tief und steht von den kalten Menschen eben so weit als von denen mit glühenden Gefühlen entfernt, er verehrt die Philosophie und liebt die Künste, ohne an ihnen mit Enthusiasmus zu hängen: aber vorzüglich werth ist er mir durch diese innige Menschenliebe geworden, mit der er jedem Unglücklichen entgegenkommt, durch diese Bereitwilligkeit, mit der sein Mitleid so schnell als seine Hülfe dem Elenden zugesichert wird. -- Für sich selbst empfindet er weniger, als für andre, denn er verbirgt gänzlich den Gram, den ihm der Prozeß mit dem Lord Bur- ton nothwendig machen muß, besonders da die Umstände für ihn nichts weniger als günstig seyn sollen. Ich nehme, seit ich ihn mehr ken- ne, den wärmsten Antheil an allem, was ihn betrifft: so wie ich, sind alle seine Bekannte sei- ne Freunde. --
Auch Deine Schwester habe ich mehrmals gesehn, sie grämt sich über Lovell's Abwesenheit, der sie wahrscheinlich öfter vergißt, als sie ihn, wie es denn überhaupt wohl gewiß ist, daß das Herz eines zarten weiblichen Geschöpfs fester und inniger an dem Gegenstande ihrer Liebe hängt, ihm mit weit schönern und bleibendern
tief und ſteht von den kalten Menſchen eben ſo weit als von denen mit gluͤhenden Gefuͤhlen entfernt, er verehrt die Philoſophie und liebt die Kuͤnſte, ohne an ihnen mit Enthuſiasmus zu haͤngen: aber vorzuͤglich werth iſt er mir durch dieſe innige Menſchenliebe geworden, mit der er jedem Ungluͤcklichen entgegenkommt, durch dieſe Bereitwilligkeit, mit der ſein Mitleid ſo ſchnell als ſeine Huͤlfe dem Elenden zugeſichert wird. — Fuͤr ſich ſelbſt empfindet er weniger, als fuͤr andre, denn er verbirgt gaͤnzlich den Gram, den ihm der Prozeß mit dem Lord Bur- ton nothwendig machen muß, beſonders da die Umſtaͤnde fuͤr ihn nichts weniger als guͤnſtig ſeyn ſollen. Ich nehme, ſeit ich ihn mehr ken- ne, den waͤrmſten Antheil an allem, was ihn betrifft: ſo wie ich, ſind alle ſeine Bekannte ſei- ne Freunde. —
Auch Deine Schweſter habe ich mehrmals geſehn, ſie graͤmt ſich uͤber Lovell’s Abweſenheit, der ſie wahrſcheinlich oͤfter vergißt, als ſie ihn, wie es denn uͤberhaupt wohl gewiß iſt, daß das Herz eines zarten weiblichen Geſchoͤpfs feſter und inniger an dem Gegenſtande ihrer Liebe haͤngt, ihm mit weit ſchoͤnern und bleibendern
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[198[196]/0206]
tief und ſteht von den kalten Menſchen eben ſo
weit als von denen mit gluͤhenden Gefuͤhlen
entfernt, er verehrt die Philoſophie und liebt
die Kuͤnſte, ohne an ihnen mit Enthuſiasmus
zu haͤngen: aber vorzuͤglich werth iſt er mir
durch dieſe innige Menſchenliebe geworden, mit
der er jedem Ungluͤcklichen entgegenkommt, durch
dieſe Bereitwilligkeit, mit der ſein Mitleid ſo
ſchnell als ſeine Huͤlfe dem Elenden zugeſichert
wird. — Fuͤr ſich ſelbſt empfindet er weniger,
als fuͤr andre, denn er verbirgt gaͤnzlich den
Gram, den ihm der Prozeß mit dem Lord Bur-
ton nothwendig machen muß, beſonders da die
Umſtaͤnde fuͤr ihn nichts weniger als guͤnſtig
ſeyn ſollen. Ich nehme, ſeit ich ihn mehr ken-
ne, den waͤrmſten Antheil an allem, was ihn
betrifft: ſo wie ich, ſind alle ſeine Bekannte ſei-
ne Freunde. —
Auch Deine Schweſter habe ich mehrmals
geſehn, ſie graͤmt ſich uͤber Lovell’s Abweſenheit,
der ſie wahrſcheinlich oͤfter vergißt, als ſie ihn,
wie es denn uͤberhaupt wohl gewiß iſt, daß das
Herz eines zarten weiblichen Geſchoͤpfs feſter
und inniger an dem Gegenſtande ihrer Liebe
haͤngt, ihm mit weit ſchoͤnern und bleibendern
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 198[196]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/206>, abgerufen am 21.11.2024.
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