sprang er aus dem Bette; mit einem entsetzli- chen Tone rief er aus: Heiliger Gott, Zwei Todtenköpfe! Was wollt ihr von mir?
Balder hielt hier inne. -- Ich muß gestehn, der unerwartete Schluß der Erzählung hatte mich frappirt, und beschäftigte izt meine Phan- tasie, ich war nur noch begierig, welche Anwen- dung er daraus auf seine vorigen Ideen ziehen wollte; nach einigem Stillschweigen fuhr er fort:
Jeder Denker, der über jene großen Gegen- stände forschen will, die ihm am wichtigsten sind, über Unsterblichkeit, Gott und Ewigkeit, über Geister und den Stoff und Endzweck der Welt, fühlt sich wie mit eisernen Banden von seinem Ziele zurückgerissen, die menschliche See- le zittert scheu vor der schwarzen Tafel zurück, auf der die ewigen Wahrheiten darüber geschrie- ben stehn. Wenn die Vernunft alle ihre Kräf- te aufbietet, so fühlt sie endlich, wie sie fürch- terlich auf einer schmalen Spitze schwankt und im Begriffe ist, in das Gebiet des Wahnsinns zu stürzen. Um sich zu retten wirft sich der er- schrockene Mensch wieder zur Erde, -- aber we-
ſprang er aus dem Bette; mit einem entſetzli- chen Tone rief er aus: Heiliger Gott, Zwei Todtenkoͤpfe! Was wollt ihr von mir?
Balder hielt hier inne. — Ich muß geſtehn, der unerwartete Schluß der Erzaͤhlung hatte mich frappirt, und beſchaͤftigte izt meine Phan- taſie, ich war nur noch begierig, welche Anwen- dung er daraus auf ſeine vorigen Ideen ziehen wollte; nach einigem Stillſchweigen fuhr er fort:
Jeder Denker, der uͤber jene großen Gegen- ſtaͤnde forſchen will, die ihm am wichtigſten ſind, uͤber Unſterblichkeit, Gott und Ewigkeit, uͤber Geiſter und den Stoff und Endzweck der Welt, fuͤhlt ſich wie mit eiſernen Banden von ſeinem Ziele zuruͤckgeriſſen, die menſchliche See- le zittert ſcheu vor der ſchwarzen Tafel zuruͤck, auf der die ewigen Wahrheiten daruͤber geſchrie- ben ſtehn. Wenn die Vernunft alle ihre Kraͤf- te aufbietet, ſo fuͤhlt ſie endlich, wie ſie fuͤrch- terlich auf einer ſchmalen Spitze ſchwankt und im Begriffe iſt, in das Gebiet des Wahnſinns zu ſtuͤrzen. Um ſich zu retten wirft ſich der er- ſchrockene Menſch wieder zur Erde, — aber we-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0282"n="274[272]"/>ſprang er aus dem Bette; mit einem entſetzli-<lb/>
chen Tone rief er aus: <hirendition="#g">Heiliger Gott,<lb/>
Zwei Todtenkoͤpfe! Was wollt ihr<lb/>
von mir</hi>?</p><lb/><p>Balder hielt hier inne. — Ich muß geſtehn,<lb/>
der unerwartete Schluß der Erzaͤhlung hatte<lb/>
mich frappirt, und beſchaͤftigte izt meine Phan-<lb/>
taſie, ich war nur noch begierig, welche Anwen-<lb/>
dung er daraus auf ſeine vorigen Ideen ziehen<lb/>
wollte; nach einigem Stillſchweigen fuhr er<lb/>
fort:</p><lb/><p>Jeder Denker, der uͤber jene großen Gegen-<lb/>ſtaͤnde forſchen will, die ihm am wichtigſten<lb/>ſind, uͤber Unſterblichkeit, Gott und Ewigkeit,<lb/>
uͤber Geiſter und den Stoff und Endzweck der<lb/>
Welt, fuͤhlt ſich wie mit eiſernen Banden von<lb/>ſeinem Ziele zuruͤckgeriſſen, die menſchliche See-<lb/>
le zittert ſcheu vor der ſchwarzen Tafel zuruͤck,<lb/>
auf der die ewigen Wahrheiten daruͤber geſchrie-<lb/>
ben ſtehn. Wenn die Vernunft alle ihre Kraͤf-<lb/>
te aufbietet, ſo fuͤhlt ſie endlich, wie ſie fuͤrch-<lb/>
terlich auf einer ſchmalen Spitze ſchwankt und<lb/>
im Begriffe iſt, in das Gebiet des Wahnſinns<lb/>
zu ſtuͤrzen. Um ſich zu retten wirft ſich der er-<lb/>ſchrockene Menſch wieder zur Erde, — aber we-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[274[272]/0282]
ſprang er aus dem Bette; mit einem entſetzli-
chen Tone rief er aus: Heiliger Gott,
Zwei Todtenkoͤpfe! Was wollt ihr
von mir?
Balder hielt hier inne. — Ich muß geſtehn,
der unerwartete Schluß der Erzaͤhlung hatte
mich frappirt, und beſchaͤftigte izt meine Phan-
taſie, ich war nur noch begierig, welche Anwen-
dung er daraus auf ſeine vorigen Ideen ziehen
wollte; nach einigem Stillſchweigen fuhr er
fort:
Jeder Denker, der uͤber jene großen Gegen-
ſtaͤnde forſchen will, die ihm am wichtigſten
ſind, uͤber Unſterblichkeit, Gott und Ewigkeit,
uͤber Geiſter und den Stoff und Endzweck der
Welt, fuͤhlt ſich wie mit eiſernen Banden von
ſeinem Ziele zuruͤckgeriſſen, die menſchliche See-
le zittert ſcheu vor der ſchwarzen Tafel zuruͤck,
auf der die ewigen Wahrheiten daruͤber geſchrie-
ben ſtehn. Wenn die Vernunft alle ihre Kraͤf-
te aufbietet, ſo fuͤhlt ſie endlich, wie ſie fuͤrch-
terlich auf einer ſchmalen Spitze ſchwankt und
im Begriffe iſt, in das Gebiet des Wahnſinns
zu ſtuͤrzen. Um ſich zu retten wirft ſich der er-
ſchrockene Menſch wieder zur Erde, — aber we-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 274[272]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/282>, abgerufen am 01.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.