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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

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muthwillig vor seinem Fenster, die Lerche singt
durch den blauen Himmel, -- aber er hört nur
seine Philosophie, er sieht nur die kahlen Wän-
de seiner engen Behausung.

Wer ist die Gestalt, die in dem frohen Tau-
mel uns in die Zügel des fliehenden Rosses
fällt? -- die Wahrheit, -- die Tugend; -- ein
Schatten, ein Nebelphantom, dessen Schimmer
mit der Sonne untergehn. -- Aus dem Wege
mit dem jämmerlichen Bilde! Es gehört keine
Kraft, nur ein gesunder Blick gehört dazu, um
dieses Mährchen zu verachten.

Ja, Lovell, ich folge diesem Gedanken wei-
ter nach. Wohin wird er mich führen? --
Zur größten, schönsten Freiheit, zur uneinge-
schränkten Willkühr eines Gottes.

Alle unsre Gedanken und Vorstellungen ha-
ben einen gemeinschaftlichen Quell, -- die Er-
fahrung. In den Wahrnehmungen der Sinnen-
welt liegen zugleich die Regeln meines Verstan-
des und die Gesetze des moralischen Menschen,
die er sich durch die Vernunft giebt. -- Alles
aber, was die Sprache des Menschen Ordnung und
Harmonie, den Widerschein des ewigen Geistes
nennt: alles was sie von der leblosen Natur

muthwillig vor ſeinem Fenſter, die Lerche ſingt
durch den blauen Himmel, — aber er hoͤrt nur
ſeine Philoſophie, er ſieht nur die kahlen Waͤn-
de ſeiner engen Behauſung.

Wer iſt die Geſtalt, die in dem frohen Tau-
mel uns in die Zuͤgel des fliehenden Roſſes
faͤllt? — die Wahrheit, — die Tugend; — ein
Schatten, ein Nebelphantom, deſſen Schimmer
mit der Sonne untergehn. — Aus dem Wege
mit dem jaͤmmerlichen Bilde! Es gehoͤrt keine
Kraft, nur ein geſunder Blick gehoͤrt dazu, um
dieſes Maͤhrchen zu verachten.

Ja, Lovell, ich folge dieſem Gedanken wei-
ter nach. Wohin wird er mich fuͤhren? —
Zur groͤßten, ſchoͤnſten Freiheit, zur uneinge-
ſchraͤnkten Willkuͤhr eines Gottes.

Alle unſre Gedanken und Vorſtellungen ha-
ben einen gemeinſchaftlichen Quell, — die Er-
fahrung. In den Wahrnehmungen der Sinnen-
welt liegen zugleich die Regeln meines Verſtan-
des und die Geſetze des moraliſchen Menſchen,
die er ſich durch die Vernunft giebt. — Alles
aber, was die Sprache des Menſchen Ordnung und
Harmonie, den Widerſchein des ewigen Geiſtes
nennt: alles was ſie von der lebloſen Natur

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[317[315]/0325] muthwillig vor ſeinem Fenſter, die Lerche ſingt durch den blauen Himmel, — aber er hoͤrt nur ſeine Philoſophie, er ſieht nur die kahlen Waͤn- de ſeiner engen Behauſung. Wer iſt die Geſtalt, die in dem frohen Tau- mel uns in die Zuͤgel des fliehenden Roſſes faͤllt? — die Wahrheit, — die Tugend; — ein Schatten, ein Nebelphantom, deſſen Schimmer mit der Sonne untergehn. — Aus dem Wege mit dem jaͤmmerlichen Bilde! Es gehoͤrt keine Kraft, nur ein geſunder Blick gehoͤrt dazu, um dieſes Maͤhrchen zu verachten. Ja, Lovell, ich folge dieſem Gedanken wei- ter nach. Wohin wird er mich fuͤhren? — Zur groͤßten, ſchoͤnſten Freiheit, zur uneinge- ſchraͤnkten Willkuͤhr eines Gottes. Alle unſre Gedanken und Vorſtellungen ha- ben einen gemeinſchaftlichen Quell, — die Er- fahrung. In den Wahrnehmungen der Sinnen- welt liegen zugleich die Regeln meines Verſtan- des und die Geſetze des moraliſchen Menſchen, die er ſich durch die Vernunft giebt. — Alles aber, was die Sprache des Menſchen Ordnung und Harmonie, den Widerſchein des ewigen Geiſtes nennt: alles was ſie von der lebloſen Natur

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 317[315]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/325>, abgerufen am 25.11.2024.