müssen sich ganz vorzüglich der Reinlichkeit befleißigen, und daher oft in kaltem Wasser baden; auf den Gebir- gen leben sie bloß von Wurzeln und Kräutern. Uebri- gens kann man sie mit den Zigeunern vergleichen; sie streifen baarfuß das ganze Land durch, und heilen Krankheiten, schaffen gestohlne Sachen wieder, wahr- sagen und so weiter.
Nonnenklöster sind, schon länger als seit tausend Jahren, gestiftet, obwohl ihre Anzahl den in Europa vorhandenen bey weitem nicht gleich kommt.
Alle Orden und Secten haben allezeit ihr Ober- haupt oder ihren General zu Miako, und bey jedem Tempel oder Kloster ihre Vorsteher. Ausserdem ha- ben sie auch am Hofe des weltlichen Kaisers zu Jedo ihre geistlichen Bevollmächtigten, die in den zwischen ih- nen in weltlichen Angelegenheiten in den Provinzen ent- standnen Streitigkeiten, wie auch über die Verbrechen geistlicher Personen, entscheiden; wenn aber ein Todes- urtheil an solchen vollzogen werden soll, so muß es vor- her allezeit vom Ordensoberhaupte unterschrieben seyn.
Die mit Titeln versehenen Geistlichen, sowohl bey Hofe zu Miako und zu Jedo, als bey den Tem- peln im Lande, haben, nach Rang und Würden, ihre besondre Kleidung. Unter andern sah ich einen solchen Prälaten in der Nähe eines Klosters vor der Stadt Nan- gasacki, der lange, fast auf die Erde gehende, Bein- kleider und einen weiten Mantel mit einer langen Schleppe anhatte. Er war ein sehr freundlicher und leutseliger Mann, und ließ sich vermittelst der Dol- metscher in eine lange Unterredung mit mir über aller- hand Dinge ein, die mir aber bey weitem nicht so viel Vergnügen machte, als die um seinen Tempel stehen- den Gewächse und Sträuche.
Erſte Abtheilung. Zweyter Abſchnitt.
muͤſſen ſich ganz vorzuͤglich der Reinlichkeit befleißigen, und daher oft in kaltem Waſſer baden; auf den Gebir- gen leben ſie bloß von Wurzeln und Kraͤutern. Uebri- gens kann man ſie mit den Zigeunern vergleichen; ſie ſtreifen baarfuß das ganze Land durch, und heilen Krankheiten, ſchaffen geſtohlne Sachen wieder, wahr- ſagen und ſo weiter.
Nonnenkloͤſter ſind, ſchon laͤnger als ſeit tauſend Jahren, geſtiftet, obwohl ihre Anzahl den in Europa vorhandenen bey weitem nicht gleich kommt.
Alle Orden und Secten haben allezeit ihr Ober- haupt oder ihren General zu Miako, und bey jedem Tempel oder Kloſter ihre Vorſteher. Auſſerdem ha- ben ſie auch am Hofe des weltlichen Kaiſers zu Jedo ihre geiſtlichen Bevollmaͤchtigten, die in den zwiſchen ih- nen in weltlichen Angelegenheiten in den Provinzen ent- ſtandnen Streitigkeiten, wie auch uͤber die Verbrechen geiſtlicher Perſonen, entſcheiden; wenn aber ein Todes- urtheil an ſolchen vollzogen werden ſoll, ſo muß es vor- her allezeit vom Ordensoberhaupte unterſchrieben ſeyn.
Die mit Titeln verſehenen Geiſtlichen, ſowohl bey Hofe zu Miako und zu Jedo, als bey den Tem- peln im Lande, haben, nach Rang und Wuͤrden, ihre beſondre Kleidung. Unter andern ſah ich einen ſolchen Praͤlaten in der Naͤhe eines Kloſters vor der Stadt Nan- gaſacki, der lange, faſt auf die Erde gehende, Bein- kleider und einen weiten Mantel mit einer langen Schleppe anhatte. Er war ein ſehr freundlicher und leutſeliger Mann, und ließ ſich vermittelſt der Dol- metſcher in eine lange Unterredung mit mir uͤber aller- hand Dinge ein, die mir aber bey weitem nicht ſo viel Vergnuͤgen machte, als die um ſeinen Tempel ſtehen- den Gewaͤchſe und Straͤuche.
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Erſte Abtheilung. Zweyter Abſchnitt.
muͤſſen ſich ganz vorzuͤglich der Reinlichkeit befleißigen,
und daher oft in kaltem Waſſer baden; auf den Gebir-
gen leben ſie bloß von Wurzeln und Kraͤutern. Uebri-
gens kann man ſie mit den Zigeunern vergleichen; ſie
ſtreifen baarfuß das ganze Land durch, und heilen
Krankheiten, ſchaffen geſtohlne Sachen wieder, wahr-
ſagen und ſo weiter.
Nonnenkloͤſter ſind, ſchon laͤnger als ſeit tauſend
Jahren, geſtiftet, obwohl ihre Anzahl den in Europa
vorhandenen bey weitem nicht gleich kommt.
Alle Orden und Secten haben allezeit ihr Ober-
haupt oder ihren General zu Miako, und bey jedem
Tempel oder Kloſter ihre Vorſteher. Auſſerdem ha-
ben ſie auch am Hofe des weltlichen Kaiſers zu Jedo
ihre geiſtlichen Bevollmaͤchtigten, die in den zwiſchen ih-
nen in weltlichen Angelegenheiten in den Provinzen ent-
ſtandnen Streitigkeiten, wie auch uͤber die Verbrechen
geiſtlicher Perſonen, entſcheiden; wenn aber ein Todes-
urtheil an ſolchen vollzogen werden ſoll, ſo muß es vor-
her allezeit vom Ordensoberhaupte unterſchrieben ſeyn.
Die mit Titeln verſehenen Geiſtlichen, ſowohl
bey Hofe zu Miako und zu Jedo, als bey den Tem-
peln im Lande, haben, nach Rang und Wuͤrden, ihre
beſondre Kleidung. Unter andern ſah ich einen ſolchen
Praͤlaten in der Naͤhe eines Kloſters vor der Stadt Nan-
gaſacki, der lange, faſt auf die Erde gehende, Bein-
kleider und einen weiten Mantel mit einer langen
Schleppe anhatte. Er war ein ſehr freundlicher und
leutſeliger Mann, und ließ ſich vermittelſt der Dol-
metſcher in eine lange Unterredung mit mir uͤber aller-
hand Dinge ein, die mir aber bey weitem nicht ſo viel
Vergnuͤgen machte, als die um ſeinen Tempel ſtehen-
den Gewaͤchſe und Straͤuche.
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Thunberg, Carl Peter: Reisen durch einen Theil von Europa, Afrika und Asien [...] in den Jahren 1770 bis 1779. Bd. 2. Übers. v. Christian Heinrich Groskurd. Berlin, 1794, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thunberg_reisen02_1794/314>, abgerufen am 24.11.2024.
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