Der Schluß Deines Briefes zwingt mich zu dieser Antwort, ob ich Dir gleich dadurch un- möglich beweisen kann, daß ich nicht zu jenen Egoisten gehöre, von denen Du sprichst. Dieser Beweis dürfte bei Dir schwer zu führen seyn, so wie der, daß Du alles in der Welt aus ei- nem unrichtigen Gesichtspunkte betrachtest und daher nichts als Elend und Jammer findest. Deinetwegen wünscht' ich ein tiefsinniger Phi- losoph zu seyn, um Dich zu überzeugen. -- Ich kann Dir freilich nichts sagen, was Du nicht schon eben so gut wüßtest, -- aber lieber Bal- der, laß doch jene Grübeleien fahren, die Dei- nen Körper und Geist verderben; genieße und sey froh. -- Das heißt, wirst Du antworten, so viel, als wenn Du zum Blinden sagen woll- test: thue die Augen auf und sieh! -- Aber Du hast mich noch nie überführt, daß der Wil- le über diesen Zustand nicht alles vermöchte; ich halte ihn für keine physische Krankheit al-
Lovell, I. Bd. U
22. William Lovell an Balder.
Rom.
Der Schluß Deines Briefes zwingt mich zu dieſer Antwort, ob ich Dir gleich dadurch un- moͤglich beweiſen kann, daß ich nicht zu jenen Egoiſten gehoͤre, von denen Du ſprichſt. Dieſer Beweis duͤrfte bei Dir ſchwer zu fuͤhren ſeyn, ſo wie der, daß Du alles in der Welt aus ei- nem unrichtigen Geſichtspunkte betrachteſt und daher nichts als Elend und Jammer findeſt. Deinetwegen wuͤnſcht’ ich ein tiefſinniger Phi- loſoph zu ſeyn, um Dich zu uͤberzeugen. — Ich kann Dir freilich nichts ſagen, was Du nicht ſchon eben ſo gut wuͤßteſt, — aber lieber Bal- der, laß doch jene Gruͤbeleien fahren, die Dei- nen Koͤrper und Geiſt verderben; genieße und ſey froh. — Das heißt, wirſt Du antworten, ſo viel, als wenn Du zum Blinden ſagen woll- teſt: thue die Augen auf und ſieh! — Aber Du haſt mich noch nie uͤberfuͤhrt, daß der Wil- le uͤber dieſen Zuſtand nicht alles vermoͤchte; ich halte ihn fuͤr keine phyſiſche Krankheit al-
Lovell, I. Bd. U
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[305[303]/0313]
22.
William Lovell an Balder.
Rom.
Der Schluß Deines Briefes zwingt mich zu
dieſer Antwort, ob ich Dir gleich dadurch un-
moͤglich beweiſen kann, daß ich nicht zu jenen
Egoiſten gehoͤre, von denen Du ſprichſt. Dieſer
Beweis duͤrfte bei Dir ſchwer zu fuͤhren ſeyn,
ſo wie der, daß Du alles in der Welt aus ei-
nem unrichtigen Geſichtspunkte betrachteſt und
daher nichts als Elend und Jammer findeſt.
Deinetwegen wuͤnſcht’ ich ein tiefſinniger Phi-
loſoph zu ſeyn, um Dich zu uͤberzeugen. — Ich
kann Dir freilich nichts ſagen, was Du nicht
ſchon eben ſo gut wuͤßteſt, — aber lieber Bal-
der, laß doch jene Gruͤbeleien fahren, die Dei-
nen Koͤrper und Geiſt verderben; genieße und
ſey froh. — Das heißt, wirſt Du antworten,
ſo viel, als wenn Du zum Blinden ſagen woll-
teſt: thue die Augen auf und ſieh! — Aber
Du haſt mich noch nie uͤberfuͤhrt, daß der Wil-
le uͤber dieſen Zuſtand nicht alles vermoͤchte;
ich halte ihn fuͤr keine phyſiſche Krankheit al-
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 305[303]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/313>, abgerufen am 24.11.2024.
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