Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Einleitung zu der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), 1691.

Bild:
<< vorherige Seite

Das 10. Hauptst. von wahrscheinl.
aber was dem einem Menschen an Gelegen-
heit abgehet/ das kan ein anderer/ und dessen
Mangel wieder ein anderer in etwas ersetzen/
und weil der Verstand des Menschen seinem
Wesen nach bey einem ist/ wie bey dem andern/
so ist kein Zweiffel nicht/ daß dasjenige/ was
ein anderer durch die
experienz nach de-
nen Grund-Regeln erkennet hat/ eben so
wahr sey/ als wenn ich es selbst erfahren
hätte.

23. Aber daran stöst sich es gar sehr/ daß ich
versichert werde/ ob denn der andere auch
die Sache so gründlich erfahren habe/
als
er vorgiebet. Denn es kan gar leichte seyn/
daß mich derselbe mit seinen Worten betrü-
gen will/
oder daß er sich selbsten aus Unacht-
samkeit betrogen hat.

24. Und also erkenne ich wohl so viel/ daß
dasjenige/ was der andere vorgiebet/ wahr
seyn könte/
aber ich habe auch zugleich Ursach
mich zu befahren/ daß es könne nicht war seyn.

25. Nachdem nun das Vertrauen oder
die Furcht stärcker ist/ nachdem ist die Sache
auch warscheinlich oder unwahrscheinlich.

26. Alleine ich spüre wohl/ daß du gerne
wissen woltest/ nach was für einer Richtschnur

du

Das 10. Hauptſt. von wahrſcheinl.
aber was dem einem Menſchen an Gelegen-
heit abgehet/ das kan ein anderer/ und deſſen
Mangel wieder ein anderer in etwas erſetzen/
und weil der Verſtand des Menſchen ſeinem
Weſen nach bey einem iſt/ wie bey dem andern/
ſo iſt kein Zweiffel nicht/ daß dasjenige/ was
ein anderer durch die
experienz nach de-
nen Grund-Regeln erkennet hat/ eben ſo
wahr ſey/ als wenn ich es ſelbſt erfahren
haͤtte.

23. Aber daran ſtoͤſt ſich es gar ſehr/ daß ich
verſichert werde/ ob denn der andere auch
die Sache ſo gruͤndlich erfahren habe/
als
er vorgiebet. Denn es kan gar leichte ſeyn/
daß mich derſelbe mit ſeinen Worten betruͤ-
gen will/
oder daß er ſich ſelbſten aus Unacht-
ſamkeit betrogen hat.

24. Und alſo erkenne ich wohl ſo viel/ daß
dasjenige/ was der andere vorgiebet/ wahr
ſeyn koͤnte/
aber ich habe auch zugleich Urſach
mich zu befahren/ daß es koͤñe nicht war ſeyn.

25. Nachdem nun das Vertrauen oder
die Furcht ſtaͤrcker iſt/ nachdem iſt die Sache
auch warſcheinlich oder unwahrſcheinlich.

26. Alleine ich ſpuͤre wohl/ daß du gerne
wiſſen wolteſt/ nach was fuͤr einer Richtſchnur

du
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0244" n="226"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das 10. Haupt&#x017F;t. von wahr&#x017F;cheinl.</hi></fw><lb/>
aber was dem einem Men&#x017F;chen an Gelegen-<lb/>
heit abgehet/ das kan ein anderer/ und de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Mangel wieder ein anderer in etwas er&#x017F;etzen/<lb/>
und weil der Ver&#x017F;tand des Men&#x017F;chen &#x017F;einem<lb/>
We&#x017F;en nach bey einem i&#x017F;t/ wie bey dem andern/<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t kein Zweiffel nicht/ daß dasjenige/ <hi rendition="#fr">was<lb/>
ein anderer durch die</hi> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">experienz</hi></hi> <hi rendition="#fr">nach de-<lb/>
nen Grund-Regeln erkennet hat/ eben &#x017F;o<lb/>
wahr &#x017F;ey/ als wenn ich es &#x017F;elb&#x017F;t erfahren<lb/>
ha&#x0364;tte.</hi></p><lb/>
        <p>23. Aber daran &#x017F;to&#x0364;&#x017F;t &#x017F;ich es gar &#x017F;ehr/ daß ich<lb/>
ver&#x017F;ichert werde/ <hi rendition="#fr">ob denn der andere auch<lb/>
die Sache &#x017F;o gru&#x0364;ndlich erfahren habe/</hi> als<lb/>
er vorgiebet. Denn es kan gar leichte &#x017F;eyn/<lb/>
daß mich der&#x017F;elbe mit &#x017F;einen Worten <hi rendition="#fr">betru&#x0364;-<lb/>
gen will/</hi> oder daß er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;ten aus Unacht-<lb/>
&#x017F;amkeit betrogen hat.</p><lb/>
        <p>24. Und al&#x017F;o erkenne ich wohl &#x017F;o viel/ daß<lb/>
dasjenige/ was der andere vorgiebet/ <hi rendition="#fr">wahr<lb/>
&#x017F;eyn ko&#x0364;nte/</hi> aber ich habe auch zugleich Ur&#x017F;ach<lb/>
mich zu befahren/ daß es ko&#x0364;ñe nicht war &#x017F;eyn.</p><lb/>
        <p>25. Nachdem nun das Vertrauen oder<lb/>
die <hi rendition="#fr">Furcht</hi> &#x017F;ta&#x0364;rcker i&#x017F;t/ nachdem i&#x017F;t die Sache<lb/>
auch war&#x017F;cheinlich oder <hi rendition="#fr">unwahr&#x017F;cheinlich.</hi></p><lb/>
        <p>26. Alleine ich &#x017F;pu&#x0364;re wohl/ daß du gerne<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en wolte&#x017F;t/ nach was fu&#x0364;r einer <hi rendition="#fr">Richt&#x017F;chnur</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">du</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[226/0244] Das 10. Hauptſt. von wahrſcheinl. aber was dem einem Menſchen an Gelegen- heit abgehet/ das kan ein anderer/ und deſſen Mangel wieder ein anderer in etwas erſetzen/ und weil der Verſtand des Menſchen ſeinem Weſen nach bey einem iſt/ wie bey dem andern/ ſo iſt kein Zweiffel nicht/ daß dasjenige/ was ein anderer durch die experienz nach de- nen Grund-Regeln erkennet hat/ eben ſo wahr ſey/ als wenn ich es ſelbſt erfahren haͤtte. 23. Aber daran ſtoͤſt ſich es gar ſehr/ daß ich verſichert werde/ ob denn der andere auch die Sache ſo gruͤndlich erfahren habe/ als er vorgiebet. Denn es kan gar leichte ſeyn/ daß mich derſelbe mit ſeinen Worten betruͤ- gen will/ oder daß er ſich ſelbſten aus Unacht- ſamkeit betrogen hat. 24. Und alſo erkenne ich wohl ſo viel/ daß dasjenige/ was der andere vorgiebet/ wahr ſeyn koͤnte/ aber ich habe auch zugleich Urſach mich zu befahren/ daß es koͤñe nicht war ſeyn. 25. Nachdem nun das Vertrauen oder die Furcht ſtaͤrcker iſt/ nachdem iſt die Sache auch warſcheinlich oder unwahrſcheinlich. 26. Alleine ich ſpuͤre wohl/ daß du gerne wiſſen wolteſt/ nach was fuͤr einer Richtſchnur du

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungvernufftlehre_1691
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungvernufftlehre_1691/244
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Einleitung zu der Vernunfft-Lehre. Halle (Saale), 1691, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungvernufftlehre_1691/244>, abgerufen am 04.12.2024.