ßer Freund, wenn Du mir zuhörst, -- nachher magst Du mich tadeln: aber ich bedaure den, der mich tadelt, ohne mich zu beneiden. Ich bedaure die Thoren, die ewig von der Verächt- lichkeit der Sinnlichkeit schwatzen; in einer kläglichen Blindheit opfern sie einer ohnmächti- gen Gottheit, deren Gaben kein Herz befriedi- gen; sie klettern mühsam über dürre Felsen, um Blumen zu suchen und gehen bethört der blühenden Wiese vorüber. Nein, ich habe zum Dienste jener höheren Gottheit geschworen, vor der sich ehrerbietig die ganze lebende Natur neigt, die in sich jene abgesonderte Empfindung des Herzens vereinigt, die alles ist, Wollust, Liebe, für die die Sprache keine Worte, die Zunge keine Töne findet. -- -- Erst in Loui- sens Armen hab' ich die Liebe kennen lernen, die Erinnerung an Amalien erscheint mir wie in einer nächtlichen neblichten Ferne; ich habe sie nie geliebt.
Ich hatt' ihr Liebe zugeschworen, Ich Thor, mit Liebe unbekannt! Zu keiner Seeligkeit erkohren, In irrd'scher Nichtigkeit verlohren, Am schwarzgebrannten Felsenstrand.
ßer Freund, wenn Du mir zuhoͤrſt, — nachher magſt Du mich tadeln: aber ich bedaure den, der mich tadelt, ohne mich zu beneiden. Ich bedaure die Thoren, die ewig von der Veraͤcht- lichkeit der Sinnlichkeit ſchwatzen; in einer klaͤglichen Blindheit opfern ſie einer ohnmaͤchti- gen Gottheit, deren Gaben kein Herz befriedi- gen; ſie klettern muͤhſam uͤber duͤrre Felſen, um Blumen zu ſuchen und gehen bethoͤrt der bluͤhenden Wieſe voruͤber. Nein, ich habe zum Dienſte jener hoͤheren Gottheit geſchworen, vor der ſich ehrerbietig die ganze lebende Natur neigt, die in ſich jene abgeſonderte Empfindung des Herzens vereinigt, die alles iſt, Wolluſt, Liebe, fuͤr die die Sprache keine Worte, die Zunge keine Toͤne findet. — — Erſt in Loui- ſens Armen hab’ ich die Liebe kennen lernen, die Erinnerung an Amalien erſcheint mir wie in einer naͤchtlichen neblichten Ferne; ich habe ſie nie geliebt.
Ich hatt’ ihr Liebe zugeſchworen, Ich Thor, mit Liebe unbekannt! Zu keiner Seeligkeit erkohren, In irrd’ſcher Nichtigkeit verlohren, Am ſchwarzgebrannten Felſenſtrand.
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[169[167]/0177]
ßer Freund, wenn Du mir zuhoͤrſt, — nachher
magſt Du mich tadeln: aber ich bedaure den,
der mich tadelt, ohne mich zu beneiden. Ich
bedaure die Thoren, die ewig von der Veraͤcht-
lichkeit der Sinnlichkeit ſchwatzen; in einer
klaͤglichen Blindheit opfern ſie einer ohnmaͤchti-
gen Gottheit, deren Gaben kein Herz befriedi-
gen; ſie klettern muͤhſam uͤber duͤrre Felſen,
um Blumen zu ſuchen und gehen bethoͤrt der
bluͤhenden Wieſe voruͤber. Nein, ich habe zum
Dienſte jener hoͤheren Gottheit geſchworen, vor
der ſich ehrerbietig die ganze lebende Natur
neigt, die in ſich jene abgeſonderte Empfindung
des Herzens vereinigt, die alles iſt, Wolluſt,
Liebe, fuͤr die die Sprache keine Worte, die
Zunge keine Toͤne findet. — — Erſt in Loui-
ſens Armen hab’ ich die Liebe kennen lernen,
die Erinnerung an Amalien erſcheint mir wie
in einer naͤchtlichen neblichten Ferne; ich habe
ſie nie geliebt.
Ich hatt’ ihr Liebe zugeſchworen,
Ich Thor, mit Liebe unbekannt!
Zu keiner Seeligkeit erkohren,
In irrd’ſcher Nichtigkeit verlohren,
Am ſchwarzgebrannten Felſenſtrand.
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 169[167]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/177>, abgerufen am 24.11.2024.
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