glücklich fühlt, daß sie sich ihm nicht freiwillig in die Arme wirft; um kurz zu seyn: er ist un- glücklich, weil er glücklich ist, -- aber auch wie- der glücklich, weil er an Unglück Ueberfluß hat, denn glaube mir nur, er würde seine poetischen Leiden um vieles Geld nicht verkaufen.
Plötzlich kam die Nachricht: meine Schwe- ster solle von hier abreisen. Ihr Besuch bei mir und beim alten Burton war so immer schon von einer Woche zur andern verlängert; -- der Barometer stieg um viele Grade und immer mehr, je näher es dem Tage der Abreise kam. Fast Jedermann bemerkte seine Schwermuth, er behauptete aber jedem mit einer kecken verdros- senen Traurigkeit in's Gesicht: er wäre noch nie so aufgeräumt gewesen. Er machte sich itzt zu- weilen an mich und ging auf den Spatziergängen lange neben mir auf und ab; ich fürchtete im- mer, plötzlich in die Rolle eines Vertrauten ge- worfen zu werden, und unter Bedrohung des Todtschlages, des Untergangs der Welt, oder einer ähnlichen Kleinigkeit, ein öffentliches Ge- heimniß zu erfahren; aber nein, ich hatte geirrt, dazu hätt' ich wenigstens vorher mein Probestück in Seufzen und Weinen ablegen müssen. -- Mit
gluͤcklich fuͤhlt, daß ſie ſich ihm nicht freiwillig in die Arme wirft; um kurz zu ſeyn: er iſt un- gluͤcklich, weil er gluͤcklich iſt, — aber auch wie- der gluͤcklich, weil er an Ungluͤck Ueberfluß hat, denn glaube mir nur, er wuͤrde ſeine poetiſchen Leiden um vieles Geld nicht verkaufen.
Ploͤtzlich kam die Nachricht: meine Schwe- ſter ſolle von hier abreiſen. Ihr Beſuch bei mir und beim alten Burton war ſo immer ſchon von einer Woche zur andern verlaͤngert; — der Barometer ſtieg um viele Grade und immer mehr, je naͤher es dem Tage der Abreiſe kam. Faſt Jedermann bemerkte ſeine Schwermuth, er behauptete aber jedem mit einer kecken verdroſ- ſenen Traurigkeit in’s Geſicht: er waͤre noch nie ſo aufgeraͤumt geweſen. Er machte ſich itzt zu- weilen an mich und ging auf den Spatziergaͤngen lange neben mir auf und ab; ich fuͤrchtete im- mer, ploͤtzlich in die Rolle eines Vertrauten ge- worfen zu werden, und unter Bedrohung des Todtſchlages, des Untergangs der Welt, oder einer aͤhnlichen Kleinigkeit, ein oͤffentliches Ge- heimniß zu erfahren; aber nein, ich hatte geirrt, dazu haͤtt’ ich wenigſtens vorher mein Probeſtuͤck in Seufzen und Weinen ablegen muͤſſen. — Mit
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gluͤcklich fuͤhlt, daß ſie ſich ihm nicht freiwillig
in die Arme wirft; um kurz zu ſeyn: er iſt un-
gluͤcklich, weil er gluͤcklich iſt, — aber auch wie-
der gluͤcklich, weil er an Ungluͤck Ueberfluß hat,
denn glaube mir nur, er wuͤrde ſeine poetiſchen
Leiden um vieles Geld nicht verkaufen.
Ploͤtzlich kam die Nachricht: meine Schwe-
ſter ſolle von hier abreiſen. Ihr Beſuch bei mir
und beim alten Burton war ſo immer ſchon
von einer Woche zur andern verlaͤngert; — der
Barometer ſtieg um viele Grade und immer
mehr, je naͤher es dem Tage der Abreiſe kam.
Faſt Jedermann bemerkte ſeine Schwermuth, er
behauptete aber jedem mit einer kecken verdroſ-
ſenen Traurigkeit in’s Geſicht: er waͤre noch nie
ſo aufgeraͤumt geweſen. Er machte ſich itzt zu-
weilen an mich und ging auf den Spatziergaͤngen
lange neben mir auf und ab; ich fuͤrchtete im-
mer, ploͤtzlich in die Rolle eines Vertrauten ge-
worfen zu werden, und unter Bedrohung des
Todtſchlages, des Untergangs der Welt, oder
einer aͤhnlichen Kleinigkeit, ein oͤffentliches Ge-
heimniß zu erfahren; aber nein, ich hatte geirrt,
dazu haͤtt’ ich wenigſtens vorher mein Probeſtuͤck
in Seufzen und Weinen ablegen muͤſſen. — Mit
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/21>, abgerufen am 21.11.2024.
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