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Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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ist keiner für die bildende Kunst. Die ängstigenden Träume eines wahnsinnigen Alten, die Gespenster, die er in seiner Einsamkeit sieht und die ihn durch falschen Reiz oder Entsetzen von seiner melancholischen Beschaulichkeit abziehen wollen, können nur in das Gebiet fratzenhafter Phantome fallen und auch nur phantastisch dargestellt werden, wenn es überhaupt erlaubt sein soll. Dagegen dort die weibliche Gestalt, welche sich edel zeigen will und zugleich reizend, eine enthüllte Schönheit in der Fülle der Jugend, und die doch nur ein verkleidetes Gespenst ist; die wilden Gestalten umher, die durch den grellen Contrast sie noch mehr hervor heben, das Entsetzen des Alten, der sich im Vertrauen wieder zu finden sucht, diese Vermischung der widersprechendsten Gefühle ist durchaus widersinnig, und Schade um Talent und Kunst, die sich an dergleichen abarbeitend verschwenden und vernichten.

Ihr Zorn, sagte Dietrich, enthält das schönste Lob des Bildes. Ist denn nicht Alles, was den Menschen versucht, nur Gespenst, in die lockende Gestalt der Schönheit verhüllt, oder sich scheinbar mit nichtigem Entsetzen verpanzernd? Sollte eine Darstellung, wie jene, nicht gerade in unsern neuesten Tagen eine doppelte Bedeutung erhalten? Allen kommt diese Versuchung, die sich noch ihres Herzens nicht ganz bewußt sind; aber in jenem Heiligen sehen wir den festen und reinen Blick, der über die Furcht erhaben ist und längst die wahre unsichtbare Schönheit kennt, um Grauen und geringe

ist keiner für die bildende Kunst. Die ängstigenden Träume eines wahnsinnigen Alten, die Gespenster, die er in seiner Einsamkeit sieht und die ihn durch falschen Reiz oder Entsetzen von seiner melancholischen Beschaulichkeit abziehen wollen, können nur in das Gebiet fratzenhafter Phantome fallen und auch nur phantastisch dargestellt werden, wenn es überhaupt erlaubt sein soll. Dagegen dort die weibliche Gestalt, welche sich edel zeigen will und zugleich reizend, eine enthüllte Schönheit in der Fülle der Jugend, und die doch nur ein verkleidetes Gespenst ist; die wilden Gestalten umher, die durch den grellen Contrast sie noch mehr hervor heben, das Entsetzen des Alten, der sich im Vertrauen wieder zu finden sucht, diese Vermischung der widersprechendsten Gefühle ist durchaus widersinnig, und Schade um Talent und Kunst, die sich an dergleichen abarbeitend verschwenden und vernichten.

Ihr Zorn, sagte Dietrich, enthält das schönste Lob des Bildes. Ist denn nicht Alles, was den Menschen versucht, nur Gespenst, in die lockende Gestalt der Schönheit verhüllt, oder sich scheinbar mit nichtigem Entsetzen verpanzernd? Sollte eine Darstellung, wie jene, nicht gerade in unsern neuesten Tagen eine doppelte Bedeutung erhalten? Allen kommt diese Versuchung, die sich noch ihres Herzens nicht ganz bewußt sind; aber in jenem Heiligen sehen wir den festen und reinen Blick, der über die Furcht erhaben ist und längst die wahre unsichtbare Schönheit kennt, um Grauen und geringe

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[0056] ist keiner für die bildende Kunst. Die ängstigenden Träume eines wahnsinnigen Alten, die Gespenster, die er in seiner Einsamkeit sieht und die ihn durch falschen Reiz oder Entsetzen von seiner melancholischen Beschaulichkeit abziehen wollen, können nur in das Gebiet fratzenhafter Phantome fallen und auch nur phantastisch dargestellt werden, wenn es überhaupt erlaubt sein soll. Dagegen dort die weibliche Gestalt, welche sich edel zeigen will und zugleich reizend, eine enthüllte Schönheit in der Fülle der Jugend, und die doch nur ein verkleidetes Gespenst ist; die wilden Gestalten umher, die durch den grellen Contrast sie noch mehr hervor heben, das Entsetzen des Alten, der sich im Vertrauen wieder zu finden sucht, diese Vermischung der widersprechendsten Gefühle ist durchaus widersinnig, und Schade um Talent und Kunst, die sich an dergleichen abarbeitend verschwenden und vernichten. Ihr Zorn, sagte Dietrich, enthält das schönste Lob des Bildes. Ist denn nicht Alles, was den Menschen versucht, nur Gespenst, in die lockende Gestalt der Schönheit verhüllt, oder sich scheinbar mit nichtigem Entsetzen verpanzernd? Sollte eine Darstellung, wie jene, nicht gerade in unsern neuesten Tagen eine doppelte Bedeutung erhalten? Allen kommt diese Versuchung, die sich noch ihres Herzens nicht ganz bewußt sind; aber in jenem Heiligen sehen wir den festen und reinen Blick, der über die Furcht erhaben ist und längst die wahre unsichtbare Schönheit kennt, um Grauen und geringe

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:27:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/56>, abgerufen am 19.05.2024.