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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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die Nichtswürdigkeit, in der wir uns selbst er-
scheinen, alles dies und Reue und Mißbehagen,
alle üble Launen in Einem trüben Strome, al-
les stürzte auf mich zu, und ergriff mich und riß
mich mit sich fort. -- Alles, was ich empfun-
den und gedacht hatte, gieng wie in einem al-
les verschlingenden Chaos unter, alle Kennzei-
chen, an denen ich mich unter den gewöhnlichen
Menschen heraushob, giengen wie Lichter aus
und plötzlich verarmt, plötzlich zur Selbstverach-
tung hinabgesunken, war ich mir selbst zur Last,
und Himmel und Erde lagen, wie die Mauern
eines engen Gefängnisses, um mich.

Ich erinnerte mich jetzt der trübseligen Au-
genblicke, die mich so oft im heftigsten Taumel
der Sinne ergriffen hatten; der widrigen Em-
pfindungen, die so oft schon mein Herz zusam-
menzogen, so vieler Vorstellungen, die mich un-
abläßig wie Gespenster verfolgt hatten. -- Wo-
zu bin ich so umständlich? Blos um Ihnen zu
zeigen, wie aufrichtig ich bin; ich weiß, Sie
werden meine Schwäche verachten, aber dem
Freunde muß man keine Thorheit verbergen.
Heilen Sie mich von meinen Albernheiten, und

die Nichtswuͤrdigkeit, in der wir uns ſelbſt er-
ſcheinen, alles dies und Reue und Mißbehagen,
alle uͤble Launen in Einem truͤben Strome, al-
les ſtuͤrzte auf mich zu, und ergriff mich und riß
mich mit ſich fort. — Alles, was ich empfun-
den und gedacht hatte, gieng wie in einem al-
les verſchlingenden Chaos unter, alle Kennzei-
chen, an denen ich mich unter den gewoͤhnlichen
Menſchen heraushob, giengen wie Lichter aus
und ploͤtzlich verarmt, ploͤtzlich zur Selbſtverach-
tung hinabgeſunken, war ich mir ſelbſt zur Laſt,
und Himmel und Erde lagen, wie die Mauern
eines engen Gefaͤngniſſes, um mich.

Ich erinnerte mich jetzt der truͤbſeligen Au-
genblicke, die mich ſo oft im heftigſten Taumel
der Sinne ergriffen hatten; der widrigen Em-
pfindungen, die ſo oft ſchon mein Herz zuſam-
menzogen, ſo vieler Vorſtellungen, die mich un-
ablaͤßig wie Geſpenſter verfolgt hatten. — Wo-
zu bin ich ſo umſtaͤndlich? Blos um Ihnen zu
zeigen, wie aufrichtig ich bin; ich weiß, Sie
werden meine Schwaͤche verachten, aber dem
Freunde muß man keine Thorheit verbergen.
Heilen Sie mich von meinen Albernheiten, und

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[103/0109] die Nichtswuͤrdigkeit, in der wir uns ſelbſt er- ſcheinen, alles dies und Reue und Mißbehagen, alle uͤble Launen in Einem truͤben Strome, al- les ſtuͤrzte auf mich zu, und ergriff mich und riß mich mit ſich fort. — Alles, was ich empfun- den und gedacht hatte, gieng wie in einem al- les verſchlingenden Chaos unter, alle Kennzei- chen, an denen ich mich unter den gewoͤhnlichen Menſchen heraushob, giengen wie Lichter aus und ploͤtzlich verarmt, ploͤtzlich zur Selbſtverach- tung hinabgeſunken, war ich mir ſelbſt zur Laſt, und Himmel und Erde lagen, wie die Mauern eines engen Gefaͤngniſſes, um mich. Ich erinnerte mich jetzt der truͤbſeligen Au- genblicke, die mich ſo oft im heftigſten Taumel der Sinne ergriffen hatten; der widrigen Em- pfindungen, die ſo oft ſchon mein Herz zuſam- menzogen, ſo vieler Vorſtellungen, die mich un- ablaͤßig wie Geſpenſter verfolgt hatten. — Wo- zu bin ich ſo umſtaͤndlich? Blos um Ihnen zu zeigen, wie aufrichtig ich bin; ich weiß, Sie werden meine Schwaͤche verachten, aber dem Freunde muß man keine Thorheit verbergen. Heilen Sie mich von meinen Albernheiten, und

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/109>, abgerufen am 24.11.2024.