Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite
11.
William Lovell an Eduard Burton.


Der Italiänische Winter kündigt sich schon
durch häufige Regenschauer an. Ich kann Dir
unmöglich von allen Kunstwerken sprechen, die
ich täglich sehe, und ausserdem ist mein Leben
hier so arm an Begebenheiten, daß ich wirklich
verlegen bin, was ich Dir schreiben soll. Doch
den Freund interessiren ja die kleinen Verän-
derungen mehr, die nach und nach in der See-
le vorgehn, als manche wunderbare Abentheuer,
die oft nicht den mindesten Einfluß haben, als
daß sie die Zeit ausfüllen. -- Rosa interessirt
mich mit jedem Tage mehr; ohne daß er es
selbst will, macht er mich auf manche Lücken
in meinem Verstande aufmerksam, auf so viele
Dinge, über die ich bisher nie nachgedacht ha-
be und die doch vielleicht des Denkens am wür-
digsten sind, aber mein Verstand hatte sich bis
izt nie über eine gewisse Gränze hinausgewagt.
Rosa ermuntert mich, meine Schüchternheit
fahren zu lassen, und er selber ist mein Steuer-

11.
William Lovell an Eduard Burton.


Der Italiaͤniſche Winter kuͤndigt ſich ſchon
durch haͤufige Regenſchauer an. Ich kann Dir
unmoͤglich von allen Kunſtwerken ſprechen, die
ich taͤglich ſehe, und auſſerdem iſt mein Leben
hier ſo arm an Begebenheiten, daß ich wirklich
verlegen bin, was ich Dir ſchreiben ſoll. Doch
den Freund intereſſiren ja die kleinen Veraͤn-
derungen mehr, die nach und nach in der See-
le vorgehn, als manche wunderbare Abentheuer,
die oft nicht den mindeſten Einfluß haben, als
daß ſie die Zeit ausfuͤllen. — Roſa intereſſirt
mich mit jedem Tage mehr; ohne daß er es
ſelbſt will, macht er mich auf manche Luͤcken
in meinem Verſtande aufmerkſam, auf ſo viele
Dinge, uͤber die ich bisher nie nachgedacht ha-
be und die doch vielleicht des Denkens am wuͤr-
digſten ſind, aber mein Verſtand hatte ſich bis
izt nie uͤber eine gewiſſe Graͤnze hinausgewagt.
Roſa ermuntert mich, meine Schuͤchternheit
fahren zu laſſen, und er ſelber iſt mein Steuer-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0271" n="263[261]"/>
        <div n="2">
          <head>11.<lb/>
William Lovell an Eduard Burton.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Rom.</hi> </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>er Italia&#x0364;ni&#x017F;che Winter ku&#x0364;ndigt &#x017F;ich &#x017F;chon<lb/>
durch ha&#x0364;ufige Regen&#x017F;chauer an. Ich kann Dir<lb/>
unmo&#x0364;glich von allen Kun&#x017F;twerken &#x017F;prechen, die<lb/>
ich ta&#x0364;glich &#x017F;ehe, und au&#x017F;&#x017F;erdem i&#x017F;t mein Leben<lb/>
hier &#x017F;o arm an Begebenheiten, daß ich wirklich<lb/>
verlegen bin, was ich Dir &#x017F;chreiben &#x017F;oll. Doch<lb/>
den Freund intere&#x017F;&#x017F;iren ja die kleinen Vera&#x0364;n-<lb/>
derungen mehr, die nach und nach in der See-<lb/>
le vorgehn, als manche wunderbare Abentheuer,<lb/>
die oft nicht den minde&#x017F;ten Einfluß haben, als<lb/>
daß &#x017F;ie die Zeit ausfu&#x0364;llen. &#x2014; Ro&#x017F;a intere&#x017F;&#x017F;irt<lb/>
mich mit jedem Tage mehr; ohne daß er es<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t will, macht er mich auf manche Lu&#x0364;cken<lb/>
in meinem Ver&#x017F;tande aufmerk&#x017F;am, auf &#x017F;o viele<lb/>
Dinge, u&#x0364;ber die ich bisher nie nachgedacht ha-<lb/>
be und die doch vielleicht des Denkens am wu&#x0364;r-<lb/>
dig&#x017F;ten &#x017F;ind, aber mein Ver&#x017F;tand hatte &#x017F;ich bis<lb/>
izt nie u&#x0364;ber eine gewi&#x017F;&#x017F;e Gra&#x0364;nze hinausgewagt.<lb/>
Ro&#x017F;a ermuntert mich, meine Schu&#x0364;chternheit<lb/>
fahren zu la&#x017F;&#x017F;en, und er &#x017F;elber i&#x017F;t mein Steuer-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[263[261]/0271] 11. William Lovell an Eduard Burton. Rom. Der Italiaͤniſche Winter kuͤndigt ſich ſchon durch haͤufige Regenſchauer an. Ich kann Dir unmoͤglich von allen Kunſtwerken ſprechen, die ich taͤglich ſehe, und auſſerdem iſt mein Leben hier ſo arm an Begebenheiten, daß ich wirklich verlegen bin, was ich Dir ſchreiben ſoll. Doch den Freund intereſſiren ja die kleinen Veraͤn- derungen mehr, die nach und nach in der See- le vorgehn, als manche wunderbare Abentheuer, die oft nicht den mindeſten Einfluß haben, als daß ſie die Zeit ausfuͤllen. — Roſa intereſſirt mich mit jedem Tage mehr; ohne daß er es ſelbſt will, macht er mich auf manche Luͤcken in meinem Verſtande aufmerkſam, auf ſo viele Dinge, uͤber die ich bisher nie nachgedacht ha- be und die doch vielleicht des Denkens am wuͤr- digſten ſind, aber mein Verſtand hatte ſich bis izt nie uͤber eine gewiſſe Graͤnze hinausgewagt. Roſa ermuntert mich, meine Schuͤchternheit fahren zu laſſen, und er ſelber iſt mein Steuer-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/271
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 263[261]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/271>, abgerufen am 22.11.2024.