ein andres feindseeliges Wesen, das sich zu mir hinandrängt, ein Italiäner, ein sogenannter fei- ner und ausgebildeter Mann, -- mein Herz kann ihm nicht vertraulich entgegenschlagen, mir ist in seiner Gegenwart ängstlich und beklemmt; ich mag lieber viele Stunden mit dem alten ehrlichen Willy zubringen, sein gutmüthiges Geschwätz kömmt aus seinem Herzen, ich weiß, daß er nicht über mich spottet, daß er mich nicht studiert, um seine Menschenkenntniß zu vermehren. --
Du wirst mir vielleicht wieder Bitterkeit und Uebertreibung vorwerfen, mags, -- aber ich wünsche nichts so sehnlich, als den Tag an wel- chem ich Paris verlasse. Ich finde hier nichts von allem, was mich interessirt; die Stadt ist ein wüster, unregelmäßiger Steinhaufen, in ganz Paris hat man das Gefühl eines Gefängnisses, die Pracht des Hofes und der Vornehmen kon- trastirt auf eine widrige Art mit der Armsee- ligkeit der gemeineren Klassen; alles erinnert an Sklaverei und Unterdrückung. -- Die Gebäude sind mit kleinlichen Zierrathen überladen, man stößt auf kein Kunstwerk, in welchem sich ein erhabener Geist abspiegelte, die Göttinn der
ein andres feindſeeliges Weſen, das ſich zu mir hinandraͤngt, ein Italiaͤner, ein ſogenannter fei- ner und ausgebildeter Mann, — mein Herz kann ihm nicht vertraulich entgegenſchlagen, mir iſt in ſeiner Gegenwart aͤngſtlich und beklemmt; ich mag lieber viele Stunden mit dem alten ehrlichen Willy zubringen, ſein gutmuͤthiges Geſchwaͤtz koͤmmt aus ſeinem Herzen, ich weiß, daß er nicht uͤber mich ſpottet, daß er mich nicht ſtudiert, um ſeine Menſchenkenntniß zu vermehren. —
Du wirſt mir vielleicht wieder Bitterkeit und Uebertreibung vorwerfen, mags, — aber ich wuͤnſche nichts ſo ſehnlich, als den Tag an wel- chem ich Paris verlaſſe. Ich finde hier nichts von allem, was mich intereſſirt; die Stadt iſt ein wuͤſter, unregelmaͤßiger Steinhaufen, in ganz Paris hat man das Gefuͤhl eines Gefaͤngniſſes, die Pracht des Hofes und der Vornehmen kon- traſtirt auf eine widrige Art mit der Armſee- ligkeit der gemeineren Klaſſen; alles erinnert an Sklaverei und Unterdruͤckung. — Die Gebaͤude ſind mit kleinlichen Zierrathen uͤberladen, man ſtoͤßt auf kein Kunſtwerk, in welchem ſich ein erhabener Geiſt abſpiegelte, die Goͤttinn der
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[84[82]/0092]
ein andres feindſeeliges Weſen, das ſich zu mir
hinandraͤngt, ein Italiaͤner, ein ſogenannter fei-
ner und ausgebildeter Mann, — mein Herz
kann ihm nicht vertraulich entgegenſchlagen, mir
iſt in ſeiner Gegenwart aͤngſtlich und beklemmt;
ich mag lieber viele Stunden mit dem alten
ehrlichen Willy zubringen, ſein gutmuͤthiges
Geſchwaͤtz koͤmmt aus ſeinem Herzen, ich weiß,
daß er nicht uͤber mich ſpottet, daß er mich
nicht ſtudiert, um ſeine Menſchenkenntniß zu
vermehren. —
Du wirſt mir vielleicht wieder Bitterkeit
und Uebertreibung vorwerfen, mags, — aber ich
wuͤnſche nichts ſo ſehnlich, als den Tag an wel-
chem ich Paris verlaſſe. Ich finde hier nichts
von allem, was mich intereſſirt; die Stadt iſt
ein wuͤſter, unregelmaͤßiger Steinhaufen, in ganz
Paris hat man das Gefuͤhl eines Gefaͤngniſſes,
die Pracht des Hofes und der Vornehmen kon-
traſtirt auf eine widrige Art mit der Armſee-
ligkeit der gemeineren Klaſſen; alles erinnert an
Sklaverei und Unterdruͤckung. — Die Gebaͤude
ſind mit kleinlichen Zierrathen uͤberladen, man
ſtoͤßt auf kein Kunſtwerk, in welchem ſich ein
erhabener Geiſt abſpiegelte, die Goͤttinn der
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 84[82]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/92>, abgerufen am 22.11.2024.
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