Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

dramatischem Leben, wenn z. B. Kunstkenner ein angeblich altes Gemälde preisen, von welchem der Leser im Voraus weiß, daß es untergeschoben ist, und wenn die komische Wirkung sich äußert, indem Derjenige, der in einem Falle als der größere Kenner den Betrug durchschaute und triumphirend aufdeckte, in einem andern Falle sich um so ärger prellen läßt. Zwar kündigt sich schon, mehr als zu wünschen, das ungebührlich viele Reden und dessen Manierirtheit an; auch steht dicht neben dem Geistreichen schon das Gegentheil desselben, so daß man voraussieht, was der Dichter nach beiden Seiten noch wird leisten können: aber Witz und Geist sind siegreich überwiegend; die wenige Handlung ist einfach und natürlich ; das Ganze voll heiterer Anmuth; und die Glückskatastrophe bricht artig überraschend herein. Persönliche Anspielungen, die hier auf sich beruhen bleiben, mögen den Reiz der Novelle bei den Zeitgenossen geschärft haben. Was jedoch diesen Reiz und die Zeitgemäßheit erhöhte, das war, daß der alte Mystiker und Anhänger des ästhetischen Katholicismus, dem man selbst nachsagte, daß er katholisch geworden sei (Frau und Tochter waren übergetreten), hier auf einmal die Kunstjünger seines Franz Sternbald, die christlichen Maler "im sogenannten altdeutschen Rocke, die weißlichen Haare auf den Schultern hängend, und mit einem blonden Bärtchen", auf's Entschiedenste verspottete.

Noch höher stieg das frohe Erstaunen, als im nächsten Jähre, 1823, die "Verlobung" erschien, worin er von der Höhe des modernen Denkens herab dem Modepietismus den Krieg erklärte. Es war just die Zeit der falschen Wanderjahre, die er denn auch in dieser Novelle mit Worten der Verachtung geißelt; auch Fouque, der in der Vorrede zum "Zauberring" das Publicum unter-

dramatischem Leben, wenn z. B. Kunstkenner ein angeblich altes Gemälde preisen, von welchem der Leser im Voraus weiß, daß es untergeschoben ist, und wenn die komische Wirkung sich äußert, indem Derjenige, der in einem Falle als der größere Kenner den Betrug durchschaute und triumphirend aufdeckte, in einem andern Falle sich um so ärger prellen läßt. Zwar kündigt sich schon, mehr als zu wünschen, das ungebührlich viele Reden und dessen Manierirtheit an; auch steht dicht neben dem Geistreichen schon das Gegentheil desselben, so daß man voraussieht, was der Dichter nach beiden Seiten noch wird leisten können: aber Witz und Geist sind siegreich überwiegend; die wenige Handlung ist einfach und natürlich ; das Ganze voll heiterer Anmuth; und die Glückskatastrophe bricht artig überraschend herein. Persönliche Anspielungen, die hier auf sich beruhen bleiben, mögen den Reiz der Novelle bei den Zeitgenossen geschärft haben. Was jedoch diesen Reiz und die Zeitgemäßheit erhöhte, das war, daß der alte Mystiker und Anhänger des ästhetischen Katholicismus, dem man selbst nachsagte, daß er katholisch geworden sei (Frau und Tochter waren übergetreten), hier auf einmal die Kunstjünger seines Franz Sternbald, die christlichen Maler „im sogenannten altdeutschen Rocke, die weißlichen Haare auf den Schultern hängend, und mit einem blonden Bärtchen“, auf's Entschiedenste verspottete.

Noch höher stieg das frohe Erstaunen, als im nächsten Jähre, 1823, die „Verlobung“ erschien, worin er von der Höhe des modernen Denkens herab dem Modepietismus den Krieg erklärte. Es war just die Zeit der falschen Wanderjahre, die er denn auch in dieser Novelle mit Worten der Verachtung geißelt; auch Fouqué, der in der Vorrede zum „Zauberring“ das Publicum unter-

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div type="preface">
        <p><pb facs="#f0009"/>
dramatischem Leben, wenn z. B. Kunstkenner ein angeblich             altes Gemälde preisen, von welchem der Leser im Voraus weiß, daß es untergeschoben ist,             und wenn die komische Wirkung sich äußert, indem Derjenige, der in einem Falle als der             größere Kenner den Betrug durchschaute und triumphirend aufdeckte, in einem andern Falle             sich um so ärger prellen läßt. Zwar kündigt sich schon, mehr als zu wünschen, das             ungebührlich viele Reden und dessen Manierirtheit an; auch steht dicht neben dem             Geistreichen schon das Gegentheil desselben, so daß man voraussieht, was der Dichter             nach beiden Seiten noch wird leisten können: aber Witz und Geist sind siegreich             überwiegend; die wenige Handlung ist einfach und natürlich ; das Ganze voll heiterer             Anmuth; und die Glückskatastrophe bricht artig überraschend herein. Persönliche             Anspielungen, die hier auf sich beruhen bleiben, mögen den Reiz der Novelle bei den             Zeitgenossen geschärft haben. Was jedoch diesen Reiz und die Zeitgemäßheit erhöhte, das             war, daß der alte Mystiker und Anhänger des ästhetischen Katholicismus, dem man selbst             nachsagte, daß er katholisch geworden sei (Frau und Tochter waren übergetreten), hier             auf einmal die Kunstjünger seines Franz Sternbald, die christlichen Maler &#x201E;im             sogenannten altdeutschen Rocke, die weißlichen Haare auf den Schultern hängend, und mit             einem blonden Bärtchen&#x201C;, auf's Entschiedenste verspottete.</p><lb/>
        <p>Noch höher stieg das frohe Erstaunen, als im nächsten Jähre, 1823, die &#x201E;Verlobung&#x201C;             erschien, worin er von der Höhe des modernen Denkens herab dem Modepietismus den Krieg             erklärte. Es war just die Zeit der falschen Wanderjahre, die er denn auch in dieser             Novelle mit Worten der Verachtung geißelt; auch Fouqué, der in der Vorrede zum             &#x201E;Zauberring&#x201C; das Publicum unter-<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0009] dramatischem Leben, wenn z. B. Kunstkenner ein angeblich altes Gemälde preisen, von welchem der Leser im Voraus weiß, daß es untergeschoben ist, und wenn die komische Wirkung sich äußert, indem Derjenige, der in einem Falle als der größere Kenner den Betrug durchschaute und triumphirend aufdeckte, in einem andern Falle sich um so ärger prellen läßt. Zwar kündigt sich schon, mehr als zu wünschen, das ungebührlich viele Reden und dessen Manierirtheit an; auch steht dicht neben dem Geistreichen schon das Gegentheil desselben, so daß man voraussieht, was der Dichter nach beiden Seiten noch wird leisten können: aber Witz und Geist sind siegreich überwiegend; die wenige Handlung ist einfach und natürlich ; das Ganze voll heiterer Anmuth; und die Glückskatastrophe bricht artig überraschend herein. Persönliche Anspielungen, die hier auf sich beruhen bleiben, mögen den Reiz der Novelle bei den Zeitgenossen geschärft haben. Was jedoch diesen Reiz und die Zeitgemäßheit erhöhte, das war, daß der alte Mystiker und Anhänger des ästhetischen Katholicismus, dem man selbst nachsagte, daß er katholisch geworden sei (Frau und Tochter waren übergetreten), hier auf einmal die Kunstjünger seines Franz Sternbald, die christlichen Maler „im sogenannten altdeutschen Rocke, die weißlichen Haare auf den Schultern hängend, und mit einem blonden Bärtchen“, auf's Entschiedenste verspottete. Noch höher stieg das frohe Erstaunen, als im nächsten Jähre, 1823, die „Verlobung“ erschien, worin er von der Höhe des modernen Denkens herab dem Modepietismus den Krieg erklärte. Es war just die Zeit der falschen Wanderjahre, die er denn auch in dieser Novelle mit Worten der Verachtung geißelt; auch Fouqué, der in der Vorrede zum „Zauberring“ das Publicum unter-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:27:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:27:02Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/9
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/9>, abgerufen am 03.12.2024.