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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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Doch wir wollen darüber nicht weiter dispu-
tiren. Du irrst aber darin völlig, wenn Du
meinst, daß meine Gedanken nur Wiederholun-
gen von fremden sind. Von Jugend auf habe
ich die Menschen gehaßt und verachtet, die nur
das Echo andrer sind, denn ihnen fehlt das
Kennzeichen der Menschen; in die Klasse dieser
kläglichen Geschöpfe wirst Du mich hoffentlich
niemals geworfen haben; und dann ließe sich
wohl immer noch die Frage aufwerfen, ob es
bey einem Menschen von einigem Verstande mög-
lich sey, ihn zu einer andern Denkungs- oder
Handelsweise zu verleiten, bey der seine soge-
nannte Moralität litte.

Schilt mich nicht wieder einen Sophisten,
denn ich will nun einmal recht kalt und ge-
mäßigt sprechen. -- Denke Dir den Fall, daß
man einen guten unbefangenen Menschen nach
und nach so betäubt, daß er unvermerkt in ir-
gend eine Handlung hineintaumelt, die unsere
strengere Moral nicht gut heißen kann; bey die-
sem Umstande ist nur zweyerley möglich. Ent-
weder er ist nach begangener That eben so un-
schuldig, als vorher, er hat sie, ohne den Vor-
satz Böses thun zu wollen, ausgeführt: nun so

Doch wir wollen daruͤber nicht weiter diſpu-
tiren. Du irrſt aber darin voͤllig, wenn Du
meinſt, daß meine Gedanken nur Wiederholun-
gen von fremden ſind. Von Jugend auf habe
ich die Menſchen gehaßt und verachtet, die nur
das Echo andrer ſind, denn ihnen fehlt das
Kennzeichen der Menſchen; in die Klaſſe dieſer
klaͤglichen Geſchoͤpfe wirſt Du mich hoffentlich
niemals geworfen haben; und dann ließe ſich
wohl immer noch die Frage aufwerfen, ob es
bey einem Menſchen von einigem Verſtande moͤg-
lich ſey, ihn zu einer andern Denkungs- oder
Handelsweiſe zu verleiten, bey der ſeine ſoge-
nannte Moralitaͤt litte.

Schilt mich nicht wieder einen Sophiſten,
denn ich will nun einmal recht kalt und ge-
maͤßigt ſprechen. — Denke Dir den Fall, daß
man einen guten unbefangenen Menſchen nach
und nach ſo betaͤubt, daß er unvermerkt in ir-
gend eine Handlung hineintaumelt, die unſere
ſtrengere Moral nicht gut heißen kann; bey die-
ſem Umſtande iſt nur zweyerley moͤglich. Ent-
weder er iſt nach begangener That eben ſo un-
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[125/0131] Doch wir wollen daruͤber nicht weiter diſpu- tiren. Du irrſt aber darin voͤllig, wenn Du meinſt, daß meine Gedanken nur Wiederholun- gen von fremden ſind. Von Jugend auf habe ich die Menſchen gehaßt und verachtet, die nur das Echo andrer ſind, denn ihnen fehlt das Kennzeichen der Menſchen; in die Klaſſe dieſer klaͤglichen Geſchoͤpfe wirſt Du mich hoffentlich niemals geworfen haben; und dann ließe ſich wohl immer noch die Frage aufwerfen, ob es bey einem Menſchen von einigem Verſtande moͤg- lich ſey, ihn zu einer andern Denkungs- oder Handelsweiſe zu verleiten, bey der ſeine ſoge- nannte Moralitaͤt litte. Schilt mich nicht wieder einen Sophiſten, denn ich will nun einmal recht kalt und ge- maͤßigt ſprechen. — Denke Dir den Fall, daß man einen guten unbefangenen Menſchen nach und nach ſo betaͤubt, daß er unvermerkt in ir- gend eine Handlung hineintaumelt, die unſere ſtrengere Moral nicht gut heißen kann; bey die- ſem Umſtande iſt nur zweyerley moͤglich. Ent- weder er iſt nach begangener That eben ſo un- ſchuldig, als vorher, er hat ſie, ohne den Vor- ſatz Boͤſes thun zu wollen, ausgefuͤhrt: nun ſo

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/131>, abgerufen am 24.05.2024.