Am folgenden Tage begaben wir uns früh nach dem Taubenbergsflusse, der etwas vom Hofe entfernt ist. Von dem vor kurzen gefallnen Regen war dieser Fluß noch sehr hoch angeschwollen, und man sagte uns, die Passage durch denselben sey gefährlich. Gewöhnlich haben aber doch die Flüsse hier zu Lande einige seichte Stellen, durch die man auch alsdann, wenn sie hoch anwachsen, mit Wagen und Ochsen durchkommen kann. Solche Fur- then heißen hier Triften (Driften). Um uns zu einer solchen Trift zu führen, hatte unsre Wirthin uns einen Sklaven mitgegeben. Da dieser aber Holländisch we- der sprechen noch verstehen konnte, mußte er uns seine Nachrichten durch Zeichen geben, die er entweder aus Unwissenheit oder aus Bosheit ganz verkehrt gab, indem er uns einen Zirkelbogen durch den Fluß zur Rechten be- zeichnete, den wir zur Linken hätten nehmen müssen. Ich, der unter der ganzen Reisegesellschaft der dreisteste war, und auf der ganzen Reise immer an der Spitze seyn und voran reiten mußte, ritt ohne Bedenken in den Fluß so weit hinein, bis ich mit dem Pferde in ei- nem Augenblicke bis an die Ohren ins Wasser herunter- sank. Es war ein sogenanntes Seekuhloch, das bey- nahe mein Grab geworden wäre. Ich wäre auch ganz gewiß verlohren gewesen, wenn nicht glücklicher Weise mein Pferd hätte schwimmen können, und ich, der bis- her in jeder Gefahr das Glück gehabt hatte, nicht zu erschrecken, nicht mit ruhigem Geiste und völliger Ueber- legung und Entschlossenheit dasselbe, wie es zu beyden Seiten im Wasser hin und her schwankte, ganz vorsich- tig gelenkt, und mich zugleich gehalten hätte, und im Sattel fest geblieben wäre, da ich vom Wasser immer in die Höhe gehoben wurde. Als ich über das Loch selbst glücklich hinüber gekommen war, gelang es mir auch,
Reiſe v. Zwellendam bis zum Camtousfluſſe.
Am folgenden Tage begaben wir uns fruͤh nach dem Taubenbergsfluſſe, der etwas vom Hofe entfernt iſt. Von dem vor kurzen gefallnen Regen war dieſer Fluß noch ſehr hoch angeſchwollen, und man ſagte uns, die Paſſage durch denſelben ſey gefaͤhrlich. Gewoͤhnlich haben aber doch die Fluͤſſe hier zu Lande einige ſeichte Stellen, durch die man auch alsdann, wenn ſie hoch anwachſen, mit Wagen und Ochſen durchkommen kann. Solche Fur- then heißen hier Triften (Driften). Um uns zu einer ſolchen Trift zu fuͤhren, hatte unſre Wirthin uns einen Sklaven mitgegeben. Da dieſer aber Hollaͤndiſch we- der ſprechen noch verſtehen konnte, mußte er uns ſeine Nachrichten durch Zeichen geben, die er entweder aus Unwiſſenheit oder aus Bosheit ganz verkehrt gab, indem er uns einen Zirkelbogen durch den Fluß zur Rechten be- zeichnete, den wir zur Linken haͤtten nehmen muͤſſen. Ich, der unter der ganzen Reiſegeſellſchaft der dreiſteſte war, und auf der ganzen Reiſe immer an der Spitze ſeyn und voran reiten mußte, ritt ohne Bedenken in den Fluß ſo weit hinein, bis ich mit dem Pferde in ei- nem Augenblicke bis an die Ohren ins Waſſer herunter- ſank. Es war ein ſogenanntes Seekuhloch, das bey- nahe mein Grab geworden waͤre. Ich waͤre auch ganz gewiß verlohren geweſen, wenn nicht gluͤcklicher Weiſe mein Pferd haͤtte ſchwimmen koͤnnen, und ich, der bis- her in jeder Gefahr das Gluͤck gehabt hatte, nicht zu erſchrecken, nicht mit ruhigem Geiſte und voͤlliger Ueber- legung und Entſchloſſenheit daſſelbe, wie es zu beyden Seiten im Waſſer hin und her ſchwankte, ganz vorſich- tig gelenkt, und mich zugleich gehalten haͤtte, und im Sattel feſt geblieben waͤre, da ich vom Waſſer immer in die Hoͤhe gehoben wurde. Als ich uͤber das Loch ſelbſt gluͤcklich hinuͤber gekommen war, gelang es mir auch,
<TEI><text><body><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0379"n="41"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Reiſe v. <placeName>Zwellendam</placeName> bis zum <placeName>Camtousfluſſe</placeName>.</hi></fw><lb/><p>Am folgenden Tage begaben wir uns fruͤh nach dem<lb/><placeName>Taubenbergsfluſſe</placeName>, der etwas vom Hofe entfernt iſt. Von<lb/>
dem vor kurzen gefallnen Regen war dieſer Fluß noch<lb/>ſehr hoch angeſchwollen, und man ſagte uns, die Paſſage<lb/>
durch denſelben ſey gefaͤhrlich. Gewoͤhnlich haben aber<lb/>
doch die Fluͤſſe hier zu Lande einige ſeichte Stellen, durch<lb/>
die man auch alsdann, wenn ſie hoch anwachſen, mit<lb/>
Wagen und Ochſen durchkommen kann. Solche Fur-<lb/>
then heißen hier Triften (<hirendition="#aq">Driften</hi>). Um uns zu einer<lb/>ſolchen Trift zu fuͤhren, hatte unſre Wirthin uns einen<lb/>
Sklaven mitgegeben. Da dieſer aber Hollaͤndiſch we-<lb/>
der ſprechen noch verſtehen konnte, mußte er uns ſeine<lb/>
Nachrichten durch Zeichen geben, die er entweder aus<lb/>
Unwiſſenheit oder aus Bosheit ganz verkehrt gab, indem<lb/>
er uns einen Zirkelbogen durch den Fluß zur Rechten be-<lb/>
zeichnete, den wir zur Linken haͤtten nehmen muͤſſen.<lb/>
Ich, der unter der ganzen Reiſegeſellſchaft der dreiſteſte<lb/>
war, und auf der ganzen Reiſe immer an der Spitze<lb/>ſeyn und voran reiten mußte, ritt ohne Bedenken in<lb/>
den Fluß ſo weit hinein, bis ich mit dem Pferde in ei-<lb/>
nem Augenblicke bis an die Ohren ins Waſſer herunter-<lb/>ſank. Es war ein ſogenanntes Seekuhloch, das bey-<lb/>
nahe mein Grab geworden waͤre. Ich waͤre auch ganz<lb/>
gewiß verlohren geweſen, wenn nicht gluͤcklicher Weiſe<lb/>
mein Pferd haͤtte ſchwimmen koͤnnen, und ich, der bis-<lb/>
her in jeder Gefahr das Gluͤck gehabt hatte, nicht zu<lb/>
erſchrecken, nicht mit ruhigem Geiſte und voͤlliger Ueber-<lb/>
legung und Entſchloſſenheit daſſelbe, wie es zu beyden<lb/>
Seiten im Waſſer hin und her ſchwankte, ganz vorſich-<lb/>
tig gelenkt, und mich zugleich gehalten haͤtte, und im<lb/>
Sattel feſt geblieben waͤre, da ich vom Waſſer immer<lb/>
in die Hoͤhe gehoben wurde. Als ich uͤber das Loch ſelbſt<lb/>
gluͤcklich hinuͤber gekommen war, gelang es mir auch,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[41/0379]
Reiſe v. Zwellendam bis zum Camtousfluſſe.
Am folgenden Tage begaben wir uns fruͤh nach dem
Taubenbergsfluſſe, der etwas vom Hofe entfernt iſt. Von
dem vor kurzen gefallnen Regen war dieſer Fluß noch
ſehr hoch angeſchwollen, und man ſagte uns, die Paſſage
durch denſelben ſey gefaͤhrlich. Gewoͤhnlich haben aber
doch die Fluͤſſe hier zu Lande einige ſeichte Stellen, durch
die man auch alsdann, wenn ſie hoch anwachſen, mit
Wagen und Ochſen durchkommen kann. Solche Fur-
then heißen hier Triften (Driften). Um uns zu einer
ſolchen Trift zu fuͤhren, hatte unſre Wirthin uns einen
Sklaven mitgegeben. Da dieſer aber Hollaͤndiſch we-
der ſprechen noch verſtehen konnte, mußte er uns ſeine
Nachrichten durch Zeichen geben, die er entweder aus
Unwiſſenheit oder aus Bosheit ganz verkehrt gab, indem
er uns einen Zirkelbogen durch den Fluß zur Rechten be-
zeichnete, den wir zur Linken haͤtten nehmen muͤſſen.
Ich, der unter der ganzen Reiſegeſellſchaft der dreiſteſte
war, und auf der ganzen Reiſe immer an der Spitze
ſeyn und voran reiten mußte, ritt ohne Bedenken in
den Fluß ſo weit hinein, bis ich mit dem Pferde in ei-
nem Augenblicke bis an die Ohren ins Waſſer herunter-
ſank. Es war ein ſogenanntes Seekuhloch, das bey-
nahe mein Grab geworden waͤre. Ich waͤre auch ganz
gewiß verlohren geweſen, wenn nicht gluͤcklicher Weiſe
mein Pferd haͤtte ſchwimmen koͤnnen, und ich, der bis-
her in jeder Gefahr das Gluͤck gehabt hatte, nicht zu
erſchrecken, nicht mit ruhigem Geiſte und voͤlliger Ueber-
legung und Entſchloſſenheit daſſelbe, wie es zu beyden
Seiten im Waſſer hin und her ſchwankte, ganz vorſich-
tig gelenkt, und mich zugleich gehalten haͤtte, und im
Sattel feſt geblieben waͤre, da ich vom Waſſer immer
in die Hoͤhe gehoben wurde. Als ich uͤber das Loch ſelbſt
gluͤcklich hinuͤber gekommen war, gelang es mir auch,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 1. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1792, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thunberg_reisen01_1792/379>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.