was ich in der dumpfen Stadt niemals konnte. Dort war mir immer, als wenn ich von Einem Gefängnisse in das andre ginge. -- Aber hier ist alles, selbst die Art, wie man zu Gott be- tet und ihm dankt, weit natürlicher; man kann sich hier die alten Erzählungen von der großen Frömmigkeit, von der hohen Liebe der Men- schen zu Gott und unter einander recht lebhaft denken. -- O liebe Freundinn! ich fühle, daß ich hier nach und nach weit besser werde, als ich sonst war, ich lerne die Menschen mehr ken- nen, und liebe sie mehr, ich bin nicht so eitel auf mich, wie wohl sonst in manchen Stunden, weil man sich gar zu leicht von seinen Bekann- tinnen drehen und verdrehen läßt, aber ich ach- te mich hier in der freyen Natur mehr, und bin, wenn ich so sagen darf, manchmal ordent- lich wie stolz auf mich. -- Ich sollte meynen, der glückliche Mensch müßte sich immer so füh- len. -- In den ersten Tagen war mir alles hier so einsam, von Eltern und vom Bruder entfernt, alles kam mir, wie eine Wildniß vor. -- Mortimer, der viel gereist ist, und sich nicht mehr erinnern kann, wie lieb man das Haus hat, wo man gebohren ist, lächelte
was ich in der dumpfen Stadt niemals konnte. Dort war mir immer, als wenn ich von Einem Gefaͤngniſſe in das andre ginge. — Aber hier iſt alles, ſelbſt die Art, wie man zu Gott be- tet und ihm dankt, weit natuͤrlicher; man kann ſich hier die alten Erzaͤhlungen von der großen Froͤmmigkeit, von der hohen Liebe der Men- ſchen zu Gott und unter einander recht lebhaft denken. — O liebe Freundinn! ich fuͤhle, daß ich hier nach und nach weit beſſer werde, als ich ſonſt war, ich lerne die Menſchen mehr ken- nen, und liebe ſie mehr, ich bin nicht ſo eitel auf mich, wie wohl ſonſt in manchen Stunden, weil man ſich gar zu leicht von ſeinen Bekann- tinnen drehen und verdrehen laͤßt, aber ich ach- te mich hier in der freyen Natur mehr, und bin, wenn ich ſo ſagen darf, manchmal ordent- lich wie ſtolz auf mich. — Ich ſollte meynen, der gluͤckliche Menſch muͤßte ſich immer ſo fuͤh- len. — In den erſten Tagen war mir alles hier ſo einſam, von Eltern und vom Bruder entfernt, alles kam mir, wie eine Wildniß vor. — Mortimer, der viel gereiſt iſt, und ſich nicht mehr erinnern kann, wie lieb man das Haus hat, wo man gebohren iſt, laͤchelte
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0255"n="249"/>
was ich in der dumpfen Stadt niemals konnte.<lb/>
Dort war mir immer, als wenn ich von Einem<lb/>
Gefaͤngniſſe in das andre ginge. — Aber hier<lb/>
iſt alles, ſelbſt die Art, wie man zu Gott be-<lb/>
tet und ihm dankt, weit natuͤrlicher; man kann<lb/>ſich hier die alten Erzaͤhlungen von der großen<lb/>
Froͤmmigkeit, von der hohen Liebe der Men-<lb/>ſchen zu Gott und unter einander recht lebhaft<lb/>
denken. — O liebe Freundinn! ich fuͤhle, daß<lb/>
ich hier nach und nach weit beſſer werde, als<lb/>
ich ſonſt war, ich lerne die Menſchen mehr ken-<lb/>
nen, und liebe ſie mehr, ich bin nicht ſo eitel<lb/>
auf mich, wie wohl ſonſt in manchen Stunden,<lb/>
weil man ſich gar zu leicht von ſeinen Bekann-<lb/>
tinnen drehen und verdrehen laͤßt, aber ich ach-<lb/>
te mich hier in der freyen Natur mehr, und<lb/>
bin, wenn ich ſo ſagen darf, manchmal ordent-<lb/>
lich wie ſtolz auf mich. — Ich ſollte meynen,<lb/>
der gluͤckliche Menſch muͤßte ſich immer ſo fuͤh-<lb/>
len. — In den erſten Tagen war mir alles<lb/>
hier ſo einſam, von Eltern und vom Bruder<lb/>
entfernt, alles kam mir, wie eine Wildniß<lb/>
vor. — Mortimer, der viel gereiſt iſt, und<lb/>ſich nicht mehr erinnern kann, wie lieb man<lb/>
das Haus hat, wo man gebohren iſt, laͤchelte<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[249/0255]
was ich in der dumpfen Stadt niemals konnte.
Dort war mir immer, als wenn ich von Einem
Gefaͤngniſſe in das andre ginge. — Aber hier
iſt alles, ſelbſt die Art, wie man zu Gott be-
tet und ihm dankt, weit natuͤrlicher; man kann
ſich hier die alten Erzaͤhlungen von der großen
Froͤmmigkeit, von der hohen Liebe der Men-
ſchen zu Gott und unter einander recht lebhaft
denken. — O liebe Freundinn! ich fuͤhle, daß
ich hier nach und nach weit beſſer werde, als
ich ſonſt war, ich lerne die Menſchen mehr ken-
nen, und liebe ſie mehr, ich bin nicht ſo eitel
auf mich, wie wohl ſonſt in manchen Stunden,
weil man ſich gar zu leicht von ſeinen Bekann-
tinnen drehen und verdrehen laͤßt, aber ich ach-
te mich hier in der freyen Natur mehr, und
bin, wenn ich ſo ſagen darf, manchmal ordent-
lich wie ſtolz auf mich. — Ich ſollte meynen,
der gluͤckliche Menſch muͤßte ſich immer ſo fuͤh-
len. — In den erſten Tagen war mir alles
hier ſo einſam, von Eltern und vom Bruder
entfernt, alles kam mir, wie eine Wildniß
vor. — Mortimer, der viel gereiſt iſt, und
ſich nicht mehr erinnern kann, wie lieb man
das Haus hat, wo man gebohren iſt, laͤchelte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/255>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.