so quälend, ich trat schnell vom Hause hinweg, und die Welt lag so dürr und ausgestorben da, ich hörte Menschenschritte, die dumpf und unerquicklich in der Einsamkeit wiederhallten, Vögel mit ziehenden Gesängen und rauschende Bäume, alles, alles umher, wie mühsam zu- sammengebracht, um die Todtenstille zu unter- brechen. Jeder Ton hatte seinen Klang verloh- ren, der uns entzückt und begeistert, jeder Ge- genstand die Bedeutung, die ihm unsre erhitzte Phantasie beylegt. Die Berge standen fern hin- auf wie Todtenhügel, das ganze Menschenge- schlecht kam mir arm und bejammernswürdig vor, wie sie alle mit den Füßen schon in ihren Gräbern wandeln, und immer tiefer und tiefer untersinken, nach Hülfe schreyen, und kläglich die Hände ausstrecken, aber kein Vorübergehen- der sie hört und keiner sich der armen Verlasse- nen erbarmt. -- Keine Dämmerung und Mor- genröthe wollte sich an meinem Horizonte em- porringen, unermüdet lag die melancholische Nacht mit ihren Flügeln über mir, ach und ich konnte nicht weinen und schluchzen, ich konn- te meinen heißen dürren Jammer nicht in Thrä- nen und Töne auflösen, kein Mitleid mit mir
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ſo quaͤlend, ich trat ſchnell vom Hauſe hinweg, und die Welt lag ſo duͤrr und ausgeſtorben da, ich hoͤrte Menſchenſchritte, die dumpf und unerquicklich in der Einſamkeit wiederhallten, Voͤgel mit ziehenden Geſaͤngen und rauſchende Baͤume, alles, alles umher, wie muͤhſam zu- ſammengebracht, um die Todtenſtille zu unter- brechen. Jeder Ton hatte ſeinen Klang verloh- ren, der uns entzuͤckt und begeiſtert, jeder Ge- genſtand die Bedeutung, die ihm unſre erhitzte Phantaſie beylegt. Die Berge ſtanden fern hin- auf wie Todtenhuͤgel, das ganze Menſchenge- ſchlecht kam mir arm und bejammernswuͤrdig vor, wie ſie alle mit den Fuͤßen ſchon in ihren Graͤbern wandeln, und immer tiefer und tiefer unterſinken, nach Huͤlfe ſchreyen, und klaͤglich die Haͤnde ausſtrecken, aber kein Voruͤbergehen- der ſie hoͤrt und keiner ſich der armen Verlaſſe- nen erbarmt. — Keine Daͤmmerung und Mor- genroͤthe wollte ſich an meinem Horizonte em- porringen, unermuͤdet lag die melancholiſche Nacht mit ihren Fluͤgeln uͤber mir, ach und ich konnte nicht weinen und ſchluchzen, ich konn- te meinen heißen duͤrren Jammer nicht in Thraͤ- nen und Toͤne aufloͤſen, kein Mitleid mit mir
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ſo quaͤlend, ich trat ſchnell vom Hauſe hinweg,
und die Welt lag ſo duͤrr und ausgeſtorben
da, ich hoͤrte Menſchenſchritte, die dumpf und
unerquicklich in der Einſamkeit wiederhallten,
Voͤgel mit ziehenden Geſaͤngen und rauſchende
Baͤume, alles, alles umher, wie muͤhſam zu-
ſammengebracht, um die Todtenſtille zu unter-
brechen. Jeder Ton hatte ſeinen Klang verloh-
ren, der uns entzuͤckt und begeiſtert, jeder Ge-
genſtand die Bedeutung, die ihm unſre erhitzte
Phantaſie beylegt. Die Berge ſtanden fern hin-
auf wie Todtenhuͤgel, das ganze Menſchenge-
ſchlecht kam mir arm und bejammernswuͤrdig
vor, wie ſie alle mit den Fuͤßen ſchon in ihren
Graͤbern wandeln, und immer tiefer und tiefer
unterſinken, nach Huͤlfe ſchreyen, und klaͤglich
die Haͤnde ausſtrecken, aber kein Voruͤbergehen-
der ſie hoͤrt und keiner ſich der armen Verlaſſe-
nen erbarmt. — Keine Daͤmmerung und Mor-
genroͤthe wollte ſich an meinem Horizonte em-
porringen, unermuͤdet lag die melancholiſche
Nacht mit ihren Fluͤgeln uͤber mir, ach und
ich konnte nicht weinen und ſchluchzen, ich konn-
te meinen heißen duͤrren Jammer nicht in Thraͤ-
nen und Toͤne aufloͤſen, kein Mitleid mit mir
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/297>, abgerufen am 21.11.2024.
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