Du hast lange keinen Brief von mir bekom- men, lieber Bruder, und das macht, weil ich Dir gar nichts zu schreiben hatte. Neues ist unterdeß eben nichts vorgefallen und -- daß Du mein guter Bruder bist, daß ich oft an Dich denke und Dich noch öfter hier wünsche, ist schon so etwas Altes, daß ich es Dir kein ein- zigesmahl mehr sagen will. Uns allen hier, ich meyne, mir, meinem Herrn und seinen Freunden, uns allen geht es hier recht wohl, außer dem Herrn Balder, der in Neapel krank liegt, weil er einen Anstoß vom Fieber bekommen hat. Man erzählt sich allerhand von ihm; so sagt man unter andern, er habe in manchen Stun- den den Verstand ganz verlohren und sey gar nicht bey sich, da rede er denn wunderlich Zeug durcheinander. -- Wenn ich so etwas höre, Thomas, so danke ich Gott oft recht herzinnig- lich, daß mir so etwas noch nicht begegnet ist: vielleicht aber auch, Thomas, daß, um verrückt
28. Willy an ſeinen Bruder Thomas.
Rom.
Du haſt lange keinen Brief von mir bekom- men, lieber Bruder, und das macht, weil ich Dir gar nichts zu ſchreiben hatte. Neues iſt unterdeß eben nichts vorgefallen und — daß Du mein guter Bruder biſt, daß ich oft an Dich denke und Dich noch oͤfter hier wuͤnſche, iſt ſchon ſo etwas Altes, daß ich es Dir kein ein- zigesmahl mehr ſagen will. Uns allen hier, ich meyne, mir, meinem Herrn und ſeinen Freunden, uns allen geht es hier recht wohl, außer dem Herrn Balder, der in Neapel krank liegt, weil er einen Anſtoß vom Fieber bekommen hat. Man erzaͤhlt ſich allerhand von ihm; ſo ſagt man unter andern, er habe in manchen Stun- den den Verſtand ganz verlohren und ſey gar nicht bey ſich, da rede er denn wunderlich Zeug durcheinander. — Wenn ich ſo etwas hoͤre, Thomas, ſo danke ich Gott oft recht herzinnig- lich, daß mir ſo etwas noch nicht begegnet iſt: vielleicht aber auch, Thomas, daß, um verruͤckt
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0333"n="325[323]"/><divn="2"><head>28.<lb/>
Willy an ſeinen Bruder Thomas.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Rom.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>u haſt lange keinen Brief von mir bekom-<lb/>
men, lieber Bruder, und das macht, weil ich<lb/>
Dir gar nichts zu ſchreiben hatte. Neues iſt<lb/>
unterdeß eben nichts vorgefallen und — daß Du<lb/>
mein guter Bruder biſt, daß ich oft an Dich<lb/>
denke und Dich noch oͤfter hier wuͤnſche, iſt<lb/>ſchon ſo etwas Altes, daß ich es Dir kein ein-<lb/>
zigesmahl mehr ſagen will. Uns allen hier, ich<lb/>
meyne, mir, meinem Herrn und ſeinen Freunden,<lb/>
uns allen geht es hier recht wohl, außer dem<lb/>
Herrn <hirendition="#g">Balder</hi>, der in Neapel krank liegt,<lb/>
weil er einen Anſtoß vom Fieber bekommen hat.<lb/>
Man erzaͤhlt ſich allerhand von ihm; ſo ſagt<lb/>
man unter andern, er habe in manchen Stun-<lb/>
den den Verſtand ganz verlohren und ſey gar<lb/>
nicht bey ſich, da rede er denn wunderlich Zeug<lb/>
durcheinander. — Wenn ich ſo etwas hoͤre,<lb/>
Thomas, ſo danke ich Gott oft recht herzinnig-<lb/>
lich, daß mir ſo etwas noch nicht begegnet iſt:<lb/>
vielleicht aber auch, Thomas, daß, um verruͤckt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[325[323]/0333]
28.
Willy an ſeinen Bruder Thomas.
Rom.
Du haſt lange keinen Brief von mir bekom-
men, lieber Bruder, und das macht, weil ich
Dir gar nichts zu ſchreiben hatte. Neues iſt
unterdeß eben nichts vorgefallen und — daß Du
mein guter Bruder biſt, daß ich oft an Dich
denke und Dich noch oͤfter hier wuͤnſche, iſt
ſchon ſo etwas Altes, daß ich es Dir kein ein-
zigesmahl mehr ſagen will. Uns allen hier, ich
meyne, mir, meinem Herrn und ſeinen Freunden,
uns allen geht es hier recht wohl, außer dem
Herrn Balder, der in Neapel krank liegt,
weil er einen Anſtoß vom Fieber bekommen hat.
Man erzaͤhlt ſich allerhand von ihm; ſo ſagt
man unter andern, er habe in manchen Stun-
den den Verſtand ganz verlohren und ſey gar
nicht bey ſich, da rede er denn wunderlich Zeug
durcheinander. — Wenn ich ſo etwas hoͤre,
Thomas, ſo danke ich Gott oft recht herzinnig-
lich, daß mir ſo etwas noch nicht begegnet iſt:
vielleicht aber auch, Thomas, daß, um verruͤckt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 325[323]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/333>, abgerufen am 31.10.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.