Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Zweyter Theil. Halle, 1724.

Bild:
<< vorherige Seite

schärffet und ein von Affecten nicht zu starck bewegtes Gemüth praesupponirt; so wird selbige auch unser Artzt der Justitz schwerlich entbehren können. Er muß sich aber vor dem überflüßigen studio demonstrandi hüten, sowohl für der falschen und unnützen Aristotelisch-Cartesianischen Art, als auch für der wahren d. i. mathematischen Manier, (so zwar sonst im gemeinen Leben nicht ohne Nutzen), so ferne nemlich ein Artzt der krancken Justiz die gemeine Wohlfarth der Republique vor Augen haben muß. Denn Rathschläge werden von zukünfftigen Sachen gegeben, deren Ausgang nur wahrscheinlich, und von der Gewißheit derer mathematischen Wahrheiten gantz unterschieden ist; weswegen es kein Wunder, daß auch derer grösten Mathematicorum Rathschläge von Verbesserung der Justitz und Beförderung der Gewißheit im Rechten vom Zweck abgegangen, und in praxi mit Nutzen nicht gebrauchet werden können. Er muß sich aber noch mehr in acht nehmen vor der Lehre und Erlernung derer Locorum Topicorum, auch der so genannten Juristischen, als welche mit denen unendlichen Ampliationen und Limitationen derer Reguln die Leute zu allerley Rathschlägen höchst ungeschickt macht. Hingegen wird er sich die gemeiniglich unterlassene Lehre, wie man geschriebene Sachen und Händel vernünfftig erklähren und auslegen solle, welche zur Erkäntnüß der Wahrheit sehr nöthig, und der gantzen Jurisprudenz gleichsam ihr Leben giebt, höchst angelegen seyn lassen / sich aber zugleich vor denen gemeinen Büchern und vielen unnützen Reguln, so diese Lehre immer mehr verdunckeln, hüten, und mit wenigen und deutlichen vergnügt seyn, davon in dem andern Theil meiner Logic gehandelt wird.

§. VIII. Ferner da die Erfindung der Wahrheit einen mit lasterhafften5) ingleichen die echte Sitten-Lehre. Affecten nicht behaffteten Menschen leichte, oder doch nicht schwer ist, und die Vorurtheile des Verstandes aus denen Vorurtheilen des Willens entspringen, so muß ein Artz der kranckenden Justitz nothwendig eine lebendige Erkäntniß des Guten haben, sich selbst kennen, und die Lehre, wie die Bewegung der lasterhafften Affecten wohl zu verbessern, verstehen, welche in der echten Sitten-Lehre, nicht aber in der gemeinen Aristotelisch-Cartesianischen zu suchen / als in welcher zwar viel von denen Tugenden und ihrer Anzahl (doch auch öffters ohne Vernunfft) geschwatzet,r) partim in phil. morali partim in libr. 1. de fund. Jur. N. & G. der nöthigsten Sachen aber nicht mit einen Worte gedacht wird, nemlich wie die Tugenden zu erlangen, wie die vornehmsten Arten derer Lasterhafften zu erkennen, und wie endlich die unruhigen Bewegungen solcher Affecten zu dämpfen und in Ordnung zu bringen. Weil ich aber r)

schärffet und ein von Affecten nicht zu starck bewegtes Gemüth praesupponirt; so wird selbige auch unser Artzt der Justitz schwerlich entbehren können. Er muß sich aber vor dem überflüßigen studio demonstrandi hüten, sowohl für der falschen und unnützen Aristotelisch-Cartesianischen Art, als auch für der wahren d. i. mathematischen Manier, (so zwar sonst im gemeinen Leben nicht ohne Nutzen), so ferne nemlich ein Artzt der krancken Justiz die gemeine Wohlfarth der Republique vor Augen haben muß. Denn Rathschläge werden von zukünfftigen Sachen gegeben, deren Ausgang nur wahrscheinlich, und von der Gewißheit derer mathematischen Wahrheiten gantz unterschieden ist; weswegen es kein Wunder, daß auch derer grösten Mathematicorum Rathschläge von Verbesserung der Justitz und Beförderung der Gewißheit im Rechten vom Zweck abgegangen, und in praxi mit Nutzen nicht gebrauchet werden können. Er muß sich aber noch mehr in acht nehmen vor der Lehre und Erlernung derer Locorum Topicorum, auch der so genannten Juristischen, als welche mit denen unendlichen Ampliationen und Limitationen derer Reguln die Leute zu allerley Rathschlägen höchst ungeschickt macht. Hingegen wird er sich die gemeiniglich unterlassene Lehre, wie man geschriebene Sachen und Händel vernünfftig erklähren und auslegen solle, welche zur Erkäntnüß der Wahrheit sehr nöthig, und der gantzen Jurisprudenz gleichsam ihr Leben giebt, höchst angelegen seyn lassen / sich aber zugleich vor denen gemeinen Büchern und vielen unnützen Reguln, so diese Lehre immer mehr verdunckeln, hüten, und mit wenigen und deutlichen vergnügt seyn, davon in dem andern Theil meiner Logic gehandelt wird.

§. VIII. Ferner da die Erfindung der Wahrheit einen mit lasterhafften5) ingleichen die echte Sitten-Lehre. Affecten nicht behaffteten Menschen leichte, oder doch nicht schwer ist, und die Vorurtheile des Verstandes aus denen Vorurtheilen des Willens entspringen, so muß ein Artz der kranckenden Justitz nothwendig eine lebendige Erkäntniß des Guten haben, sich selbst kennen, und die Lehre, wie die Bewegung der lasterhafften Affecten wohl zu verbessern, verstehen, welche in der echten Sitten-Lehre, nicht aber in der gemeinen Aristotelisch-Cartesianischen zu suchen / als in welcher zwar viel von denen Tugenden und ihrer Anzahl (doch auch öffters ohne Vernunfft) geschwatzet,r) partim in phil. morali partim in libr. 1. de fund. Jur. N. & G. der nöthigsten Sachen aber nicht mit einen Worte gedacht wird, nemlich wie die Tugenden zu erlangen, wie die vornehmsten Arten derer Lasterhafften zu erkennen, und wie endlich die unruhigen Bewegungen solcher Affecten zu dämpfen und in Ordnung zu bringen. Weil ich aber r)

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0179" n="171"/>
schärffet und ein von Affecten                      nicht zu starck bewegtes Gemüth praesupponirt; so wird selbige auch unser Artzt                      der Justitz schwerlich entbehren können. Er muß sich aber vor dem überflüßigen                      studio demonstrandi hüten, sowohl für der falschen und unnützen                      Aristotelisch-Cartesianischen Art, als auch für der wahren d. i. mathematischen                      Manier, (so zwar sonst im gemeinen Leben nicht ohne Nutzen), so ferne nemlich                      ein Artzt der krancken Justiz die gemeine Wohlfarth der Republique vor Augen                      haben muß. Denn Rathschläge werden von zukünfftigen Sachen gegeben, deren                      Ausgang nur wahrscheinlich, und von der Gewißheit derer mathematischen                      Wahrheiten gantz unterschieden ist; weswegen es kein Wunder, daß auch derer                      grösten Mathematicorum Rathschläge von Verbesserung der Justitz und Beförderung                      der Gewißheit im Rechten vom Zweck abgegangen, und in praxi mit Nutzen nicht                      gebrauchet werden können. Er muß sich aber noch mehr in acht nehmen vor der                      Lehre und Erlernung derer Locorum Topicorum, auch der so genannten Juristischen,                      als welche mit denen unendlichen Ampliationen und Limitationen derer Reguln die                      Leute zu allerley Rathschlägen höchst ungeschickt macht. Hingegen wird er sich                      die gemeiniglich unterlassene Lehre, wie man geschriebene Sachen und Händel                      vernünfftig erklähren und auslegen solle, welche zur Erkäntnüß der Wahrheit sehr                      nöthig, und der gantzen Jurisprudenz gleichsam ihr Leben giebt, höchst angelegen                      seyn lassen / sich aber zugleich vor denen gemeinen Büchern und vielen unnützen                      Reguln, so diese Lehre immer mehr verdunckeln, hüten, und mit wenigen und                      deutlichen vergnügt seyn, davon in dem andern Theil meiner Logic gehandelt wird.</p>
        <p>§. VIII. Ferner da die Erfindung der Wahrheit einen mit lasterhafften<note place="right">5) ingleichen die echte Sitten-Lehre.</note> Affecten                      nicht behaffteten Menschen leichte, oder doch nicht schwer ist, und die                      Vorurtheile des Verstandes aus denen Vorurtheilen des Willens entspringen, so                      muß ein Artz der kranckenden Justitz nothwendig eine lebendige Erkäntniß des                      Guten haben, sich selbst kennen, und die Lehre, wie die Bewegung der                      lasterhafften Affecten wohl zu verbessern, verstehen, welche in der echten                      Sitten-Lehre, nicht aber in der gemeinen Aristotelisch-Cartesianischen zu suchen                      / als in welcher zwar viel von denen Tugenden und ihrer Anzahl (doch auch                      öffters ohne Vernunfft) geschwatzet,<note place="right">r) partim in                          phil. morali partim in libr. 1. de fund. Jur. N. &amp; G.</note> der                      nöthigsten Sachen aber nicht mit einen Worte gedacht wird, nemlich wie die                      Tugenden zu erlangen, wie die vornehmsten Arten derer Lasterhafften zu erkennen,                      und wie endlich die unruhigen Bewegungen solcher Affecten zu dämpfen und in                      Ordnung zu bringen. Weil ich aber r)
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[171/0179] schärffet und ein von Affecten nicht zu starck bewegtes Gemüth praesupponirt; so wird selbige auch unser Artzt der Justitz schwerlich entbehren können. Er muß sich aber vor dem überflüßigen studio demonstrandi hüten, sowohl für der falschen und unnützen Aristotelisch-Cartesianischen Art, als auch für der wahren d. i. mathematischen Manier, (so zwar sonst im gemeinen Leben nicht ohne Nutzen), so ferne nemlich ein Artzt der krancken Justiz die gemeine Wohlfarth der Republique vor Augen haben muß. Denn Rathschläge werden von zukünfftigen Sachen gegeben, deren Ausgang nur wahrscheinlich, und von der Gewißheit derer mathematischen Wahrheiten gantz unterschieden ist; weswegen es kein Wunder, daß auch derer grösten Mathematicorum Rathschläge von Verbesserung der Justitz und Beförderung der Gewißheit im Rechten vom Zweck abgegangen, und in praxi mit Nutzen nicht gebrauchet werden können. Er muß sich aber noch mehr in acht nehmen vor der Lehre und Erlernung derer Locorum Topicorum, auch der so genannten Juristischen, als welche mit denen unendlichen Ampliationen und Limitationen derer Reguln die Leute zu allerley Rathschlägen höchst ungeschickt macht. Hingegen wird er sich die gemeiniglich unterlassene Lehre, wie man geschriebene Sachen und Händel vernünfftig erklähren und auslegen solle, welche zur Erkäntnüß der Wahrheit sehr nöthig, und der gantzen Jurisprudenz gleichsam ihr Leben giebt, höchst angelegen seyn lassen / sich aber zugleich vor denen gemeinen Büchern und vielen unnützen Reguln, so diese Lehre immer mehr verdunckeln, hüten, und mit wenigen und deutlichen vergnügt seyn, davon in dem andern Theil meiner Logic gehandelt wird. §. VIII. Ferner da die Erfindung der Wahrheit einen mit lasterhafften Affecten nicht behaffteten Menschen leichte, oder doch nicht schwer ist, und die Vorurtheile des Verstandes aus denen Vorurtheilen des Willens entspringen, so muß ein Artz der kranckenden Justitz nothwendig eine lebendige Erkäntniß des Guten haben, sich selbst kennen, und die Lehre, wie die Bewegung der lasterhafften Affecten wohl zu verbessern, verstehen, welche in der echten Sitten-Lehre, nicht aber in der gemeinen Aristotelisch-Cartesianischen zu suchen / als in welcher zwar viel von denen Tugenden und ihrer Anzahl (doch auch öffters ohne Vernunfft) geschwatzet, der nöthigsten Sachen aber nicht mit einen Worte gedacht wird, nemlich wie die Tugenden zu erlangen, wie die vornehmsten Arten derer Lasterhafften zu erkennen, und wie endlich die unruhigen Bewegungen solcher Affecten zu dämpfen und in Ordnung zu bringen. Weil ich aber r) 5) ingleichen die echte Sitten-Lehre. r) partim in phil. morali partim in libr. 1. de fund. Jur. N. & G.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Obrigkeitskritik und Fürstenberatung: Die Oberhofprediger in Braunschweig-Wolfenbüttel 1568-1714: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in XML/TEI. (2013-02-15T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme entsprechen muss.
Wolfenbütteler Digitale Bibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-02-15T13:54:31Z)
Marcus Baumgarten, Frederike Neuber, Frank Wiegand: Konvertierung nach XML gemäß DTA-Basisformat, Tagging der Titelblätter, Korrekturen der Transkription. (2013-02-15T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Rundes r (ꝛ) wird als normales r (r) wiedergegeben bzw. in der Kombination ꝛc. als et (etc.) aufgelöst.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als „ä“, „ö“, „ü“ transkribiert.
  • Ligaturen werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Kolumnentitel, Bogensignaturen und Kustoden werden nicht erfasst.
  • Griechische Schrift wird nicht transkribiert, sondern im XML mit <foreign xml:lang="el"><gap reason="fm"/></foreign> vermerkt.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte02_1724
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte02_1724/179
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Zweyter Theil. Halle, 1724, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ernsthaffte02_1724/179>, abgerufen am 16.07.2024.