um Vortritt beym Statthalter. Kaum waren sie in sei- nem Zimmer, als sie alle zugleich die Säbel zogen, ihn gefangen nahmen und unverzüglich nach ihrem Schiffe brachten. Dies geschah am hellen Tage, im Angesicht der Wache und aller Leute im Pallaste, ohne daß jemand es wagte sich zu regen, um seinen Herrn zu befreyen. Der Gouverneur war keinen Augenblick am Bord gewe- sen, als sein Kopf mitten von einander gespalten wur- de. -- Kämpfer erzählt diese Geschichte auch.
Kennt man den Stolz, die Gerechtigkeitsliebe und den Muth der Japaner, so verwundert man sich gewiß nicht, daß sie, wenn sie beleidigt worden sind, ganz un- versöhnlich gegen ihre Feinde sind. Dies geht so weit, daß sie jede Beleidigung dem andern beständig, wäre es auch noch so lange, nachtragen. Nichts kann sie aus- söhnen. Aber sie lassen ihren Groll nicht in Hitze aus- brechen, sondern wissen ihn unter einer unnachahmlichen Kaltblütigkeit zu verbergen, und auf Gelegenheit, wo sie sich rächen können, zu lauern. Nie habe ich unter irgend einem Volke Menschen gesehen, die der Leiden- schaft des Zorns so wenig unterworfen sind, als sie. Man kann fast sagen, daß sie nie hitzig werden. Man mag sie schelten, schmähen, ihre Ehre beleidigen, so sehr man will: sie antworten nicht ein einziges Wort, sondern geben nur durch ein langsames ä ä gleichsam ihr großes Befremden zu erkennen. Aber so schweigend fassen sie ge- gen den andern den bittersten Haß, der hernach weder durch Gutmachen der Beleidigung, durch Schadener- setzung, durch Wiederherstellung der Ehre, noch durch die Länge der Zeit, noch durch veränderte Umstände je- mahls ausgelöscht werden kann. Sie pflegen daher ih- rem Feinde nicht leicht durch ein unhöfliches Wort oder eine unhöfliche Miene zu nahe zu kommen, sondern viel-
Beſchaffenheit u. Charakter der Japaner.
um Vortritt beym Statthalter. Kaum waren ſie in ſei- nem Zimmer, als ſie alle zugleich die Saͤbel zogen, ihn gefangen nahmen und unverzuͤglich nach ihrem Schiffe brachten. Dies geſchah am hellen Tage, im Angeſicht der Wache und aller Leute im Pallaſte, ohne daß jemand es wagte ſich zu regen, um ſeinen Herrn zu befreyen. Der Gouverneur war keinen Augenblick am Bord gewe- ſen, als ſein Kopf mitten von einander geſpalten wur- de. — Kaͤmpfer erzaͤhlt dieſe Geſchichte auch.
Kennt man den Stolz, die Gerechtigkeitsliebe und den Muth der Japaner, ſo verwundert man ſich gewiß nicht, daß ſie, wenn ſie beleidigt worden ſind, ganz un- verſoͤhnlich gegen ihre Feinde ſind. Dies geht ſo weit, daß ſie jede Beleidigung dem andern beſtaͤndig, waͤre es auch noch ſo lange, nachtragen. Nichts kann ſie aus- ſoͤhnen. Aber ſie laſſen ihren Groll nicht in Hitze aus- brechen, ſondern wiſſen ihn unter einer unnachahmlichen Kaltbluͤtigkeit zu verbergen, und auf Gelegenheit, wo ſie ſich raͤchen koͤnnen, zu lauern. Nie habe ich unter irgend einem Volke Menſchen geſehen, die der Leiden- ſchaft des Zorns ſo wenig unterworfen ſind, als ſie. Man kann faſt ſagen, daß ſie nie hitzig werden. Man mag ſie ſchelten, ſchmaͤhen, ihre Ehre beleidigen, ſo ſehr man will: ſie antworten nicht ein einziges Wort, ſondern geben nur durch ein langſames aͤ aͤ gleichſam ihr großes Befremden zu erkennen. Aber ſo ſchweigend faſſen ſie ge- gen den andern den bitterſten Haß, der hernach weder durch Gutmachen der Beleidigung, durch Schadener- ſetzung, durch Wiederherſtellung der Ehre, noch durch die Laͤnge der Zeit, noch durch veraͤnderte Umſtaͤnde je- mahls ausgeloͤſcht werden kann. Sie pflegen daher ih- rem Feinde nicht leicht durch ein unhoͤfliches Wort oder eine unhoͤfliche Miene zu nahe zu kommen, ſondern viel-
<TEI><text><body><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0199"n="165"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Beſchaffenheit u. Charakter der Japaner.</hi></fw><lb/>
um Vortritt beym Statthalter. Kaum waren ſie in ſei-<lb/>
nem Zimmer, als ſie alle zugleich die Saͤbel zogen, ihn<lb/>
gefangen nahmen und unverzuͤglich nach ihrem Schiffe<lb/>
brachten. Dies geſchah am hellen Tage, im Angeſicht<lb/>
der Wache und aller Leute im Pallaſte, ohne daß jemand<lb/>
es wagte ſich zu regen, um ſeinen Herrn zu befreyen.<lb/>
Der Gouverneur war keinen Augenblick am Bord gewe-<lb/>ſen, als ſein Kopf mitten von einander geſpalten wur-<lb/>
de. —<persName>Kaͤmpfer</persName> erzaͤhlt dieſe Geſchichte auch.</p><lb/><p>Kennt man den Stolz, die Gerechtigkeitsliebe und<lb/>
den Muth der Japaner, ſo verwundert man ſich gewiß<lb/>
nicht, daß ſie, wenn ſie beleidigt worden ſind, ganz un-<lb/>
verſoͤhnlich gegen ihre Feinde ſind. Dies geht ſo weit,<lb/>
daß ſie jede Beleidigung dem andern beſtaͤndig, waͤre es<lb/>
auch noch ſo lange, nachtragen. Nichts kann ſie aus-<lb/>ſoͤhnen. Aber ſie laſſen ihren Groll nicht in Hitze aus-<lb/>
brechen, ſondern wiſſen ihn unter einer unnachahmlichen<lb/>
Kaltbluͤtigkeit zu verbergen, und auf Gelegenheit, wo<lb/>ſie ſich raͤchen koͤnnen, zu lauern. Nie habe ich unter<lb/>
irgend einem Volke Menſchen geſehen, die der Leiden-<lb/>ſchaft des Zorns ſo wenig unterworfen ſind, als ſie. Man<lb/>
kann faſt ſagen, daß ſie nie hitzig werden. Man mag<lb/>ſie ſchelten, ſchmaͤhen, ihre Ehre beleidigen, ſo ſehr man<lb/>
will: ſie antworten nicht ein einziges Wort, ſondern<lb/>
geben nur durch ein langſames aͤ aͤ gleichſam ihr großes<lb/>
Befremden zu erkennen. Aber ſo ſchweigend faſſen ſie ge-<lb/>
gen den andern den bitterſten Haß, der hernach weder<lb/>
durch Gutmachen der Beleidigung, durch Schadener-<lb/>ſetzung, durch Wiederherſtellung der Ehre, noch durch<lb/>
die Laͤnge der Zeit, noch durch veraͤnderte Umſtaͤnde je-<lb/>
mahls ausgeloͤſcht werden kann. Sie pflegen daher ih-<lb/>
rem Feinde nicht leicht durch ein unhoͤfliches Wort oder<lb/>
eine unhoͤfliche Miene zu nahe zu kommen, ſondern viel-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[165/0199]
Beſchaffenheit u. Charakter der Japaner.
um Vortritt beym Statthalter. Kaum waren ſie in ſei-
nem Zimmer, als ſie alle zugleich die Saͤbel zogen, ihn
gefangen nahmen und unverzuͤglich nach ihrem Schiffe
brachten. Dies geſchah am hellen Tage, im Angeſicht
der Wache und aller Leute im Pallaſte, ohne daß jemand
es wagte ſich zu regen, um ſeinen Herrn zu befreyen.
Der Gouverneur war keinen Augenblick am Bord gewe-
ſen, als ſein Kopf mitten von einander geſpalten wur-
de. — Kaͤmpfer erzaͤhlt dieſe Geſchichte auch.
Kennt man den Stolz, die Gerechtigkeitsliebe und
den Muth der Japaner, ſo verwundert man ſich gewiß
nicht, daß ſie, wenn ſie beleidigt worden ſind, ganz un-
verſoͤhnlich gegen ihre Feinde ſind. Dies geht ſo weit,
daß ſie jede Beleidigung dem andern beſtaͤndig, waͤre es
auch noch ſo lange, nachtragen. Nichts kann ſie aus-
ſoͤhnen. Aber ſie laſſen ihren Groll nicht in Hitze aus-
brechen, ſondern wiſſen ihn unter einer unnachahmlichen
Kaltbluͤtigkeit zu verbergen, und auf Gelegenheit, wo
ſie ſich raͤchen koͤnnen, zu lauern. Nie habe ich unter
irgend einem Volke Menſchen geſehen, die der Leiden-
ſchaft des Zorns ſo wenig unterworfen ſind, als ſie. Man
kann faſt ſagen, daß ſie nie hitzig werden. Man mag
ſie ſchelten, ſchmaͤhen, ihre Ehre beleidigen, ſo ſehr man
will: ſie antworten nicht ein einziges Wort, ſondern
geben nur durch ein langſames aͤ aͤ gleichſam ihr großes
Befremden zu erkennen. Aber ſo ſchweigend faſſen ſie ge-
gen den andern den bitterſten Haß, der hernach weder
durch Gutmachen der Beleidigung, durch Schadener-
ſetzung, durch Wiederherſtellung der Ehre, noch durch
die Laͤnge der Zeit, noch durch veraͤnderte Umſtaͤnde je-
mahls ausgeloͤſcht werden kann. Sie pflegen daher ih-
rem Feinde nicht leicht durch ein unhoͤfliches Wort oder
eine unhoͤfliche Miene zu nahe zu kommen, ſondern viel-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 2. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1794, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thunberg_reisen02_1794/199>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.