Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 2. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

Beschaffenheit u. Charakter der Japaner.
um Vortritt beym Statthalter. Kaum waren sie in sei-
nem Zimmer, als sie alle zugleich die Säbel zogen, ihn
gefangen nahmen und unverzüglich nach ihrem Schiffe
brachten. Dies geschah am hellen Tage, im Angesicht
der Wache und aller Leute im Pallaste, ohne daß jemand
es wagte sich zu regen, um seinen Herrn zu befreyen.
Der Gouverneur war keinen Augenblick am Bord gewe-
sen, als sein Kopf mitten von einander gespalten wur-
de. -- Kämpfer erzählt diese Geschichte auch.

Kennt man den Stolz, die Gerechtigkeitsliebe und
den Muth der Japaner, so verwundert man sich gewiß
nicht, daß sie, wenn sie beleidigt worden sind, ganz un-
versöhnlich gegen ihre Feinde sind. Dies geht so weit,
daß sie jede Beleidigung dem andern beständig, wäre es
auch noch so lange, nachtragen. Nichts kann sie aus-
söhnen. Aber sie lassen ihren Groll nicht in Hitze aus-
brechen, sondern wissen ihn unter einer unnachahmlichen
Kaltblütigkeit zu verbergen, und auf Gelegenheit, wo
sie sich rächen können, zu lauern. Nie habe ich unter
irgend einem Volke Menschen gesehen, die der Leiden-
schaft des Zorns so wenig unterworfen sind, als sie. Man
kann fast sagen, daß sie nie hitzig werden. Man mag
sie schelten, schmähen, ihre Ehre beleidigen, so sehr man
will: sie antworten nicht ein einziges Wort, sondern
geben nur durch ein langsames ä ä gleichsam ihr großes
Befremden zu erkennen. Aber so schweigend fassen sie ge-
gen den andern den bittersten Haß, der hernach weder
durch Gutmachen der Beleidigung, durch Schadener-
setzung, durch Wiederherstellung der Ehre, noch durch
die Länge der Zeit, noch durch veränderte Umstände je-
mahls ausgelöscht werden kann. Sie pflegen daher ih-
rem Feinde nicht leicht durch ein unhöfliches Wort oder
eine unhöfliche Miene zu nahe zu kommen, sondern viel-

Beſchaffenheit u. Charakter der Japaner.
um Vortritt beym Statthalter. Kaum waren ſie in ſei-
nem Zimmer, als ſie alle zugleich die Saͤbel zogen, ihn
gefangen nahmen und unverzuͤglich nach ihrem Schiffe
brachten. Dies geſchah am hellen Tage, im Angeſicht
der Wache und aller Leute im Pallaſte, ohne daß jemand
es wagte ſich zu regen, um ſeinen Herrn zu befreyen.
Der Gouverneur war keinen Augenblick am Bord gewe-
ſen, als ſein Kopf mitten von einander geſpalten wur-
de. — Kaͤmpfer erzaͤhlt dieſe Geſchichte auch.

Kennt man den Stolz, die Gerechtigkeitsliebe und
den Muth der Japaner, ſo verwundert man ſich gewiß
nicht, daß ſie, wenn ſie beleidigt worden ſind, ganz un-
verſoͤhnlich gegen ihre Feinde ſind. Dies geht ſo weit,
daß ſie jede Beleidigung dem andern beſtaͤndig, waͤre es
auch noch ſo lange, nachtragen. Nichts kann ſie aus-
ſoͤhnen. Aber ſie laſſen ihren Groll nicht in Hitze aus-
brechen, ſondern wiſſen ihn unter einer unnachahmlichen
Kaltbluͤtigkeit zu verbergen, und auf Gelegenheit, wo
ſie ſich raͤchen koͤnnen, zu lauern. Nie habe ich unter
irgend einem Volke Menſchen geſehen, die der Leiden-
ſchaft des Zorns ſo wenig unterworfen ſind, als ſie. Man
kann faſt ſagen, daß ſie nie hitzig werden. Man mag
ſie ſchelten, ſchmaͤhen, ihre Ehre beleidigen, ſo ſehr man
will: ſie antworten nicht ein einziges Wort, ſondern
geben nur durch ein langſames aͤ aͤ gleichſam ihr großes
Befremden zu erkennen. Aber ſo ſchweigend faſſen ſie ge-
gen den andern den bitterſten Haß, der hernach weder
durch Gutmachen der Beleidigung, durch Schadener-
ſetzung, durch Wiederherſtellung der Ehre, noch durch
die Laͤnge der Zeit, noch durch veraͤnderte Umſtaͤnde je-
mahls ausgeloͤſcht werden kann. Sie pflegen daher ih-
rem Feinde nicht leicht durch ein unhoͤfliches Wort oder
eine unhoͤfliche Miene zu nahe zu kommen, ſondern viel-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <p><pb facs="#f0199" n="165"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Be&#x017F;chaffenheit u. Charakter der Japaner.</hi></fw><lb/>
um Vortritt beym Statthalter. Kaum waren &#x017F;ie in &#x017F;ei-<lb/>
nem Zimmer, als &#x017F;ie alle zugleich die Sa&#x0364;bel zogen, ihn<lb/>
gefangen nahmen und unverzu&#x0364;glich nach ihrem Schiffe<lb/>
brachten. Dies ge&#x017F;chah am hellen Tage, im Ange&#x017F;icht<lb/>
der Wache und aller Leute im Palla&#x017F;te, ohne daß jemand<lb/>
es wagte &#x017F;ich zu regen, um &#x017F;einen Herrn zu befreyen.<lb/>
Der Gouverneur war keinen Augenblick am Bord gewe-<lb/>
&#x017F;en, als &#x017F;ein Kopf mitten von einander ge&#x017F;palten wur-<lb/>
de. &#x2014; <persName>Ka&#x0364;mpfer</persName> erza&#x0364;hlt die&#x017F;e Ge&#x017F;chichte auch.</p><lb/>
          <p>Kennt man den Stolz, die Gerechtigkeitsliebe und<lb/>
den Muth der Japaner, &#x017F;o verwundert man &#x017F;ich gewiß<lb/>
nicht, daß &#x017F;ie, wenn &#x017F;ie beleidigt worden &#x017F;ind, ganz un-<lb/>
ver&#x017F;o&#x0364;hnlich gegen ihre Feinde &#x017F;ind. Dies geht &#x017F;o weit,<lb/>
daß &#x017F;ie jede Beleidigung dem andern be&#x017F;ta&#x0364;ndig, wa&#x0364;re es<lb/>
auch noch &#x017F;o lange, nachtragen. Nichts kann &#x017F;ie aus-<lb/>
&#x017F;o&#x0364;hnen. Aber &#x017F;ie la&#x017F;&#x017F;en ihren Groll nicht in Hitze aus-<lb/>
brechen, &#x017F;ondern wi&#x017F;&#x017F;en ihn unter einer unnachahmlichen<lb/>
Kaltblu&#x0364;tigkeit zu verbergen, und auf Gelegenheit, wo<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich ra&#x0364;chen ko&#x0364;nnen, zu lauern. Nie habe ich unter<lb/>
irgend einem Volke Men&#x017F;chen ge&#x017F;ehen, die der Leiden-<lb/>
&#x017F;chaft des Zorns &#x017F;o wenig unterworfen &#x017F;ind, als &#x017F;ie. Man<lb/>
kann fa&#x017F;t &#x017F;agen, daß &#x017F;ie nie hitzig werden. Man mag<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;chelten, &#x017F;chma&#x0364;hen, ihre Ehre beleidigen, &#x017F;o &#x017F;ehr man<lb/>
will: &#x017F;ie antworten nicht ein einziges Wort, &#x017F;ondern<lb/>
geben nur durch ein lang&#x017F;ames a&#x0364; a&#x0364; gleich&#x017F;am ihr großes<lb/>
Befremden zu erkennen. Aber &#x017F;o &#x017F;chweigend fa&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie ge-<lb/>
gen den andern den bitter&#x017F;ten Haß, der hernach weder<lb/>
durch Gutmachen der Beleidigung, durch Schadener-<lb/>
&#x017F;etzung, durch Wiederher&#x017F;tellung der Ehre, noch durch<lb/>
die La&#x0364;nge der Zeit, noch durch vera&#x0364;nderte Um&#x017F;ta&#x0364;nde je-<lb/>
mahls ausgelo&#x0364;&#x017F;cht werden kann. Sie pflegen daher ih-<lb/>
rem Feinde nicht leicht durch ein unho&#x0364;fliches Wort oder<lb/>
eine unho&#x0364;fliche Miene zu nahe zu kommen, &#x017F;ondern viel-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[165/0199] Beſchaffenheit u. Charakter der Japaner. um Vortritt beym Statthalter. Kaum waren ſie in ſei- nem Zimmer, als ſie alle zugleich die Saͤbel zogen, ihn gefangen nahmen und unverzuͤglich nach ihrem Schiffe brachten. Dies geſchah am hellen Tage, im Angeſicht der Wache und aller Leute im Pallaſte, ohne daß jemand es wagte ſich zu regen, um ſeinen Herrn zu befreyen. Der Gouverneur war keinen Augenblick am Bord gewe- ſen, als ſein Kopf mitten von einander geſpalten wur- de. — Kaͤmpfer erzaͤhlt dieſe Geſchichte auch. Kennt man den Stolz, die Gerechtigkeitsliebe und den Muth der Japaner, ſo verwundert man ſich gewiß nicht, daß ſie, wenn ſie beleidigt worden ſind, ganz un- verſoͤhnlich gegen ihre Feinde ſind. Dies geht ſo weit, daß ſie jede Beleidigung dem andern beſtaͤndig, waͤre es auch noch ſo lange, nachtragen. Nichts kann ſie aus- ſoͤhnen. Aber ſie laſſen ihren Groll nicht in Hitze aus- brechen, ſondern wiſſen ihn unter einer unnachahmlichen Kaltbluͤtigkeit zu verbergen, und auf Gelegenheit, wo ſie ſich raͤchen koͤnnen, zu lauern. Nie habe ich unter irgend einem Volke Menſchen geſehen, die der Leiden- ſchaft des Zorns ſo wenig unterworfen ſind, als ſie. Man kann faſt ſagen, daß ſie nie hitzig werden. Man mag ſie ſchelten, ſchmaͤhen, ihre Ehre beleidigen, ſo ſehr man will: ſie antworten nicht ein einziges Wort, ſondern geben nur durch ein langſames aͤ aͤ gleichſam ihr großes Befremden zu erkennen. Aber ſo ſchweigend faſſen ſie ge- gen den andern den bitterſten Haß, der hernach weder durch Gutmachen der Beleidigung, durch Schadener- ſetzung, durch Wiederherſtellung der Ehre, noch durch die Laͤnge der Zeit, noch durch veraͤnderte Umſtaͤnde je- mahls ausgeloͤſcht werden kann. Sie pflegen daher ih- rem Feinde nicht leicht durch ein unhoͤfliches Wort oder eine unhoͤfliche Miene zu nahe zu kommen, ſondern viel-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thunberg_reisen02_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thunberg_reisen02_1794/199
Zitationshilfe: Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 2. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1794, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thunberg_reisen02_1794/199>, abgerufen am 24.11.2024.