Vielleicht? -- Und das sagst du mit dieser schrecklichen Kälte?
Balder. Warum nicht? -- Der Mensch und sein Wesen sind mir in sich selbst so unbe- greiflich, daß mir jene Zufälligkeiten, unter wel- chen er so, oder anders erscheint, sehr gleich- gültig sind.
Gleichgültig? -- Du bist mir fürchterlich, Balder.
Balder. Dieses Gedankens wegen? -- Es ist immer noch die Frage, ob ich beim Wahnsinne gewinnen oder verlieren würde.
Diese dumpfe Unempfindlichkeit, jenes Da- seyn, das unter der Existenz des Wurmes steht, diese wilde Zwittergattung zwischen Leben und Nichtseyn wirst du doch für kein Glück ausge- ben wollen?
Balder. Wenn du dich glücklich fühlst, warum soll es der Wahnsinnige nicht seyn dür- fen? -- Er empfindet eben so wenig die Leiden der Natur, sein Sinn ist eben so für das, was mich betrübt, verschlossen, als der deinige: war- um soll er elend seyn? -- und sein Verstand --
Und dieses göttliche Kennzeichen des Men-
Vielleicht? — Und das ſagſt du mit dieſer ſchrecklichen Kaͤlte?
Balder. Warum nicht? — Der Menſch und ſein Weſen ſind mir in ſich ſelbſt ſo unbe- greiflich, daß mir jene Zufaͤlligkeiten, unter wel- chen er ſo, oder anders erſcheint, ſehr gleich- guͤltig ſind.
Gleichguͤltig? — Du biſt mir fuͤrchterlich, Balder.
Balder. Dieſes Gedankens wegen? — Es iſt immer noch die Frage, ob ich beim Wahnſinne gewinnen oder verlieren wuͤrde.
Dieſe dumpfe Unempfindlichkeit, jenes Da- ſeyn, das unter der Exiſtenz des Wurmes ſteht, dieſe wilde Zwittergattung zwiſchen Leben und Nichtſeyn wirſt du doch fuͤr kein Gluͤck ausge- ben wollen?
Balder. Wenn du dich gluͤcklich fuͤhlſt, warum ſoll es der Wahnſinnige nicht ſeyn duͤr- fen? — Er empfindet eben ſo wenig die Leiden der Natur, ſein Sinn iſt eben ſo fuͤr das, was mich betruͤbt, verſchloſſen, als der deinige: war- um ſoll er elend ſeyn? — und ſein Verſtand —
Und dieſes goͤttliche Kennzeichen des Men-
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[267[265]/0275]
Vielleicht? — Und das ſagſt du mit dieſer
ſchrecklichen Kaͤlte?
Balder. Warum nicht? — Der Menſch
und ſein Weſen ſind mir in ſich ſelbſt ſo unbe-
greiflich, daß mir jene Zufaͤlligkeiten, unter wel-
chen er ſo, oder anders erſcheint, ſehr gleich-
guͤltig ſind.
Gleichguͤltig? — Du biſt mir fuͤrchterlich,
Balder.
Balder. Dieſes Gedankens wegen? —
Es iſt immer noch die Frage, ob ich beim
Wahnſinne gewinnen oder verlieren wuͤrde.
Dieſe dumpfe Unempfindlichkeit, jenes Da-
ſeyn, das unter der Exiſtenz des Wurmes ſteht,
dieſe wilde Zwittergattung zwiſchen Leben und
Nichtſeyn wirſt du doch fuͤr kein Gluͤck ausge-
ben wollen?
Balder. Wenn du dich gluͤcklich fuͤhlſt,
warum ſoll es der Wahnſinnige nicht ſeyn duͤr-
fen? — Er empfindet eben ſo wenig die Leiden
der Natur, ſein Sinn iſt eben ſo fuͤr das, was
mich betruͤbt, verſchloſſen, als der deinige: war-
um ſoll er elend ſeyn? — und ſein Verſtand —
Und dieſes goͤttliche Kennzeichen des Men-
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 267[265]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/275>, abgerufen am 22.11.2024.
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