Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Erster Theil. Halle, 1723.tzerey noch die Atheisterey unter die Classen der strafwürdigen Laster zu rechnen noch zu bestraffen wäre, und daß die gegentheilige Meinung von Bestraffung der Ketzerey einzig und alleine aus den Heydenthum und Pabstthum entsprungen, ja daß vielmehr nach den allgemeinen Regeln politischer Klugheit die Ketzermacherey für ein Laster der Meitmacherey geachtet und schwerlich bestraft werden müsse, und ob wohl, so viel die Atheisterey betreffe, zwar noch die wenigsten erkenneten, daß selbige nicht zu bestraffen wäre, sondern auch Grotius und Puffendorffius annoch die gemeine Lehre vertheydiget, dennoch etliche von denen neuern Scribenten mit raison gezeiget, daß man so wohl die Atheisten als Ketzer nach denen Regeln allgemeiner Liebe bekehren, und sie mit Sanfftmuth ihres Irrthums zu benehmen sich angelegen seyn lassen solle, mit nichten aber befugt sey, diese armselige irrige Leute als Delinquenten zu bestraff-n. Zugeschweigen, daß 19. ohne Zweiffel aus diesen wichtigen Ursachen dieDECIMA NONA. Staaten in Holland bewogen worden, den sonst handgreiflichen Atheisten Spinosam in ihrer Republique zu dulden, und sich entsehen, denselben aus ihren Landen zu schaffen, oder ihn ein schrifftlich Consilium abeundi zuzuschicken, welchen Exempel der Magistrat der freyen Reichs-Stadt, allwo sich Titius auffgehalten, Titii Meinung nach, billich hätte folgen sollen. Dieweil aber dennoch bey allen diesen fünff Fragen es hauptsächlich undRATIONES DECIDENDI CON. TRA QUAERENTEM. fürnemlich auf die erste Frage ankömt, und die andern viere gröstentheils von derselben dependiren, als will vor allen Dingen nöthig seyn, daß vorhero der Inhalt des Tractätgens, und was etwan den Magistrat und die Priesterschafft des Orts zu der Confiscation veranlasset, etwas genauer betrachtet werde. Es befindet sich dannenhero in demselben, daß zwar der Autor sich bemühet, den Leser mit denen in rationibus dubitandi n. 16. excerpirten doctrinis zu praeoccupiren; wenn man aber nur ein wenig behutsam und ohne Vorurtheil diese Schrifft ansiehet, so fallen 1. baldPRIMA. Anfangs viele gefährliche und so wohl denen Regeln, der allen Menschen (Heyden, Jüden und Christen) gemeinen gesunden Vernunfft, als auch denen klaren Worten der heiligen göttlichen Schrifft und den gemeinen principiis der Christlichen Völcker, von was für Secten auch dieselbe tzerey noch die Atheisterey unter die Classen der strafwürdigen Laster zu rechnen noch zu bestraffen wäre, und daß die gegentheilige Meinung von Bestraffung der Ketzerey einzig und alleine aus den Heydenthum und Pabstthum entsprungen, ja daß vielmehr nach den allgemeinen Regeln politischer Klugheit die Ketzermacherey für ein Laster der Meitmacherey geachtet und schwerlich bestraft werden müsse, und ob wohl, so viel die Atheisterey betreffe, zwar noch die wenigsten erkenneten, daß selbige nicht zu bestraffen wäre, sondern auch Grotius und Puffendorffius annoch die gemeine Lehre vertheydiget, dennoch etliche von denen neuern Scribenten mit raison gezeiget, daß man so wohl die Atheisten als Ketzer nach denen Regeln allgemeiner Liebe bekehren, und sie mit Sanfftmuth ihres Irrthums zu benehmen sich angelegen seyn lassen solle, mit nichten aber befugt sey, diese armselige irrige Leute als Delinquenten zu bestraff-n. Zugeschweigen, daß 19. ohne Zweiffel aus diesen wichtigen Ursachen dieDECIMA NONA. Staaten in Holland bewogen worden, den sonst handgreiflichen Atheisten Spinosam in ihrer Republique zu dulden, und sich entsehen, denselben aus ihren Landen zu schaffen, oder ihn ein schrifftlich Consilium abeundi zuzuschicken, welchen Exempel der Magistrat der freyen Reichs-Stadt, allwo sich Titius auffgehalten, Titii Meinung nach, billich hätte folgen sollen. Dieweil aber dennoch bey allen diesen fünff Fragen es hauptsächlich undRATIONES DECIDENDI CON. TRA QUAERENTEM. fürnemlich auf die erste Frage ankömt, und die andern viere gröstentheils von derselben dependiren, als will vor allen Dingen nöthig seyn, daß vorhero der Inhalt des Tractätgens, und was etwan den Magistrat und die Priesterschafft des Orts zu der Confiscation veranlasset, etwas genauer betrachtet werde. Es befindet sich dannenhero in demselben, daß zwar der Autor sich bemühet, den Leser mit denen in rationibus dubitandi n. 16. excerpirten doctrinis zu praeoccupiren; wenn man aber nur ein wenig behutsam und ohne Vorurtheil diese Schrifft ansiehet, so fallen 1. baldPRIMA. Anfangs viele gefährliche und so wohl denen Regeln, der allen Menschen (Heyden, Jüden und Christen) gemeinen gesunden Vernunfft, als auch denen klaren Worten der heiligen göttlichen Schrifft und den gemeinen principiis der Christlichen Völcker, von was für Secten auch dieselbe <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0269" n="253"/> tzerey noch die Atheisterey unter die Classen der strafwürdigen Laster zu rechnen noch zu bestraffen wäre, und daß die gegentheilige Meinung von Bestraffung der Ketzerey einzig und alleine aus den Heydenthum und Pabstthum entsprungen, ja daß vielmehr nach den allgemeinen Regeln politischer Klugheit die Ketzermacherey für ein Laster der Meitmacherey geachtet und schwerlich bestraft werden müsse, und ob wohl, so viel die Atheisterey betreffe, zwar noch die wenigsten erkenneten, daß selbige nicht zu bestraffen wäre, sondern auch Grotius und Puffendorffius annoch die gemeine Lehre vertheydiget, dennoch etliche von denen neuern Scribenten mit raison gezeiget, daß man so wohl die Atheisten als Ketzer nach denen Regeln allgemeiner Liebe bekehren, und sie mit Sanfftmuth ihres Irrthums zu benehmen sich angelegen seyn lassen solle, mit nichten aber befugt sey, diese armselige irrige Leute als Delinquenten zu bestraff-n.</p> <l>Siehe notas variorum ad Lancelotti Instit. Jur. Can. lib. 4. not. 154. p. 1885. seq. not. 159. p. 1900. seq. not. 217. p. 1960. & not. 226. p. 1970. seq. und die daselbst citirten Autores, Salvianum p. 1895. Rittershusium, Burnet p. 1896. Titium d. p. 1896 & p. 1900. item p. 1960. 1971. Leibnizium, Limborchium p. 1903. Zieglerum p. 1971. aliosque.</l> <p>Zugeschweigen, daß 19. ohne Zweiffel aus diesen wichtigen Ursachen die<note place="right">DECIMA NONA.</note> Staaten in Holland bewogen worden, den sonst handgreiflichen Atheisten Spinosam in ihrer Republique zu dulden, und sich entsehen, denselben aus ihren Landen zu schaffen, oder ihn ein schrifftlich Consilium abeundi zuzuschicken, welchen Exempel der Magistrat der freyen Reichs-Stadt, allwo sich Titius auffgehalten, Titii Meinung nach, billich hätte folgen sollen.</p> <p>Dieweil aber dennoch bey allen diesen fünff Fragen es hauptsächlich und<note place="right">RATIONES DECIDENDI CON. TRA QUAERENTEM.</note> fürnemlich auf die erste Frage ankömt, und die andern viere gröstentheils von derselben dependiren, als will vor allen Dingen nöthig seyn, daß vorhero der Inhalt des Tractätgens, und was etwan den Magistrat und die Priesterschafft des Orts zu der Confiscation veranlasset, etwas genauer betrachtet werde. Es befindet sich dannenhero in demselben, daß zwar der Autor sich bemühet, den Leser mit denen in rationibus dubitandi n. 16. excerpirten doctrinis zu praeoccupiren; wenn man aber nur ein wenig behutsam und ohne Vorurtheil diese Schrifft ansiehet, so fallen 1. bald<note place="right">PRIMA.</note> Anfangs viele gefährliche und so wohl denen Regeln, der allen Menschen (Heyden, Jüden und Christen) gemeinen gesunden Vernunfft, als auch denen klaren Worten der heiligen göttlichen Schrifft und den gemeinen principiis der Christlichen Völcker, von was für Secten auch dieselbe </p> </div> </body> </text> </TEI> [253/0269]
tzerey noch die Atheisterey unter die Classen der strafwürdigen Laster zu rechnen noch zu bestraffen wäre, und daß die gegentheilige Meinung von Bestraffung der Ketzerey einzig und alleine aus den Heydenthum und Pabstthum entsprungen, ja daß vielmehr nach den allgemeinen Regeln politischer Klugheit die Ketzermacherey für ein Laster der Meitmacherey geachtet und schwerlich bestraft werden müsse, und ob wohl, so viel die Atheisterey betreffe, zwar noch die wenigsten erkenneten, daß selbige nicht zu bestraffen wäre, sondern auch Grotius und Puffendorffius annoch die gemeine Lehre vertheydiget, dennoch etliche von denen neuern Scribenten mit raison gezeiget, daß man so wohl die Atheisten als Ketzer nach denen Regeln allgemeiner Liebe bekehren, und sie mit Sanfftmuth ihres Irrthums zu benehmen sich angelegen seyn lassen solle, mit nichten aber befugt sey, diese armselige irrige Leute als Delinquenten zu bestraff-n.
Siehe notas variorum ad Lancelotti Instit. Jur. Can. lib. 4. not. 154. p. 1885. seq. not. 159. p. 1900. seq. not. 217. p. 1960. & not. 226. p. 1970. seq. und die daselbst citirten Autores, Salvianum p. 1895. Rittershusium, Burnet p. 1896. Titium d. p. 1896 & p. 1900. item p. 1960. 1971. Leibnizium, Limborchium p. 1903. Zieglerum p. 1971. aliosque. Zugeschweigen, daß 19. ohne Zweiffel aus diesen wichtigen Ursachen die Staaten in Holland bewogen worden, den sonst handgreiflichen Atheisten Spinosam in ihrer Republique zu dulden, und sich entsehen, denselben aus ihren Landen zu schaffen, oder ihn ein schrifftlich Consilium abeundi zuzuschicken, welchen Exempel der Magistrat der freyen Reichs-Stadt, allwo sich Titius auffgehalten, Titii Meinung nach, billich hätte folgen sollen.
DECIMA NONA. Dieweil aber dennoch bey allen diesen fünff Fragen es hauptsächlich und fürnemlich auf die erste Frage ankömt, und die andern viere gröstentheils von derselben dependiren, als will vor allen Dingen nöthig seyn, daß vorhero der Inhalt des Tractätgens, und was etwan den Magistrat und die Priesterschafft des Orts zu der Confiscation veranlasset, etwas genauer betrachtet werde. Es befindet sich dannenhero in demselben, daß zwar der Autor sich bemühet, den Leser mit denen in rationibus dubitandi n. 16. excerpirten doctrinis zu praeoccupiren; wenn man aber nur ein wenig behutsam und ohne Vorurtheil diese Schrifft ansiehet, so fallen 1. bald Anfangs viele gefährliche und so wohl denen Regeln, der allen Menschen (Heyden, Jüden und Christen) gemeinen gesunden Vernunfft, als auch denen klaren Worten der heiligen göttlichen Schrifft und den gemeinen principiis der Christlichen Völcker, von was für Secten auch dieselbe
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Erster Theil. Halle, 1723, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte01_1723/269>, abgerufen am 26.06.2024. |