Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 1. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1792.Kleine Nebenreisen in der Nähe der Capstadt. hinan, ehe die Sonne aufging und uns mit ihren heißenStrahlen die Reise zu beschwerlich und ermüdend machen konnte. Kurz nach acht Uhr hatten wir bereits den Gi- pfel erstiegen, wo wir eine angenehm gemäßigte Kühle empfanden. Unsre Mühe sahen wir durch eine Menge seltner Gewächse, besonders von der sogenannten Rag- wurz (O chidea) sehr bald belohnt. Diese Gattung habe ich hernach weder zu andern Jahrszeiten hier, noch auf andern Bergen finden können. Unter andern prang- te mit ihren großen rothen Blumen die großblumige Ragwurz (Orchis grandiflora, oder Disa uniflora in Bergii Plantis Capens.). Von der dem Tafelberge eigen- thümlichen Stendelwurz (Serapias tabularis) traf ich nur ein einziges Individuum an. Die schwarzweiße Sten- delwurz (Serapias melaleuca) hingegen zeichnete sich häufig durch ihre schwarzen und weißen Blumen aus: die seltensten Blumen unter allen. Die blaue Disa lon- gicornis, welche theils ungemein reitzend, theils von ganz besondrer Gestalt ist, bekam ich hier mit Mühe und nicht ehne Lebensgefahr, und zwar zum ersten und letztenmahl. Sie stand nämlich nur an einer einzigen Stelle, auf ei- ner steilen Klippe, so hoch hinauf, daß wir auf keine an- dre Art dazu kommen konnten, als nachdem wir die Seite der Klippe so weit als möglich hinauf geklettert waren. Ich stieg Herrn Sonnerat auf die Schultern, und riß so mit einem langen Stocke fünf Stengel davon ab; die einzigen, welche jetzt in Blüthe standen. Herr Sonne- rat, der vorher nicht Gelegenheit gehabt hatte, am Fu- ße des Berges so viele Gewächse zu sammeln, als ich, brachte an diesem einen Tage eine Zahl von dreyhundert Gattungen zusammen. Er hatte aber dabey das unange- nehme Schicksal, daß er barfuß zurückgehen mußte, ob er gleich drey Paar Schuhe zu diesem Spatziergange mit- Kleine Nebenreiſen in der Naͤhe der Capſtadt. hinan, ehe die Sonne aufging und uns mit ihren heißenStrahlen die Reiſe zu beſchwerlich und ermuͤdend machen konnte. Kurz nach acht Uhr hatten wir bereits den Gi- pfel erſtiegen, wo wir eine angenehm gemaͤßigte Kuͤhle empfanden. Unſre Muͤhe ſahen wir durch eine Menge ſeltner Gewaͤchſe, beſonders von der ſogenannten Rag- wurz (O chidea) ſehr bald belohnt. Dieſe Gattung habe ich hernach weder zu andern Jahrszeiten hier, noch auf andern Bergen finden koͤnnen. Unter andern prang- te mit ihren großen rothen Blumen die großblumige Ragwurz (Orchis grandiflora, oder Diſa uniflora in Bergii Plantis Capenſ.). Von der dem Tafelberge eigen- thuͤmlichen Stendelwurz (Serapias tabularis) traf ich nur ein einziges Individuum an. Die ſchwarzweiße Sten- delwurz (Serapias melaleuca) hingegen zeichnete ſich haͤufig durch ihre ſchwarzen und weißen Blumen aus: die ſeltenſten Blumen unter allen. Die blaue Diſa lon- gicornis, welche theils ungemein reitzend, theils von ganz beſondrer Geſtalt iſt, bekam ich hier mit Muͤhe und nicht ehne Lebensgefahr, und zwar zum erſten und letztenmahl. Sie ſtand naͤmlich nur an einer einzigen Stelle, auf ei- ner ſteilen Klippe, ſo hoch hinauf, daß wir auf keine an- dre Art dazu kommen konnten, als nachdem wir die Seite der Klippe ſo weit als moͤglich hinauf geklettert waren. Ich ſtieg Herrn Sonnerat auf die Schultern, und riß ſo mit einem langen Stocke fuͤnf Stengel davon ab; die einzigen, welche jetzt in Bluͤthe ſtanden. Herr Sonne- rat, der vorher nicht Gelegenheit gehabt hatte, am Fu- ße des Berges ſo viele Gewaͤchſe zu ſammeln, als ich, brachte an dieſem einen Tage eine Zahl von dreyhundert Gattungen zuſammen. Er hatte aber dabey das unange- nehme Schickſal, daß er barfuß zuruͤckgehen mußte, ob er gleich drey Paar Schuhe zu dieſem Spatziergange mit- <TEI> <text> <body> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0229" n="201"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kleine Nebenreiſen in der Naͤhe der <placeName>Capſtadt</placeName>.</hi></fw><lb/> hinan, ehe die Sonne aufging und uns mit ihren heißen<lb/> Strahlen die Reiſe zu beſchwerlich und ermuͤdend machen<lb/> konnte. Kurz nach acht Uhr hatten wir bereits den Gi-<lb/> pfel erſtiegen, wo wir eine angenehm gemaͤßigte Kuͤhle<lb/> empfanden. Unſre Muͤhe ſahen wir durch eine Menge<lb/> ſeltner Gewaͤchſe, beſonders von der ſogenannten Rag-<lb/> wurz (<hi rendition="#aq">O chidea</hi>) ſehr bald belohnt. Dieſe Gattung<lb/> habe ich hernach weder zu andern Jahrszeiten hier, noch<lb/> auf andern Bergen finden koͤnnen. 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Kleine Nebenreiſen in der Naͤhe der Capſtadt.
hinan, ehe die Sonne aufging und uns mit ihren heißen
Strahlen die Reiſe zu beſchwerlich und ermuͤdend machen
konnte. Kurz nach acht Uhr hatten wir bereits den Gi-
pfel erſtiegen, wo wir eine angenehm gemaͤßigte Kuͤhle
empfanden. Unſre Muͤhe ſahen wir durch eine Menge
ſeltner Gewaͤchſe, beſonders von der ſogenannten Rag-
wurz (O chidea) ſehr bald belohnt. Dieſe Gattung
habe ich hernach weder zu andern Jahrszeiten hier, noch
auf andern Bergen finden koͤnnen. Unter andern prang-
te mit ihren großen rothen Blumen die großblumige
Ragwurz (Orchis grandiflora, oder Diſa uniflora in
Bergii Plantis Capenſ.). Von der dem Tafelberge eigen-
thuͤmlichen Stendelwurz (Serapias tabularis) traf ich nur
ein einziges Individuum an. Die ſchwarzweiße Sten-
delwurz (Serapias melaleuca) hingegen zeichnete ſich
haͤufig durch ihre ſchwarzen und weißen Blumen aus:
die ſeltenſten Blumen unter allen. Die blaue Diſa lon-
gicornis, welche theils ungemein reitzend, theils von ganz
beſondrer Geſtalt iſt, bekam ich hier mit Muͤhe und nicht
ehne Lebensgefahr, und zwar zum erſten und letztenmahl.
Sie ſtand naͤmlich nur an einer einzigen Stelle, auf ei-
ner ſteilen Klippe, ſo hoch hinauf, daß wir auf keine an-
dre Art dazu kommen konnten, als nachdem wir die Seite
der Klippe ſo weit als moͤglich hinauf geklettert waren.
Ich ſtieg Herrn Sonnerat auf die Schultern, und riß
ſo mit einem langen Stocke fuͤnf Stengel davon ab; die
einzigen, welche jetzt in Bluͤthe ſtanden. Herr Sonne-
rat, der vorher nicht Gelegenheit gehabt hatte, am Fu-
ße des Berges ſo viele Gewaͤchſe zu ſammeln, als ich,
brachte an dieſem einen Tage eine Zahl von dreyhundert
Gattungen zuſammen. Er hatte aber dabey das unange-
nehme Schickſal, daß er barfuß zuruͤckgehen mußte, ob
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