Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.richtet, dass er vor dem Romanschreiben immer zu beten und hieraus seine Eingebungen zu schöpfen pflege, erhält einen gutgezielten Hieb. Um dieser Gesinnungsäußerung willen, fand die Novelle den lebhaftesten Beifall der Gleichgesinnten. Man fühlte es wie Befreiung von einem Alp, das der erste Dichter nächst Goethe, wofür Tieck ziemlich unbestritten galt, so offen und freisinnig in die geistigen Kämpfe der Gegenwart eintrat, daß er, auch innerhalb des Protestantismus und einem Auswuchse desselben gegenüber eine protestantische Gesinnung bekannte. Das ist aber auch Alles, was sich zu Gunsten dieser Novelle sagen lässt: Handlung keine, die Figuren leblos, ja selbst ihre Reden so verschwommen und abgeblaßt, daß man die Partei der Frommen, wenn sie nicht gelegentlich ein paar Schlagwörter zum Besten gäbe, aus ihren eigenen Aeußerungen kaum als solche erkennen würde, sondern von ihrem Gegner auf Treu und Glauben hinnehmen müßte, daß sie es sei. An den gleichen Mängeln leiden in verschiedenen Abstufungen seine übrigen Novellen, die in den zwanziger und dreißiger Jahren erschienen und von welchen die "Ahnenprobe", die "Gesellschaft auf dem Lande", der "15 November" und etwa die "Wundersüchtigen" dem Kerne nach die bedeutendsten sein dürften*), nur daß eben auch hier der Kern leider von keiner festen gesunden Frucht umschlossen ist. Besonders Schade ist um die zweite der genannten, um die zu ihrer Zeit mit Jubel begrüßte sogenannte Zopfnovelle, die einer ernstlichen schönen Verherrlichung der alten-Fritzischen *) Die Romane "Aufruhr in den Cevennen" u. a., welche Tieck ebenfalls Novellen benannt hat, gehören nicht in dieses Gebiet.
richtet, dass er vor dem Romanschreiben immer zu beten und hieraus seine Eingebungen zu schöpfen pflege, erhält einen gutgezielten Hieb. Um dieser Gesinnungsäußerung willen, fand die Novelle den lebhaftesten Beifall der Gleichgesinnten. Man fühlte es wie Befreiung von einem Alp, das der erste Dichter nächst Goethe, wofür Tieck ziemlich unbestritten galt, so offen und freisinnig in die geistigen Kämpfe der Gegenwart eintrat, daß er, auch innerhalb des Protestantismus und einem Auswuchse desselben gegenüber eine protestantische Gesinnung bekannte. Das ist aber auch Alles, was sich zu Gunsten dieser Novelle sagen lässt: Handlung keine, die Figuren leblos, ja selbst ihre Reden so verschwommen und abgeblaßt, daß man die Partei der Frommen, wenn sie nicht gelegentlich ein paar Schlagwörter zum Besten gäbe, aus ihren eigenen Aeußerungen kaum als solche erkennen würde, sondern von ihrem Gegner auf Treu und Glauben hinnehmen müßte, daß sie es sei. An den gleichen Mängeln leiden in verschiedenen Abstufungen seine übrigen Novellen, die in den zwanziger und dreißiger Jahren erschienen und von welchen die „Ahnenprobe“, die „Gesellschaft auf dem Lande“, der “15 November“ und etwa die „Wundersüchtigen“ dem Kerne nach die bedeutendsten sein dürften*), nur daß eben auch hier der Kern leider von keiner festen gesunden Frucht umschlossen ist. Besonders Schade ist um die zweite der genannten, um die zu ihrer Zeit mit Jubel begrüßte sogenannte Zopfnovelle, die einer ernstlichen schönen Verherrlichung der alten-Fritzischen *) Die Romane „Aufruhr in den Cevennen“ u. a., welche Tieck ebenfalls Novellen benannt hat, gehören nicht in dieses Gebiet.
<TEI> <text> <front> <div type="preface"> <p><pb facs="#f0010"/> richtet, dass er vor dem Romanschreiben immer zu beten und hieraus seine Eingebungen zu schöpfen pflege, erhält einen gutgezielten Hieb. Um dieser Gesinnungsäußerung willen, fand die Novelle den lebhaftesten Beifall der Gleichgesinnten. Man fühlte es wie Befreiung von einem Alp, das der erste Dichter nächst Goethe, wofür Tieck ziemlich unbestritten galt, so offen und freisinnig in die geistigen Kämpfe der Gegenwart eintrat, daß er, auch innerhalb des Protestantismus und einem Auswuchse desselben gegenüber eine protestantische Gesinnung bekannte. Das ist aber auch Alles, was sich zu Gunsten dieser Novelle sagen lässt: Handlung keine, die Figuren leblos, ja selbst ihre Reden so verschwommen und abgeblaßt, daß man die Partei der Frommen, wenn sie nicht gelegentlich ein paar Schlagwörter zum Besten gäbe, aus ihren eigenen Aeußerungen kaum als solche erkennen würde, sondern von ihrem Gegner auf Treu und Glauben hinnehmen müßte, daß sie es sei.</p><lb/> <p>An den gleichen Mängeln leiden in verschiedenen Abstufungen seine übrigen Novellen, die in den zwanziger und dreißiger Jahren erschienen und von welchen die „Ahnenprobe“, die „Gesellschaft auf dem Lande“, der “15 November“ und etwa die „Wundersüchtigen“ dem Kerne nach die bedeutendsten sein dürften<note place="foot" n="*)">Die Romane „Aufruhr in den Cevennen“ u. a., welche Tieck ebenfalls Novellen benannt hat, gehören nicht in dieses Gebiet.</note>, nur daß eben auch hier der Kern leider von keiner festen gesunden Frucht umschlossen ist. Besonders Schade ist um die zweite der genannten, um die zu ihrer Zeit mit Jubel begrüßte sogenannte Zopfnovelle, die einer ernstlichen schönen Verherrlichung der alten-Fritzischen<lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [0010]
richtet, dass er vor dem Romanschreiben immer zu beten und hieraus seine Eingebungen zu schöpfen pflege, erhält einen gutgezielten Hieb. Um dieser Gesinnungsäußerung willen, fand die Novelle den lebhaftesten Beifall der Gleichgesinnten. Man fühlte es wie Befreiung von einem Alp, das der erste Dichter nächst Goethe, wofür Tieck ziemlich unbestritten galt, so offen und freisinnig in die geistigen Kämpfe der Gegenwart eintrat, daß er, auch innerhalb des Protestantismus und einem Auswuchse desselben gegenüber eine protestantische Gesinnung bekannte. Das ist aber auch Alles, was sich zu Gunsten dieser Novelle sagen lässt: Handlung keine, die Figuren leblos, ja selbst ihre Reden so verschwommen und abgeblaßt, daß man die Partei der Frommen, wenn sie nicht gelegentlich ein paar Schlagwörter zum Besten gäbe, aus ihren eigenen Aeußerungen kaum als solche erkennen würde, sondern von ihrem Gegner auf Treu und Glauben hinnehmen müßte, daß sie es sei.
An den gleichen Mängeln leiden in verschiedenen Abstufungen seine übrigen Novellen, die in den zwanziger und dreißiger Jahren erschienen und von welchen die „Ahnenprobe“, die „Gesellschaft auf dem Lande“, der “15 November“ und etwa die „Wundersüchtigen“ dem Kerne nach die bedeutendsten sein dürften *), nur daß eben auch hier der Kern leider von keiner festen gesunden Frucht umschlossen ist. Besonders Schade ist um die zweite der genannten, um die zu ihrer Zeit mit Jubel begrüßte sogenannte Zopfnovelle, die einer ernstlichen schönen Verherrlichung der alten-Fritzischen
*) Die Romane „Aufruhr in den Cevennen“ u. a., welche Tieck ebenfalls Novellen benannt hat, gehören nicht in dieses Gebiet.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T12:27:02Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T12:27:02Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |