Ich muß Dir endlich schreiben und sollte auch mein ganzer Brief nichts als die Wiederholung der Phrase enthalten, daß ich Dir nichts zu schreiben wüßte; ein Kunstgriff, der zuweilen von den gelehrten Alterthumsforschern auf die glück- lichste Art benutzt wird. -- Ich schäme mich meiner Nachlässigkeit und meine ungelenkigen Finger haben das Schreiben indeß verlernt; ora- torische Wendungen, Tropen, Metaphern und alle Arten von Figuren hab' ich rein vergessen, und ich selber spiele hier an meinem Schreib- pulte eine höchst armseelige Figur, indem ich die Feder beiße und mir mit der linken Hand in den Kopf kratze, um mich zu besinnen, was ich Dir wohl zu sagen haben könnte. Ich möchte den Brief gar gern ins Feuer werfen, aber es reut mich dann, daß ich ihn einmahl angefan- gen habe, und einen Brief mußt Du doch ir- gend einmahl von mir bekommen, daher will ich nur einen dreisten Trott fortreiten, ohne mich
12. Karl Wilmont an Mortimer.
Bonſtreet.
Ich muß Dir endlich ſchreiben und ſollte auch mein ganzer Brief nichts als die Wiederholung der Phraſe enthalten, daß ich Dir nichts zu ſchreiben wuͤßte; ein Kunſtgriff, der zuweilen von den gelehrten Alterthumsforſchern auf die gluͤck- lichſte Art benutzt wird. — Ich ſchaͤme mich meiner Nachlaͤſſigkeit und meine ungelenkigen Finger haben das Schreiben indeß verlernt; ora- toriſche Wendungen, Tropen, Metaphern und alle Arten von Figuren hab’ ich rein vergeſſen, und ich ſelber ſpiele hier an meinem Schreib- pulte eine hoͤchſt armſeelige Figur, indem ich die Feder beiße und mir mit der linken Hand in den Kopf kratze, um mich zu beſinnen, was ich Dir wohl zu ſagen haben koͤnnte. Ich moͤchte den Brief gar gern ins Feuer werfen, aber es reut mich dann, daß ich ihn einmahl angefan- gen habe, und einen Brief mußt Du doch ir- gend einmahl von mir bekommen, daher will ich nur einen dreiſten Trott fortreiten, ohne mich
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[126[124]/0134]
12.
Karl Wilmont an Mortimer.
Bonſtreet.
Ich muß Dir endlich ſchreiben und ſollte auch
mein ganzer Brief nichts als die Wiederholung
der Phraſe enthalten, daß ich Dir nichts zu
ſchreiben wuͤßte; ein Kunſtgriff, der zuweilen von
den gelehrten Alterthumsforſchern auf die gluͤck-
lichſte Art benutzt wird. — Ich ſchaͤme mich
meiner Nachlaͤſſigkeit und meine ungelenkigen
Finger haben das Schreiben indeß verlernt; ora-
toriſche Wendungen, Tropen, Metaphern und
alle Arten von Figuren hab’ ich rein vergeſſen,
und ich ſelber ſpiele hier an meinem Schreib-
pulte eine hoͤchſt armſeelige Figur, indem ich die
Feder beiße und mir mit der linken Hand in
den Kopf kratze, um mich zu beſinnen, was ich
Dir wohl zu ſagen haben koͤnnte. Ich moͤchte
den Brief gar gern ins Feuer werfen, aber es
reut mich dann, daß ich ihn einmahl angefan-
gen habe, und einen Brief mußt Du doch ir-
gend einmahl von mir bekommen, daher will ich
nur einen dreiſten Trott fortreiten, ohne mich
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 126[124]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/134>, abgerufen am 21.11.2024.
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