Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

ein Meer von Wollust, und dachte nichts, ich
empfand nur sie, die holde, himmlische Rosa-
line, ein jeder Pulsschlag in mir jauchzte, wie
Geistergesänge klang es um mich her, und wie
ein wilder Orkan von lauter Wonne und Wohl-
laut stürmte es durch meinen Geist.

O mag alles um mich dunkel und ungewiß
liegen, kein ander Gefühl giebt uns Befriedi-
gung, kein Genuß des Geistes erquickt uns.
Nur hier, hier versammlet sich alles, was durch
unser ganzes Leben an Freuden und seeligen Em-
pfindungen bey einzelnen Gelegenheiten zerstreut
liegt. Nur dies ist der einzige Genuß, in wel-
chem wir die kalte, wüste Leere in unserm In-
nern nicht bemerken, wir versinken in Wollust,
und die hohen rauschenden Wogen schlagen über
uns zusammen, dann liegen wir im Abgrunde
der Seeligkeit, von dieser Welt und von uns
selber abgerissen. -- Nein, nur für sie, für
Rosalinen allein will ich jetzt leben; Pietro ist
ausgeblieben, und ich nehme sie mit mir, ich
hab' es versprochen, nur ihr zu leben, und ich
will ihr und mir mein Versprechen halten.

Alles dämmert vor meinen Augen, und ich
sehe sie immer noch vor mir stehen, halb in sich

ein Meer von Wolluſt, und dachte nichts, ich
empfand nur ſie, die holde, himmliſche Roſa-
line, ein jeder Pulsſchlag in mir jauchzte, wie
Geiſtergeſaͤnge klang es um mich her, und wie
ein wilder Orkan von lauter Wonne und Wohl-
laut ſtuͤrmte es durch meinen Geiſt.

O mag alles um mich dunkel und ungewiß
liegen, kein ander Gefuͤhl giebt uns Befriedi-
gung, kein Genuß des Geiſtes erquickt uns.
Nur hier, hier verſammlet ſich alles, was durch
unſer ganzes Leben an Freuden und ſeeligen Em-
pfindungen bey einzelnen Gelegenheiten zerſtreut
liegt. Nur dies iſt der einzige Genuß, in wel-
chem wir die kalte, wuͤſte Leere in unſerm In-
nern nicht bemerken, wir verſinken in Wolluſt,
und die hohen rauſchenden Wogen ſchlagen uͤber
uns zuſammen, dann liegen wir im Abgrunde
der Seeligkeit, von dieſer Welt und von uns
ſelber abgeriſſen. — Nein, nur fuͤr ſie, fuͤr
Roſalinen allein will ich jetzt leben; Pietro iſt
ausgeblieben, und ich nehme ſie mit mir, ich
hab’ es verſprochen, nur ihr zu leben, und ich
will ihr und mir mein Verſprechen halten.

Alles daͤmmert vor meinen Augen, und ich
ſehe ſie immer noch vor mir ſtehen, halb in ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0194" n="188"/>
ein Meer von Wollu&#x017F;t, und dachte nichts, ich<lb/>
empfand nur &#x017F;ie, die holde, himmli&#x017F;che Ro&#x017F;a-<lb/>
line, ein jeder Puls&#x017F;chlag in mir jauchzte, wie<lb/>
Gei&#x017F;terge&#x017F;a&#x0364;nge klang es um mich her, und wie<lb/>
ein wilder Orkan von lauter Wonne und Wohl-<lb/>
laut &#x017F;tu&#x0364;rmte es durch meinen Gei&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>O mag alles um mich dunkel und ungewiß<lb/>
liegen, kein ander Gefu&#x0364;hl giebt uns Befriedi-<lb/>
gung, kein Genuß des Gei&#x017F;tes erquickt uns.<lb/>
Nur hier, hier ver&#x017F;ammlet &#x017F;ich alles, was durch<lb/>
un&#x017F;er ganzes Leben an Freuden und &#x017F;eeligen Em-<lb/>
pfindungen bey einzelnen Gelegenheiten zer&#x017F;treut<lb/>
liegt. Nur dies i&#x017F;t der einzige Genuß, in wel-<lb/>
chem wir die kalte, wu&#x0364;&#x017F;te Leere in un&#x017F;erm In-<lb/>
nern nicht bemerken, wir ver&#x017F;inken in Wollu&#x017F;t,<lb/>
und die hohen rau&#x017F;chenden Wogen &#x017F;chlagen u&#x0364;ber<lb/>
uns zu&#x017F;ammen, dann liegen wir im Abgrunde<lb/>
der Seeligkeit, von die&#x017F;er Welt und von uns<lb/>
&#x017F;elber abgeri&#x017F;&#x017F;en. &#x2014; Nein, nur fu&#x0364;r &#x017F;ie, fu&#x0364;r<lb/>
Ro&#x017F;alinen allein will ich jetzt leben; Pietro i&#x017F;t<lb/>
ausgeblieben, und ich nehme &#x017F;ie mit mir, ich<lb/>
hab&#x2019; es ver&#x017F;prochen, nur ihr zu leben, und ich<lb/>
will ihr und mir mein Ver&#x017F;prechen halten.</p><lb/>
          <p>Alles da&#x0364;mmert vor meinen Augen, und ich<lb/>
&#x017F;ehe &#x017F;ie immer noch vor mir &#x017F;tehen, halb in &#x017F;ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[188/0194] ein Meer von Wolluſt, und dachte nichts, ich empfand nur ſie, die holde, himmliſche Roſa- line, ein jeder Pulsſchlag in mir jauchzte, wie Geiſtergeſaͤnge klang es um mich her, und wie ein wilder Orkan von lauter Wonne und Wohl- laut ſtuͤrmte es durch meinen Geiſt. O mag alles um mich dunkel und ungewiß liegen, kein ander Gefuͤhl giebt uns Befriedi- gung, kein Genuß des Geiſtes erquickt uns. Nur hier, hier verſammlet ſich alles, was durch unſer ganzes Leben an Freuden und ſeeligen Em- pfindungen bey einzelnen Gelegenheiten zerſtreut liegt. Nur dies iſt der einzige Genuß, in wel- chem wir die kalte, wuͤſte Leere in unſerm In- nern nicht bemerken, wir verſinken in Wolluſt, und die hohen rauſchenden Wogen ſchlagen uͤber uns zuſammen, dann liegen wir im Abgrunde der Seeligkeit, von dieſer Welt und von uns ſelber abgeriſſen. — Nein, nur fuͤr ſie, fuͤr Roſalinen allein will ich jetzt leben; Pietro iſt ausgeblieben, und ich nehme ſie mit mir, ich hab’ es verſprochen, nur ihr zu leben, und ich will ihr und mir mein Verſprechen halten. Alles daͤmmert vor meinen Augen, und ich ſehe ſie immer noch vor mir ſtehen, halb in ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/194
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/194>, abgerufen am 24.05.2024.