Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

moralischen Betrachtungen seinen Antheil am Mahle verzehrte. Nun fehlt nur noch das Krokodill, rief Eulenböck aus, so sind wir beisammen. Dies war ein kleiner hypochondrischer Buchhalter, blaß und eingeschrumpft, aber einer der größten Trinker. Den sonderbaren Namen hatten sie ihm beigelegt, weil er alsbald, so wie ihn der kleinste Rausch anwandelte, in Thränen ausbrach und diese um so reichlicher vergoß, je länger das Gelag dauerte und je ausgelassener die Uebrigen waren. Die Thüre öffnete sich, und die Jammergestalt machte den wunderlichen Kreis der Gäste vollständig.

Die Tafel war mit Trüffelpasteten, Austern und andern Leckerbissen bedeckt; man setzte sich, und Eulenböck, dessen purpurrothes Gesicht zwischen den Kerzen einen ehrwürdigen Schein von sich gab, begann auf feierliche Weise also: Meine versammelten Freunde! Ein Unwissender, der plötzlich in diesen Saal träte, könnte von diesen Anstalten, die den Schein eines Festes haben, verleitet werden, im Fall er die Mitglieder dieser Gesellschaft nicht näher kennen sollte, die Meinung zu fassen, es sei hier auf Schwelgerei, Trinken, Tumult und ausgelassene Lustigkeit, die nur der rohen Menge ziemt, angelegt worden. Selbst ein junger Künstler, Dietrich mit Namen, der zum ersten Mal unter uns an diesem Tische sitzt, läßt verwundernde Blicke auf die Menge dieser Flaschen und Gerichte, auf diese Gansleberpastete, auf diese Austern und Muscheln und auf den ganzen Apparat einer Feierlichkeit schießen, der ihm

moralischen Betrachtungen seinen Antheil am Mahle verzehrte. Nun fehlt nur noch das Krokodill, rief Eulenböck aus, so sind wir beisammen. Dies war ein kleiner hypochondrischer Buchhalter, blaß und eingeschrumpft, aber einer der größten Trinker. Den sonderbaren Namen hatten sie ihm beigelegt, weil er alsbald, so wie ihn der kleinste Rausch anwandelte, in Thränen ausbrach und diese um so reichlicher vergoß, je länger das Gelag dauerte und je ausgelassener die Uebrigen waren. Die Thüre öffnete sich, und die Jammergestalt machte den wunderlichen Kreis der Gäste vollständig.

Die Tafel war mit Trüffelpasteten, Austern und andern Leckerbissen bedeckt; man setzte sich, und Eulenböck, dessen purpurrothes Gesicht zwischen den Kerzen einen ehrwürdigen Schein von sich gab, begann auf feierliche Weise also: Meine versammelten Freunde! Ein Unwissender, der plötzlich in diesen Saal träte, könnte von diesen Anstalten, die den Schein eines Festes haben, verleitet werden, im Fall er die Mitglieder dieser Gesellschaft nicht näher kennen sollte, die Meinung zu fassen, es sei hier auf Schwelgerei, Trinken, Tumult und ausgelassene Lustigkeit, die nur der rohen Menge ziemt, angelegt worden. Selbst ein junger Künstler, Dietrich mit Namen, der zum ersten Mal unter uns an diesem Tische sitzt, läßt verwundernde Blicke auf die Menge dieser Flaschen und Gerichte, auf diese Gansleberpastete, auf diese Austern und Muscheln und auf den ganzen Apparat einer Feierlichkeit schießen, der ihm

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="7">
        <p><pb facs="#f0098"/>
moralischen Betrachtungen                seinen Antheil am Mahle verzehrte. Nun fehlt nur noch das Krokodill, rief Eulenböck                aus, so sind wir beisammen. Dies war ein kleiner hypochondrischer Buchhalter, blaß                und eingeschrumpft, aber einer der größten Trinker. Den sonderbaren Namen hatten sie                ihm beigelegt, weil er alsbald, so wie ihn der kleinste Rausch anwandelte, in Thränen                ausbrach und diese um so reichlicher vergoß, je länger das Gelag dauerte und je                ausgelassener die Uebrigen waren. Die Thüre öffnete sich, und die Jammergestalt                machte den wunderlichen Kreis der Gäste vollständig.</p><lb/>
        <p>Die Tafel war mit Trüffelpasteten, Austern und andern Leckerbissen bedeckt; man                setzte sich, und Eulenböck, dessen purpurrothes Gesicht zwischen den Kerzen einen                ehrwürdigen Schein von sich gab, begann auf feierliche Weise also: Meine versammelten                Freunde! Ein Unwissender, der plötzlich in diesen Saal träte, könnte von diesen                Anstalten, die den Schein eines Festes haben, verleitet werden, im Fall er die                Mitglieder dieser Gesellschaft nicht näher kennen sollte, die Meinung zu fassen, es                sei hier auf Schwelgerei, Trinken, Tumult und ausgelassene Lustigkeit, die nur der                rohen Menge ziemt, angelegt worden. Selbst ein junger Künstler, Dietrich mit Namen,                der zum ersten Mal unter uns an diesem Tische sitzt, läßt verwundernde Blicke auf die                Menge dieser Flaschen und Gerichte, auf diese Gansleberpastete, auf diese Austern und                Muscheln und auf den ganzen Apparat einer Feierlichkeit schießen, der ihm<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0098] moralischen Betrachtungen seinen Antheil am Mahle verzehrte. Nun fehlt nur noch das Krokodill, rief Eulenböck aus, so sind wir beisammen. Dies war ein kleiner hypochondrischer Buchhalter, blaß und eingeschrumpft, aber einer der größten Trinker. Den sonderbaren Namen hatten sie ihm beigelegt, weil er alsbald, so wie ihn der kleinste Rausch anwandelte, in Thränen ausbrach und diese um so reichlicher vergoß, je länger das Gelag dauerte und je ausgelassener die Uebrigen waren. Die Thüre öffnete sich, und die Jammergestalt machte den wunderlichen Kreis der Gäste vollständig. Die Tafel war mit Trüffelpasteten, Austern und andern Leckerbissen bedeckt; man setzte sich, und Eulenböck, dessen purpurrothes Gesicht zwischen den Kerzen einen ehrwürdigen Schein von sich gab, begann auf feierliche Weise also: Meine versammelten Freunde! Ein Unwissender, der plötzlich in diesen Saal träte, könnte von diesen Anstalten, die den Schein eines Festes haben, verleitet werden, im Fall er die Mitglieder dieser Gesellschaft nicht näher kennen sollte, die Meinung zu fassen, es sei hier auf Schwelgerei, Trinken, Tumult und ausgelassene Lustigkeit, die nur der rohen Menge ziemt, angelegt worden. Selbst ein junger Künstler, Dietrich mit Namen, der zum ersten Mal unter uns an diesem Tische sitzt, läßt verwundernde Blicke auf die Menge dieser Flaschen und Gerichte, auf diese Gansleberpastete, auf diese Austern und Muscheln und auf den ganzen Apparat einer Feierlichkeit schießen, der ihm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:27:02Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:27:02Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/98
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Die Gemälde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–123. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_gemaelde_1910/98>, abgerufen am 04.12.2024.