Thomasius, Christian: Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünfftige Thomasische Gedancken und Errinnerungen über allerhand außerlesene Juristische Händel. Dritter Theil. Halle, 1724.sollen die Inquisitin von der Inquisition loß sprechen; so wenig konte auch selbtger bey unserer Facultät einen ingress finden, zumahl, ich mich eines artigen casus erinnerte, den mir ein alter erfahrner Staats-Mann erzehlet, und der Zweiffels ohne auch bey dem Leser einiges Nachdencken erwecken wird. Er erzehlte mir; daß als er in seiner Jugend von Reisen wiederkommen und bey einer Fürstl. Regierung eine Raths-Stelle erlanget hätte, wäre gleichfalls in Hexen-Sachen der casus vorkommen. Es ware in einen nahe anliegenden Dorffe eine Frau die ebenmäßig für eine alte Hexe beschryen gewesen, und hätte sich zugetragen, daß eine andre Frau, die etliche Tage vorher wegen eines Schadens an Munde war Bettlägerig gewesen, und nur wieder aufgestanden war, aus Curiosität, da ein paar in der Kirche heimlich und ohne procession (forte propter antecedentem impraegnationem sponsae) getrauet worden, sich an die Kirche geschlichen und bey der inneren Thüre derselben gehorchet hatte, was in der Kirche passiret. Als diese nun vermeynet, sie wäre alleine daselbst, und sich unversehens umbgewendet, wird sie gewahr, daß diese alte vermeynte Hexe, (die vielleicht aus ebenmäßiger Curiosität sich dahinbegeben) nahe bey ihr stehet, und sie befraget, wie es mit dem Schaden an ihrem Munde stehe, auch ihr mit der Hand an den Mund gefühlet, worauf aber jene dergestalt erschrocken, daß sie plötzlich hernach ebenfalls einen dergleichen unnatürlichen Durst bekommen, aber das ihr gereichte Geträncke nicht zu sich nehmen können sondern in wenig Tagen verstorben. Da hieß es nun ebenfalls, es könne nicht anders seyn, sondern es müsse die alte Hexe diesen Todt verursacht haben, wie dann ihr auch allbereit durch Urtheil und Recht die Tortur war zuerkannt worden. Zu ihren Glück erinnerte sich dieser damahlige Herr Regierungs-Rath, daß er auff seinen Reisen angemercket, wie dergleichen Zufälle denen, die von tollen Hunden gebissen würden, zu wiederfahren pflegen, und daß man dannenhero dieselbe zu curiren anderswo in Gebrauch hätte, die Gebissenen mit Gewalt in das Wasser unter zu tauchen &c. Er gabe dannenhero an, man möchte doch inquiriren, woher die Verstorbene den Schaden an Munde ursprünglich bekommen; und da wurde entdeckt, daß sie mit ihren Hündgen sich geneckt und dasselbige irritiret, daß es sie in der Boßheit in Mund gebissen hätte, und ob der Hund gleich nicht würcklich tolle, sondern nur zu einen augenblicklichen Zorn gereitzet wurden, so war doch vermuthlich daß das nachfolgende Erschrecken der gebissenen Frauen, und die Einbildung, daß die andre eine Hexe sey, nebst dem Entsetzen, da diese ihr an den Mund ge- sollen die Inquisitin von der Inquisition loß sprechen; so wenig konte auch selbtger bey unserer Facultät einen ingress finden, zumahl, ich mich eines artigen casus erinnerte, den mir ein alter erfahrner Staats-Mann erzehlet, und der Zweiffels ohne auch bey dem Leser einiges Nachdencken erwecken wird. Er erzehlte mir; daß als er in seiner Jugend von Reisen wiederkommen und bey einer Fürstl. Regierung eine Raths-Stelle erlanget hätte, wäre gleichfalls in Hexen-Sachen der casus vorkommen. Es ware in einen nahe anliegenden Dorffe eine Frau die ebenmäßig für eine alte Hexe beschryen gewesen, und hätte sich zugetragen, daß eine andre Frau, die etliche Tage vorher wegen eines Schadens an Munde war Bettlägerig gewesen, und nur wieder aufgestanden war, aus Curiosität, da ein paar in der Kirche heimlich und ohne procession (forte propter antecedentem impraegnationem sponsae) getrauet worden, sich an die Kirche geschlichen und bey der inneren Thüre derselben gehorchet hatte, was in der Kirche passiret. Als diese nun vermeynet, sie wäre alleine daselbst, und sich unversehens umbgewendet, wird sie gewahr, daß diese alte vermeynte Hexe, (die vielleicht aus ebenmäßiger Curiosität sich dahinbegeben) nahe bey ihr stehet, und sie befraget, wie es mit dem Schaden an ihrem Munde stehe, auch ihr mit der Hand an den Mund gefühlet, worauf aber jene dergestalt erschrocken, daß sie plötzlich hernach ebenfalls einen dergleichen unnatürlichen Durst bekommen, aber das ihr gereichte Geträncke nicht zu sich nehmen können sondern in wenig Tagen verstorben. Da hieß es nun ebenfalls, es könne nicht anders seyn, sondern es müsse die alte Hexe diesen Todt verursacht haben, wie dann ihr auch allbereit durch Urtheil und Recht die Tortur war zuerkannt worden. Zu ihren Glück erinnerte sich dieser damahlige Herr Regierungs-Rath, daß er auff seinen Reisen angemercket, wie dergleichen Zufälle denen, die von tollen Hunden gebissen würden, zu wiederfahren pflegen, und daß man dannenhero dieselbe zu curiren anderswo in Gebrauch hätte, die Gebissenen mit Gewalt in das Wasser unter zu tauchen &c. Er gabe dannenhero an, man möchte doch inquiriren, woher die Verstorbene den Schaden an Munde ursprünglich bekommen; und da wurde entdeckt, daß sie mit ihren Hündgen sich geneckt und dasselbige irritiret, daß es sie in der Boßheit in Mund gebissen hätte, und ob der Hund gleich nicht würcklich tolle, sondern nur zu einen augenblicklichen Zorn gereitzet wurden, so war doch vermuthlich daß das nachfolgende Erschrecken der gebissenen Frauen, und die Einbildung, daß die andre eine Hexe sey, nebst dem Entsetzen, da diese ihr an den Mund ge- <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0238" n="232"/> sollen die Inquisitin von der Inquisition loß sprechen; so wenig konte auch selbtger bey unserer Facultät einen ingress finden, zumahl, ich mich eines artigen casus erinnerte, den mir ein alter erfahrner Staats-Mann erzehlet, und der Zweiffels ohne auch bey dem Leser einiges Nachdencken erwecken wird. Er erzehlte mir; daß als er in seiner Jugend von Reisen wiederkommen und bey einer Fürstl. Regierung eine Raths-Stelle erlanget hätte, wäre gleichfalls in Hexen-Sachen der casus vorkommen. Es ware in einen nahe anliegenden Dorffe eine Frau die ebenmäßig für eine alte Hexe beschryen gewesen, und hätte sich zugetragen, daß eine andre Frau, die etliche Tage vorher wegen eines Schadens an Munde war Bettlägerig gewesen, und nur wieder aufgestanden war, aus Curiosität, da ein paar in der Kirche heimlich und ohne procession (forte propter antecedentem impraegnationem sponsae) getrauet worden, sich an die Kirche geschlichen und bey der inneren Thüre derselben gehorchet hatte, was in der Kirche passiret. Als diese nun vermeynet, sie wäre alleine daselbst, und sich unversehens umbgewendet, wird sie gewahr, daß diese alte vermeynte Hexe, (die vielleicht aus ebenmäßiger Curiosität sich dahinbegeben) nahe bey ihr stehet, und sie befraget, wie es mit dem Schaden an ihrem Munde stehe, auch ihr mit der Hand an den Mund gefühlet, worauf aber jene dergestalt erschrocken, daß sie plötzlich hernach ebenfalls einen dergleichen unnatürlichen Durst bekommen, aber das ihr gereichte Geträncke nicht zu sich nehmen können sondern in wenig Tagen verstorben. Da hieß es nun ebenfalls, es könne nicht anders seyn, sondern es müsse die alte Hexe diesen Todt verursacht haben, wie dann ihr auch allbereit durch Urtheil und Recht die Tortur war zuerkannt worden. Zu ihren Glück erinnerte sich dieser damahlige Herr Regierungs-Rath, daß er auff seinen Reisen angemercket, wie dergleichen Zufälle denen, die von tollen Hunden gebissen würden, zu wiederfahren pflegen, und daß man dannenhero dieselbe zu curiren anderswo in Gebrauch hätte, die Gebissenen mit Gewalt in das Wasser unter zu tauchen &c. Er gabe dannenhero an, man möchte doch inquiriren, woher die Verstorbene den Schaden an Munde ursprünglich bekommen; und da wurde entdeckt, daß sie mit ihren Hündgen sich geneckt und dasselbige irritiret, daß es sie in der Boßheit in Mund gebissen hätte, und ob der Hund gleich nicht würcklich tolle, sondern nur zu einen augenblicklichen Zorn gereitzet wurden, so war doch vermuthlich daß das nachfolgende Erschrecken der gebissenen Frauen, und die Einbildung, daß die andre eine Hexe sey, nebst dem Entsetzen, da diese ihr an den Mund ge- </p> </div> </body> </text> </TEI> [232/0238]
sollen die Inquisitin von der Inquisition loß sprechen; so wenig konte auch selbtger bey unserer Facultät einen ingress finden, zumahl, ich mich eines artigen casus erinnerte, den mir ein alter erfahrner Staats-Mann erzehlet, und der Zweiffels ohne auch bey dem Leser einiges Nachdencken erwecken wird. Er erzehlte mir; daß als er in seiner Jugend von Reisen wiederkommen und bey einer Fürstl. Regierung eine Raths-Stelle erlanget hätte, wäre gleichfalls in Hexen-Sachen der casus vorkommen. Es ware in einen nahe anliegenden Dorffe eine Frau die ebenmäßig für eine alte Hexe beschryen gewesen, und hätte sich zugetragen, daß eine andre Frau, die etliche Tage vorher wegen eines Schadens an Munde war Bettlägerig gewesen, und nur wieder aufgestanden war, aus Curiosität, da ein paar in der Kirche heimlich und ohne procession (forte propter antecedentem impraegnationem sponsae) getrauet worden, sich an die Kirche geschlichen und bey der inneren Thüre derselben gehorchet hatte, was in der Kirche passiret. Als diese nun vermeynet, sie wäre alleine daselbst, und sich unversehens umbgewendet, wird sie gewahr, daß diese alte vermeynte Hexe, (die vielleicht aus ebenmäßiger Curiosität sich dahinbegeben) nahe bey ihr stehet, und sie befraget, wie es mit dem Schaden an ihrem Munde stehe, auch ihr mit der Hand an den Mund gefühlet, worauf aber jene dergestalt erschrocken, daß sie plötzlich hernach ebenfalls einen dergleichen unnatürlichen Durst bekommen, aber das ihr gereichte Geträncke nicht zu sich nehmen können sondern in wenig Tagen verstorben. Da hieß es nun ebenfalls, es könne nicht anders seyn, sondern es müsse die alte Hexe diesen Todt verursacht haben, wie dann ihr auch allbereit durch Urtheil und Recht die Tortur war zuerkannt worden. Zu ihren Glück erinnerte sich dieser damahlige Herr Regierungs-Rath, daß er auff seinen Reisen angemercket, wie dergleichen Zufälle denen, die von tollen Hunden gebissen würden, zu wiederfahren pflegen, und daß man dannenhero dieselbe zu curiren anderswo in Gebrauch hätte, die Gebissenen mit Gewalt in das Wasser unter zu tauchen &c. Er gabe dannenhero an, man möchte doch inquiriren, woher die Verstorbene den Schaden an Munde ursprünglich bekommen; und da wurde entdeckt, daß sie mit ihren Hündgen sich geneckt und dasselbige irritiret, daß es sie in der Boßheit in Mund gebissen hätte, und ob der Hund gleich nicht würcklich tolle, sondern nur zu einen augenblicklichen Zorn gereitzet wurden, so war doch vermuthlich daß das nachfolgende Erschrecken der gebissenen Frauen, und die Einbildung, daß die andre eine Hexe sey, nebst dem Entsetzen, da diese ihr an den Mund ge-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Obrigkeitskritik und Fürstenberatung: Die Oberhofprediger in Braunschweig-Wolfenbüttel 1568-1714: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in XML/TEI.
(2013-02-15T13:54:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme entsprechen muss. Wolfenbütteler Digitale Bibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-02-15T13:54:31Z)
Marcus Baumgarten, Frederike Neuber, Frank Wiegand: Konvertierung nach XML gemäß DTA-Basisformat, Tagging der Titelblätter, Korrekturen der Transkription.
(2013-02-15T13:54:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |