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[Thümmel, Moritz August von]: Wilhelmine oder der vermählte Pedant. [s. l.], 1764.

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hölzernen Kanzel trotzig gefragt: Ob jemand
wider das Aufgeboth seines Freundes etwas
einzuwenden hätte? Und dreymal hatt' er die
Verleumdung mit diesen mächtigen Worten ge-
bannt: Der schweige nachmals stille! Sein
frommfarbichter Mantel bedeckt' ein wildes
Herz; ohne Neigung war er ein Geistlicher,
und ward selbst in einem Amte mager, das seit
dreyhundert Jahren die Schwindsüchtigen fett
gemacht hatte. Mosheim und Cramern kannt'
er nicht: er sprach aber gern von dem Gene-
ral Ziethen und von dem Treffen bey Roßbach.
Seine Bauern, wild wie er selbst, konnt' er
lange nicht durch die Bibel bezähmen -- denn
er verstund sie nicht -- aber es glückte ihm
nach einer neuern Methode. Denn eh' er sei-
nen Rednerstuhl bestieg, besah er sein floren-
tinisches Wetterglas, und rief prophetisch alle
die Veränderungen von seiner Kanzel, die es
ihm ankündigte. Bald wahrsagt' er der un-
gezogenen Gemeinde Regen und Wind in der

Heu-
E 5

hoͤlzernen Kanzel trotzig gefragt: Ob jemand
wider das Aufgeboth ſeines Freundes etwas
einzuwenden haͤtte? Und dreymal hatt’ er die
Verleumdung mit dieſen maͤchtigen Worten ge-
bannt: Der ſchweige nachmals ſtille! Sein
frommfarbichter Mantel bedeckt’ ein wildes
Herz; ohne Neigung war er ein Geiſtlicher,
und ward ſelbſt in einem Amte mager, das ſeit
dreyhundert Jahren die Schwindſuͤchtigen fett
gemacht hatte. Mosheim und Cramern kannt’
er nicht: er ſprach aber gern von dem Gene-
ral Ziethen und von dem Treffen bey Roßbach.
Seine Bauern, wild wie er ſelbſt, konnt’ er
lange nicht durch die Bibel bezaͤhmen — denn
er verſtund ſie nicht — aber es gluͤckte ihm
nach einer neuern Methode. Denn eh’ er ſei-
nen Rednerſtuhl beſtieg, beſah er ſein floren-
tiniſches Wetterglas, und rief prophetiſch alle
die Veraͤnderungen von ſeiner Kanzel, die es
ihm ankuͤndigte. Bald wahrſagt’ er der un-
gezogenen Gemeinde Regen und Wind in der

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[73/0077] hoͤlzernen Kanzel trotzig gefragt: Ob jemand wider das Aufgeboth ſeines Freundes etwas einzuwenden haͤtte? Und dreymal hatt’ er die Verleumdung mit dieſen maͤchtigen Worten ge- bannt: Der ſchweige nachmals ſtille! Sein frommfarbichter Mantel bedeckt’ ein wildes Herz; ohne Neigung war er ein Geiſtlicher, und ward ſelbſt in einem Amte mager, das ſeit dreyhundert Jahren die Schwindſuͤchtigen fett gemacht hatte. Mosheim und Cramern kannt’ er nicht: er ſprach aber gern von dem Gene- ral Ziethen und von dem Treffen bey Roßbach. Seine Bauern, wild wie er ſelbſt, konnt’ er lange nicht durch die Bibel bezaͤhmen — denn er verſtund ſie nicht — aber es gluͤckte ihm nach einer neuern Methode. Denn eh’ er ſei- nen Rednerſtuhl beſtieg, beſah er ſein floren- tiniſches Wetterglas, und rief prophetiſch alle die Veraͤnderungen von ſeiner Kanzel, die es ihm ankuͤndigte. Bald wahrſagt’ er der un- gezogenen Gemeinde Regen und Wind in der Heu- E 5

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Zitationshilfe: [Thümmel, Moritz August von]: Wilhelmine oder der vermählte Pedant. [s. l.], 1764, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thuemmel_wilhelmine_1764/77>, abgerufen am 22.12.2024.