Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Laune und des lachenden Witzes hat alles Gro-
ße zum Reizenden herabgewürdigt und so sind
aus den männlichen, kraftvollen Urbildern Roms
und Griechenlands gezierte und unnatürliche
Hermaphroditen geworden. Von dem großen
Zwecke, von der erhabenen Bestimmung der Kün-
ste, von jenem Gefühle, aus welchem die Grie-
chen ihren Homer und Phidias an die Halb-
götter richten, -- davon ist auch hier die letzte
Ahndung verlohren gegangen, man lacht, man
tanzt -- und hat gelebt. -- Ach, die goldenen
Zeiten der Musen sind überhaupt auf ewig ver-
schwunden! Als sich noch die Götter voll Mil-
de auf die Erde herabließen, als die Schönheit
und Fruchtbarkeit noch in gleichgefälligen Ge-
wändern auf den bunten Wiesen verschlungen
tanzten, als die Horen noch mit goldenem
Schlüssel Auroren ihre Bahn aufschlossen und
seegnende Gottheiten mit dem wohlthätigen Füll-
horne durch ihre lachende Schöpfung wandelten,
-- ach damahls war die Zeit, in der die
Menschheit in ihrer Blüthe stand. Versinnlicht
stand die erhabene Weisheit unter den fühlen-
den Menschenkindern, an mitfühlende Götter-
herzen gelangte das Gebet des Flehenden, Göt-

Laune und des lachenden Witzes hat alles Gro-
ße zum Reizenden herabgewuͤrdigt und ſo ſind
aus den maͤnnlichen, kraftvollen Urbildern Roms
und Griechenlands gezierte und unnatuͤrliche
Hermaphroditen geworden. Von dem großen
Zwecke, von der erhabenen Beſtimmung der Kuͤn-
ſte, von jenem Gefuͤhle, aus welchem die Grie-
chen ihren Homer und Phidias an die Halb-
goͤtter richten, — davon iſt auch hier die letzte
Ahndung verlohren gegangen, man lacht, man
tanzt — und hat gelebt. — Ach, die goldenen
Zeiten der Muſen ſind uͤberhaupt auf ewig ver-
ſchwunden! Als ſich noch die Goͤtter voll Mil-
de auf die Erde herabließen, als die Schoͤnheit
und Fruchtbarkeit noch in gleichgefaͤlligen Ge-
waͤndern auf den bunten Wieſen verſchlungen
tanzten, als die Horen noch mit goldenem
Schluͤſſel Auroren ihre Bahn aufſchloſſen und
ſeegnende Gottheiten mit dem wohlthaͤtigen Fuͤll-
horne durch ihre lachende Schoͤpfung wandelten,
— ach damahls war die Zeit, in der die
Menſchheit in ihrer Bluͤthe ſtand. Verſinnlicht
ſtand die erhabene Weisheit unter den fuͤhlen-
den Menſchenkindern, an mitfuͤhlende Goͤtter-
herzen gelangte das Gebet des Flehenden, Goͤt-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0093" n="85[83]"/>
Laune und des lachenden Witzes hat alles Gro-<lb/>
ße zum Reizenden herabgewu&#x0364;rdigt und &#x017F;o &#x017F;ind<lb/>
aus den ma&#x0364;nnlichen, kraftvollen Urbildern Roms<lb/>
und Griechenlands gezierte und unnatu&#x0364;rliche<lb/>
Hermaphroditen geworden. Von dem großen<lb/>
Zwecke, von der erhabenen Be&#x017F;timmung der Ku&#x0364;n-<lb/>
&#x017F;te, von jenem Gefu&#x0364;hle, aus welchem die Grie-<lb/>
chen ihren <hi rendition="#g">Homer</hi> und <hi rendition="#g">Phidias</hi> an die Halb-<lb/>
go&#x0364;tter richten, &#x2014; davon i&#x017F;t auch hier die letzte<lb/>
Ahndung verlohren gegangen, man lacht, man<lb/>
tanzt &#x2014; und hat gelebt. &#x2014; Ach, die goldenen<lb/>
Zeiten der Mu&#x017F;en &#x017F;ind u&#x0364;berhaupt auf ewig ver-<lb/>
&#x017F;chwunden! Als &#x017F;ich noch die Go&#x0364;tter voll Mil-<lb/>
de auf <choice><sic>dir</sic><corr>die</corr></choice> Erde herabließen, als die Scho&#x0364;nheit<lb/>
und Fruchtbarkeit noch in gleichgefa&#x0364;lligen Ge-<lb/>
wa&#x0364;ndern auf den bunten Wie&#x017F;en ver&#x017F;chlungen<lb/>
tanzten, als die Horen noch mit goldenem<lb/>
Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el Auroren ihre Bahn auf&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
&#x017F;eegnende Gottheiten mit dem wohltha&#x0364;tigen Fu&#x0364;ll-<lb/>
horne durch ihre lachende Scho&#x0364;pfung wandelten,<lb/>
&#x2014; ach damahls war die Zeit, in der die<lb/>
Men&#x017F;chheit in ihrer Blu&#x0364;the &#x017F;tand. Ver&#x017F;innlicht<lb/>
&#x017F;tand die erhabene Weisheit <choice><sic>nnter</sic><corr>unter</corr></choice> den fu&#x0364;hlen-<lb/>
den Men&#x017F;chenkindern, an mitfu&#x0364;hlende Go&#x0364;tter-<lb/>
herzen gelangte das Gebet des Flehenden, Go&#x0364;t-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85[83]/0093] Laune und des lachenden Witzes hat alles Gro- ße zum Reizenden herabgewuͤrdigt und ſo ſind aus den maͤnnlichen, kraftvollen Urbildern Roms und Griechenlands gezierte und unnatuͤrliche Hermaphroditen geworden. Von dem großen Zwecke, von der erhabenen Beſtimmung der Kuͤn- ſte, von jenem Gefuͤhle, aus welchem die Grie- chen ihren Homer und Phidias an die Halb- goͤtter richten, — davon iſt auch hier die letzte Ahndung verlohren gegangen, man lacht, man tanzt — und hat gelebt. — Ach, die goldenen Zeiten der Muſen ſind uͤberhaupt auf ewig ver- ſchwunden! Als ſich noch die Goͤtter voll Mil- de auf die Erde herabließen, als die Schoͤnheit und Fruchtbarkeit noch in gleichgefaͤlligen Ge- waͤndern auf den bunten Wieſen verſchlungen tanzten, als die Horen noch mit goldenem Schluͤſſel Auroren ihre Bahn aufſchloſſen und ſeegnende Gottheiten mit dem wohlthaͤtigen Fuͤll- horne durch ihre lachende Schoͤpfung wandelten, — ach damahls war die Zeit, in der die Menſchheit in ihrer Bluͤthe ſtand. Verſinnlicht ſtand die erhabene Weisheit unter den fuͤhlen- den Menſchenkindern, an mitfuͤhlende Goͤtter- herzen gelangte das Gebet des Flehenden, Goͤt-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/93
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 85[83]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/93>, abgerufen am 22.11.2024.