Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Zweyter Theil. Halle, 1724.Das 1. so hierzu erfordert wird / ist ein gut natürliches Judicium. §. IV. Man dencke aber nicht etwa, daß, da ich gesaget, eine natürliche Klugheit, so mit Erfahrung in öffentlichen Geschäfften verknüpfet ist, sey zu Verbesserung der Justiz nicht genug, ich deswegen Klugheit und Erfahrung gar verwerffe, sondern daß ich vielmehr das erstere, oder ein natürliches Judicium nebst der Erfahrenheit bey einem Rathgeber vor allen Dingen erfordere. Jedoch wir müssen dieses etwas deutlicher auslegen. Alle Menschen sind von Natur zur Thorheit geneigt, daher ist weder Weißheit noch Klugheit natürlich, sondern beydes muß erst erlanget werden. Die Mittel, sie zu erlangen, sind theils Erfahrung, theils l) vid. Prudent. Consult. c. 1. §. 23. sq. Conring. de Civil. prud. p. 107. 111.Anführung und Lehre, oder Exempel anderer, iedoch weiser Leute. l) Denn derer Thoren Anführung, welche vor weise gehalten werden, muß nothwendig wieder zur Thorheit, so unter der vermeynten Weißheit verstecket ist, leiten. Da man aber bishero überall in der Meynung gestanden, die Lehre der Weißheit und Klugheit werde allein auf Universitäten gehohlet, so ist auch alles, was die, so sich nicht auf die studia geleget, allein durch die eingepflantzete und tägliche Anleitung e. g. ihrer Eltern, Herren und guten Freunde, und durch Erfahrenheit, ohne eine deutliche und in Ordnung gebrachte Lehr-Art, begriffen, natürliche Klugheit benamet worden. Weil aber diese Bedeutung sehr zweydeutig und dunckel ist, habe ich davor lieber sagen wollen, ein natürliches Judicium oder Urtheil, welches sich nemlich von Jugend auf spüren läßt, und theils durch Erfahrung, theils durch weise Lehren ausgebessert wird. Denn einige Menschen sind von Natur gantz tumm, und Lebenslang nicht zu ändern, und dieses aus Mangel oder Unvollkommenheit derer innerlichen Theile des Gehirns; andere haben ein langsames ingenium und judicium, so aber wenn die Verbesserung dazu kommt, sich vorthut und täglich zunimmet; andere aber geben gleich in ihren zarten Jahren Zeichen eines hurtigen und geschickten judicii von sich, welches nachgehends durch Lehre und Erfahrung aufs höchste gebracht wird. Die natürlich tummen wird keiner um Rath fragen, wie eine Regiments-Form zu ändern sey. Was die langsamen Köpffe anbelanget, so pflegen zwar dieselben, wenn sie verbessert werden, ihre Mitschüler, die wohl fertige aber unbeständige und flüchtige ingenia haben, weit zu übertreffen; allein eben ihre natürliche Langsamkeit zeiget an, daß sie von dem Vorurtheil menschlicher Autorität sehr eingenommen, und also zur Veränderung derer verdrießlichen Processe, welche, wo nicht durchgehends, doch mehrentheils (auch noch heutiges Tages) aus dergleichen Vorurtheilen entsprungen, nicht recht geschickt seyn, ja, wie solches die bisher erwehnten Rathschläge ausweisen, indem Das 1. so hierzu erfordert wird / ist ein gut natürliches Judicium. §. IV. Man dencke aber nicht etwa, daß, da ich gesaget, eine natürliche Klugheit, so mit Erfahrung in öffentlichen Geschäfften verknüpfet ist, sey zu Verbesserung der Justiz nicht genug, ich deswegen Klugheit und Erfahrung gar verwerffe, sondern daß ich vielmehr das erstere, oder ein natürliches Judicium nebst der Erfahrenheit bey einem Rathgeber vor allen Dingen erfordere. Jedoch wir müssen dieses etwas deutlicher auslegen. Alle Menschen sind von Natur zur Thorheit geneigt, daher ist weder Weißheit noch Klugheit natürlich, sondern beydes muß erst erlanget werden. Die Mittel, sie zu erlangen, sind theils Erfahrung, theils l) vid. Prudent. Consult. c. 1. §. 23. sq. Conring. de Civil. prud. p. 107. 111.Anführung und Lehre, oder Exempel anderer, iedoch weiser Leute. l) Denn derer Thoren Anführung, welche vor weise gehalten werden, muß nothwendig wieder zur Thorheit, so unter der vermeynten Weißheit verstecket ist, leiten. Da man aber bishero überall in der Meynung gestanden, die Lehre der Weißheit und Klugheit werde allein auf Universitäten gehohlet, so ist auch alles, was die, so sich nicht auf die studia geleget, allein durch die eingepflantzete und tägliche Anleitung e. g. ihrer Eltern, Herren und guten Freunde, und durch Erfahrenheit, ohne eine deutliche und in Ordnung gebrachte Lehr-Art, begriffen, natürliche Klugheit benamet worden. Weil aber diese Bedeutung sehr zweydeutig und dunckel ist, habe ich davor lieber sagen wollen, ein natürliches Judicium oder Urtheil, welches sich nemlich von Jugend auf spüren läßt, und theils durch Erfahrung, theils durch weise Lehren ausgebessert wird. Denn einige Menschen sind von Natur gantz tumm, und Lebenslang nicht zu ändern, und dieses aus Mangel oder Unvollkommenheit derer innerlichen Theile des Gehirns; andere haben ein langsames ingenium und judicium, so aber wenn die Verbesserung dazu kommt, sich vorthut und täglich zunimmet; andere aber geben gleich in ihren zarten Jahren Zeichen eines hurtigen und geschickten judicii von sich, welches nachgehends durch Lehre und Erfahrung aufs höchste gebracht wird. Die natürlich tummen wird keiner um Rath fragen, wie eine Regiments-Form zu ändern sey. Was die langsamen Köpffe anbelanget, so pflegen zwar dieselben, wenn sie verbessert werden, ihre Mitschüler, die wohl fertige aber unbeständige und flüchtige ingenia haben, weit zu übertreffen; allein eben ihre natürliche Langsamkeit zeiget an, daß sie von dem Vorurtheil menschlicher Autorität sehr eingenommen, und also zur Veränderung derer verdrießlichen Processe, welche, wo nicht durchgehends, doch mehrentheils (auch noch heutiges Tages) aus dergleichen Vorurtheilen entsprungen, nicht recht geschickt seyn, ja, wie solches die bisher erwehnten Rathschläge ausweisen, indem <TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0174" n="166"/> <note place="left">Das 1. so hierzu erfordert wird / ist ein gut natürliches <hi rendition="#i">Judicium</hi>.</note> <p>§. IV. 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Da man aber bishero überall in der Meynung gestanden, die Lehre der Weißheit und Klugheit werde allein auf Universitäten gehohlet, so ist auch alles, was die, so sich nicht auf die studia geleget, allein durch die eingepflantzete und tägliche Anleitung e. g. ihrer Eltern, Herren und guten Freunde, und durch Erfahrenheit, ohne eine deutliche und in Ordnung gebrachte Lehr-Art, begriffen, natürliche Klugheit benamet worden. Weil aber diese Bedeutung sehr zweydeutig und dunckel ist, habe ich davor lieber sagen wollen, ein natürliches Judicium oder Urtheil, welches sich nemlich von Jugend auf spüren läßt, und theils durch Erfahrung, theils durch weise Lehren ausgebessert wird. Denn einige Menschen sind von Natur gantz tumm, und Lebenslang nicht zu ändern, und dieses aus Mangel oder Unvollkommenheit derer innerlichen Theile des Gehirns; andere haben ein langsames ingenium und judicium, so aber wenn die Verbesserung dazu kommt, sich vorthut und täglich zunimmet; andere aber geben gleich in ihren zarten Jahren Zeichen eines hurtigen und geschickten judicii von sich, welches nachgehends durch Lehre und Erfahrung aufs höchste gebracht wird. Die natürlich tummen wird keiner um Rath fragen, wie eine Regiments-Form zu ändern sey. Was die langsamen Köpffe anbelanget, so pflegen zwar dieselben, wenn sie verbessert werden, ihre Mitschüler, die wohl fertige aber unbeständige und flüchtige ingenia haben, weit zu übertreffen; allein eben ihre natürliche Langsamkeit zeiget an, daß sie von dem Vorurtheil menschlicher Autorität sehr eingenommen, und also zur Veränderung derer verdrießlichen Processe, welche, wo nicht durchgehends, doch mehrentheils (auch noch heutiges Tages) aus dergleichen Vorurtheilen entsprungen, nicht recht geschickt seyn, ja, wie solches die bisher erwehnten Rathschläge ausweisen, indem </p> </div> </body> </text> </TEI> [166/0174]
§. IV. Man dencke aber nicht etwa, daß, da ich gesaget, eine natürliche Klugheit, so mit Erfahrung in öffentlichen Geschäfften verknüpfet ist, sey zu Verbesserung der Justiz nicht genug, ich deswegen Klugheit und Erfahrung gar verwerffe, sondern daß ich vielmehr das erstere, oder ein natürliches Judicium nebst der Erfahrenheit bey einem Rathgeber vor allen Dingen erfordere. Jedoch wir müssen dieses etwas deutlicher auslegen. Alle Menschen sind von Natur zur Thorheit geneigt, daher ist weder Weißheit noch Klugheit natürlich, sondern beydes muß erst erlanget werden. Die Mittel, sie zu erlangen, sind theils Erfahrung, theils Anführung und Lehre, oder Exempel anderer, iedoch weiser Leute. l) Denn derer Thoren Anführung, welche vor weise gehalten werden, muß nothwendig wieder zur Thorheit, so unter der vermeynten Weißheit verstecket ist, leiten. Da man aber bishero überall in der Meynung gestanden, die Lehre der Weißheit und Klugheit werde allein auf Universitäten gehohlet, so ist auch alles, was die, so sich nicht auf die studia geleget, allein durch die eingepflantzete und tägliche Anleitung e. g. ihrer Eltern, Herren und guten Freunde, und durch Erfahrenheit, ohne eine deutliche und in Ordnung gebrachte Lehr-Art, begriffen, natürliche Klugheit benamet worden. Weil aber diese Bedeutung sehr zweydeutig und dunckel ist, habe ich davor lieber sagen wollen, ein natürliches Judicium oder Urtheil, welches sich nemlich von Jugend auf spüren läßt, und theils durch Erfahrung, theils durch weise Lehren ausgebessert wird. Denn einige Menschen sind von Natur gantz tumm, und Lebenslang nicht zu ändern, und dieses aus Mangel oder Unvollkommenheit derer innerlichen Theile des Gehirns; andere haben ein langsames ingenium und judicium, so aber wenn die Verbesserung dazu kommt, sich vorthut und täglich zunimmet; andere aber geben gleich in ihren zarten Jahren Zeichen eines hurtigen und geschickten judicii von sich, welches nachgehends durch Lehre und Erfahrung aufs höchste gebracht wird. Die natürlich tummen wird keiner um Rath fragen, wie eine Regiments-Form zu ändern sey. Was die langsamen Köpffe anbelanget, so pflegen zwar dieselben, wenn sie verbessert werden, ihre Mitschüler, die wohl fertige aber unbeständige und flüchtige ingenia haben, weit zu übertreffen; allein eben ihre natürliche Langsamkeit zeiget an, daß sie von dem Vorurtheil menschlicher Autorität sehr eingenommen, und also zur Veränderung derer verdrießlichen Processe, welche, wo nicht durchgehends, doch mehrentheils (auch noch heutiges Tages) aus dergleichen Vorurtheilen entsprungen, nicht recht geschickt seyn, ja, wie solches die bisher erwehnten Rathschläge ausweisen, indem
l) vid. Prudent. Consult. c. 1. §. 23. sq. Conring. de Civil. prud. p. 107. 111.
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Zweyter Theil. Halle, 1724, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte02_1724/174>, abgerufen am 16.07.2024. |