vernünfftigen Liebe überhaupt. unvermögend seyn/ die Gutthat/ die der anderevon dir begehret/ ihm zu erweisen/ gleich wie er öffters unvermögend ist/ ihm zur Danckbarkeit etwas gewisses zu leisten. Aber das gehet nicht an/ daß wir sagen wolten ein einiger Mensche/ son- derlich ein tugendhaffter Mensche sey unvermö- gend dem andern gutes zu thun. Die Guttha- ten bestehen nicht allein in Mittheilung des Ver- mögens/ sondern in Anwendung alles mensch- lichen Thun und Lassens zu des andern Nutzen. Hat nicht ein jeder ein Leben/ das er für dem an- dern auffopffern kan? Und hat nicht ein Weiser über dis guten Nath den andern aus der Bestiali- tät heraus zu reissen/ und seinen Verstand und Willen auszubessern? Diese Gutthaten sind viel edler als die Darleyhung aller Schätze. 81. Siehe auff so leichten und doch deutlichen 82. Nun folget die unzertrennliche Ge- völli- T 4
vernuͤnfftigen Liebe uͤberhaupt. unvermoͤgend ſeyn/ die Gutthat/ die der anderevon dir begehret/ ihm zu erweiſen/ gleich wie er oͤffters unvermoͤgend iſt/ ihm zur Danckbarkeit etwas gewiſſes zu leiſten. Aber das gehet nicht an/ daß wir ſagen wolten ein einiger Menſche/ ſon- derlich ein tugendhaffter Menſche ſey unvermoͤ- gend dem andern gutes zu thun. Die Guttha- ten beſtehen nicht allein in Mittheilung des Ver- moͤgens/ ſondern in Anwendung alles menſch- lichen Thun und Laſſens zu des andern Nutzen. Hat nicht ein jeder ein Leben/ das er fuͤr dem an- dern auffopffern kan? Und hat nicht ein Weiſer uͤber dis guten Nath den andern aus der Beſtiali- taͤt heraus zu reiſſen/ und ſeinen Verſtand und Willen auszubeſſern? Dieſe Gutthaten ſind viel edler als die Darleyhung aller Schaͤtze. 81. Siehe auff ſo leichten und doch deutlichen 82. Nun folget die unzertrennliche Ge- voͤlli- T 4
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vernuͤnfftigen Liebe uͤberhaupt.
unvermoͤgend ſeyn/ die Gutthat/ die der andere
von dir begehret/ ihm zu erweiſen/ gleich wie er
oͤffters unvermoͤgend iſt/ ihm zur Danckbarkeit
etwas gewiſſes zu leiſten. Aber das gehet nicht
an/ daß wir ſagen wolten ein einiger Menſche/ ſon-
derlich ein tugendhaffter Menſche ſey unvermoͤ-
gend dem andern gutes zu thun. Die Guttha-
ten beſtehen nicht allein in Mittheilung des Ver-
moͤgens/ ſondern in Anwendung alles menſch-
lichen Thun und Laſſens zu des andern Nutzen.
Hat nicht ein jeder ein Leben/ das er fuͤr dem an-
dern auffopffern kan? Und hat nicht ein Weiſer
uͤber dis guten Nath den andern aus der Beſtiali-
taͤt heraus zu reiſſen/ und ſeinen Verſtand und
Willen auszubeſſern? Dieſe Gutthaten ſind viel
edler als die Darleyhung aller Schaͤtze.
81. Siehe auff ſo leichten und doch deutlichen
Gruͤnden beſtehet die Lehre von der Gutthaͤtigkeit
und Danckbarkeit. Jn dieſes wenige concen-
triret ſich alles das was Seneca ſo weitlaͤuff-
tig und nicht allzuordentlich/ auch zum oͤff-
tern nach Art der Stoicker mehr problema-
tiſch als klar und offenbahr handgreifflich in
ſeinen Buͤchern von denen Gutthaten vor-
getragen. So viel iſt an einer rechten Be-
ſchreibung eines Dinges/ und an guter Ordnung
gelegen.
82. Nun folget die unzertrennliche Ge-
meinſchafft alles Vermoͤgens/ ingleichen al-
les vernuͤnfftigen Thun und Laſſens/ als die
voͤlli-
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