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Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Der Fremde stand still, sah ihn an, und nach einer Pause antwortete er in kaltem Tone: das kann ich Ihnen freilich sagen; keiner besser als ich. -- Eduard erschrak, da er den Empfehlungsbrief in seinen Händen bemerkte. Will mich der Prinz nicht sprechen? fragte er bestürzt. Er spricht mit Ihnen, antworte Jener, und mit so höhnendem und wegwerfendem Tone, daß der junge Mann alle Fassung verlor. Ich halte mich schon seit einiger Zeit in dieser Stadt auf, fuhr der vornehme Fremde fort, und habe Gelegenheit gefunden, Menschen und Verhältnisse durch mein Incognito kennen zu lernen. Wir sind uns auf eine etwas sonderbare Art nahe gekommen, und wenn ich auch jenen Schritt, von dem Sie wohl selbst wissen, daß er kein ganz unschuldiger war, entschuldigen könnte, so hat er mir doch ein gerechtes Mißtrauen gegen Ihren Charakter eingeflößt, so daß ich unmöglich Ihnen eine Stelle einräumen kann, die uns in eine vertrauliche Nähe rücken würde. Ich gebe Ihnen also diesen Brief zurück, den ich, trotz seiner warmen Empfehlung, und obwohl er aus höchst achtungswürdigen Händen kommt, nicht berücksichtigen kann. Insofern Sie mich persönlich beleidigt haben, ist Ihnen, da Sie mich nicht kannten, völlig vergeben, und Ihre jetzige Beschämung und Verwirrung ist mehr als hinlängliche Strafe. Ein junger Mann verließ mich eben, von dem ich ein ziemlich wohlgerathenes Bild gekauft habe, und welchem ich auch einige Warnungen und gute Lehren für seine Zukunft mitgegeben habe. --

Der Fremde stand still, sah ihn an, und nach einer Pause antwortete er in kaltem Tone: das kann ich Ihnen freilich sagen; keiner besser als ich. — Eduard erschrak, da er den Empfehlungsbrief in seinen Händen bemerkte. Will mich der Prinz nicht sprechen? fragte er bestürzt. Er spricht mit Ihnen, antworte Jener, und mit so höhnendem und wegwerfendem Tone, daß der junge Mann alle Fassung verlor. Ich halte mich schon seit einiger Zeit in dieser Stadt auf, fuhr der vornehme Fremde fort, und habe Gelegenheit gefunden, Menschen und Verhältnisse durch mein Incognito kennen zu lernen. Wir sind uns auf eine etwas sonderbare Art nahe gekommen, und wenn ich auch jenen Schritt, von dem Sie wohl selbst wissen, daß er kein ganz unschuldiger war, entschuldigen könnte, so hat er mir doch ein gerechtes Mißtrauen gegen Ihren Charakter eingeflößt, so daß ich unmöglich Ihnen eine Stelle einräumen kann, die uns in eine vertrauliche Nähe rücken würde. Ich gebe Ihnen also diesen Brief zurück, den ich, trotz seiner warmen Empfehlung, und obwohl er aus höchst achtungswürdigen Händen kommt, nicht berücksichtigen kann. Insofern Sie mich persönlich beleidigt haben, ist Ihnen, da Sie mich nicht kannten, völlig vergeben, und Ihre jetzige Beschämung und Verwirrung ist mehr als hinlängliche Strafe. Ein junger Mann verließ mich eben, von dem ich ein ziemlich wohlgerathenes Bild gekauft habe, und welchem ich auch einige Warnungen und gute Lehren für seine Zukunft mitgegeben habe. —

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[0086] Der Fremde stand still, sah ihn an, und nach einer Pause antwortete er in kaltem Tone: das kann ich Ihnen freilich sagen; keiner besser als ich. — Eduard erschrak, da er den Empfehlungsbrief in seinen Händen bemerkte. Will mich der Prinz nicht sprechen? fragte er bestürzt. Er spricht mit Ihnen, antworte Jener, und mit so höhnendem und wegwerfendem Tone, daß der junge Mann alle Fassung verlor. Ich halte mich schon seit einiger Zeit in dieser Stadt auf, fuhr der vornehme Fremde fort, und habe Gelegenheit gefunden, Menschen und Verhältnisse durch mein Incognito kennen zu lernen. Wir sind uns auf eine etwas sonderbare Art nahe gekommen, und wenn ich auch jenen Schritt, von dem Sie wohl selbst wissen, daß er kein ganz unschuldiger war, entschuldigen könnte, so hat er mir doch ein gerechtes Mißtrauen gegen Ihren Charakter eingeflößt, so daß ich unmöglich Ihnen eine Stelle einräumen kann, die uns in eine vertrauliche Nähe rücken würde. Ich gebe Ihnen also diesen Brief zurück, den ich, trotz seiner warmen Empfehlung, und obwohl er aus höchst achtungswürdigen Händen kommt, nicht berücksichtigen kann. Insofern Sie mich persönlich beleidigt haben, ist Ihnen, da Sie mich nicht kannten, völlig vergeben, und Ihre jetzige Beschämung und Verwirrung ist mehr als hinlängliche Strafe. Ein junger Mann verließ mich eben, von dem ich ein ziemlich wohlgerathenes Bild gekauft habe, und welchem ich auch einige Warnungen und gute Lehren für seine Zukunft mitgegeben habe. —

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:27:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:27:02Z)

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/86>, abgerufen am 04.12.2024.