Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

webe durch einander spinnen, so seltsam erleuch-
tet war mein Gemüth.

Wir gingen auf und ab, und ich hörte ihn
sprechen wie einen fernen Wasserfall, wie räth-
selhafte Donner, die beym Sonnenschein aus
der Ferne den gerundeten Himmel hinan-
klimmen. -- Wir verließen die Ruinen, und
ich folgte ihm schweigend nach seiner Wohnung.

Ein blasses Licht erhellte sein altes, abge-
zehrtes Gesicht, in dem jede Falte und jeder
Zug eine andere Sprache redeten. Wie wenn
sich plötzlich der wohlbekannte Bruder an der
Seite des Bruders in einen alten Mann um-
wandelt, so müßte jener die Empfindungen ha-
ben, die mich peinigten. Er ward mir so be-
kannt, und blieb mir doch so fremd, ich mußte
ihn lieben und hassen, o ich hätt' ihn erwürgen
mögen, um nur des Kampfes, um nur der Zwei-
fel los zu werden. -- Und ich kannte ihn den-
noch, und sein Bild war von Jugend auf tief
meiner Phantasie eingeprägt!

Es ist ein mühsames Geschäfft zu leben, un-
aufhörliche Zweifel und Furcht, Pein und Angst,
das ganze Heer der Erinnerungen, alle jagen
uns durch furchtbare Waldlabyrinthe, wo wir

webe durch einander ſpinnen, ſo ſeltſam erleuch-
tet war mein Gemuͤth.

Wir gingen auf und ab, und ich hoͤrte ihn
ſprechen wie einen fernen Waſſerfall, wie raͤth-
ſelhafte Donner, die beym Sonnenſchein aus
der Ferne den gerundeten Himmel hinan-
klimmen. — Wir verließen die Ruinen, und
ich folgte ihm ſchweigend nach ſeiner Wohnung.

Ein blaſſes Licht erhellte ſein altes, abge-
zehrtes Geſicht, in dem jede Falte und jeder
Zug eine andere Sprache redeten. Wie wenn
ſich ploͤtzlich der wohlbekannte Bruder an der
Seite des Bruders in einen alten Mann um-
wandelt, ſo muͤßte jener die Empfindungen ha-
ben, die mich peinigten. Er ward mir ſo be-
kannt, und blieb mir doch ſo fremd, ich mußte
ihn lieben und haſſen, o ich haͤtt’ ihn erwuͤrgen
moͤgen, um nur des Kampfes, um nur der Zwei-
fel los zu werden. — Und ich kannte ihn den-
noch, und ſein Bild war von Jugend auf tief
meiner Phantaſie eingepraͤgt!

Es iſt ein muͤhſames Geſchaͤfft zu leben, un-
aufhoͤrliche Zweifel und Furcht, Pein und Angſt,
das ganze Heer der Erinnerungen, alle jagen
uns durch furchtbare Waldlabyrinthe, wo wir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0300" n="294"/>
webe durch einander &#x017F;pinnen, &#x017F;o &#x017F;elt&#x017F;am erleuch-<lb/>
tet war mein Gemu&#x0364;th.</p><lb/>
          <p>Wir gingen auf und ab, und ich ho&#x0364;rte ihn<lb/>
&#x017F;prechen wie einen fernen Wa&#x017F;&#x017F;erfall, wie ra&#x0364;th-<lb/>
&#x017F;elhafte Donner, die beym Sonnen&#x017F;chein aus<lb/>
der Ferne den gerundeten Himmel hinan-<lb/>
klimmen. &#x2014; Wir verließen die Ruinen, und<lb/>
ich folgte ihm &#x017F;chweigend nach &#x017F;einer Wohnung.</p><lb/>
          <p>Ein bla&#x017F;&#x017F;es Licht erhellte &#x017F;ein altes, abge-<lb/>
zehrtes Ge&#x017F;icht, in dem jede Falte und jeder<lb/>
Zug eine andere Sprache redeten. Wie wenn<lb/>
&#x017F;ich plo&#x0364;tzlich der wohlbekannte Bruder an der<lb/>
Seite des Bruders in einen alten Mann um-<lb/>
wandelt, &#x017F;o mu&#x0364;ßte jener die Empfindungen ha-<lb/>
ben, die mich peinigten. Er ward mir &#x017F;o be-<lb/>
kannt, und blieb mir doch &#x017F;o fremd, ich mußte<lb/>
ihn lieben und ha&#x017F;&#x017F;en, o ich ha&#x0364;tt&#x2019; ihn erwu&#x0364;rgen<lb/>
mo&#x0364;gen, um nur des Kampfes, um nur der Zwei-<lb/>
fel los zu werden. &#x2014; Und ich kannte ihn den-<lb/>
noch, und &#x017F;ein Bild war von Jugend auf tief<lb/>
meiner Phanta&#x017F;ie eingepra&#x0364;gt!</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t ein mu&#x0364;h&#x017F;ames Ge&#x017F;cha&#x0364;fft zu leben, un-<lb/>
aufho&#x0364;rliche Zweifel und Furcht, Pein und Ang&#x017F;t,<lb/>
das ganze Heer der Erinnerungen, alle jagen<lb/>
uns durch furchtbare Waldlabyrinthe, wo wir<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[294/0300] webe durch einander ſpinnen, ſo ſeltſam erleuch- tet war mein Gemuͤth. Wir gingen auf und ab, und ich hoͤrte ihn ſprechen wie einen fernen Waſſerfall, wie raͤth- ſelhafte Donner, die beym Sonnenſchein aus der Ferne den gerundeten Himmel hinan- klimmen. — Wir verließen die Ruinen, und ich folgte ihm ſchweigend nach ſeiner Wohnung. Ein blaſſes Licht erhellte ſein altes, abge- zehrtes Geſicht, in dem jede Falte und jeder Zug eine andere Sprache redeten. Wie wenn ſich ploͤtzlich der wohlbekannte Bruder an der Seite des Bruders in einen alten Mann um- wandelt, ſo muͤßte jener die Empfindungen ha- ben, die mich peinigten. Er ward mir ſo be- kannt, und blieb mir doch ſo fremd, ich mußte ihn lieben und haſſen, o ich haͤtt’ ihn erwuͤrgen moͤgen, um nur des Kampfes, um nur der Zwei- fel los zu werden. — Und ich kannte ihn den- noch, und ſein Bild war von Jugend auf tief meiner Phantaſie eingepraͤgt! Es iſt ein muͤhſames Geſchaͤfft zu leben, un- aufhoͤrliche Zweifel und Furcht, Pein und Angſt, das ganze Heer der Erinnerungen, alle jagen uns durch furchtbare Waldlabyrinthe, wo wir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/300
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/300>, abgerufen am 21.11.2024.