so ist mir, als wenn ich über ein abgemähtes Stoppelfeld blicke; ein trüber Herbst wandelt näher, der Nebel wird dichter, und der letzte Sonnenschein erlischt auf den fernen Bergen.
Ich möchte in manchen Stunden von hier reisen und eine seltsame Natur mit ihren Wun- dern aufsuchen, steile Felsen erklettern, und in schwindelnde Abgründe hinunterkriechen, mich in Hölen verirren, und das dumpfe Rauschen unterirrdischer Wasser vernehmen, ich möchte Indiens seltsame Gesträuche besehen, und aus den Flüssen Wasser schöpfen, deren Nahme mich schon in den Kindermärchen erquickte, Stürme möcht' ich auf dem Meere erleben, und die Aegyptischen Pyramiden besuchen; -- o Rosa, wohin mit dieser Ungenügsamkeit? und würde sie mir nicht selbst zum Orkus und in Elysium folgen? --
Und lern' und erfahr' ich denn nicht hier in Rom genug? Genügt mir nicht dies tiefe wun- derbare Leben, in dem die Wunder mit den Stunden wechseln? Wohin von hier? Das Ge- wand der ganzen Erde ist kahl und dürftig, -- o Balder, ich möchte dich in den tiefen Ge-
ſo iſt mir, als wenn ich uͤber ein abgemaͤhtes Stoppelfeld blicke; ein truͤber Herbſt wandelt naͤher, der Nebel wird dichter, und der letzte Sonnenſchein erliſcht auf den fernen Bergen.
Ich moͤchte in manchen Stunden von hier reiſen und eine ſeltſame Natur mit ihren Wun- dern aufſuchen, ſteile Felſen erklettern, und in ſchwindelnde Abgruͤnde hinunterkriechen, mich in Hoͤlen verirren, und das dumpfe Rauſchen unterirrdiſcher Waſſer vernehmen, ich moͤchte Indiens ſeltſame Geſtraͤuche beſehen, und aus den Fluͤſſen Waſſer ſchoͤpfen, deren Nahme mich ſchon in den Kindermaͤrchen erquickte, Stuͤrme moͤcht’ ich auf dem Meere erleben, und die Aegyptiſchen Pyramiden beſuchen; — o Roſa, wohin mit dieſer Ungenuͤgſamkeit? und wuͤrde ſie mir nicht ſelbſt zum Orkus und in Elyſium folgen? —
Und lern’ und erfahr’ ich denn nicht hier in Rom genug? Genuͤgt mir nicht dies tiefe wun- derbare Leben, in dem die Wunder mit den Stunden wechſeln? Wohin von hier? Das Ge- wand der ganzen Erde iſt kahl und duͤrftig, — o Balder, ich moͤchte dich in den tiefen Ge-
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ſo iſt mir, als wenn ich uͤber ein abgemaͤhtes
Stoppelfeld blicke; ein truͤber Herbſt wandelt
naͤher, der Nebel wird dichter, und der letzte
Sonnenſchein erliſcht auf den fernen Bergen.
Ich moͤchte in manchen Stunden von hier
reiſen und eine ſeltſame Natur mit ihren Wun-
dern aufſuchen, ſteile Felſen erklettern, und in
ſchwindelnde Abgruͤnde hinunterkriechen, mich
in Hoͤlen verirren, und das dumpfe Rauſchen
unterirrdiſcher Waſſer vernehmen, ich moͤchte
Indiens ſeltſame Geſtraͤuche beſehen, und aus
den Fluͤſſen Waſſer ſchoͤpfen, deren Nahme mich
ſchon in den Kindermaͤrchen erquickte, Stuͤrme
moͤcht’ ich auf dem Meere erleben, und die
Aegyptiſchen Pyramiden beſuchen; — o Roſa,
wohin mit dieſer Ungenuͤgſamkeit? und wuͤrde
ſie mir nicht ſelbſt zum Orkus und in Elyſium
folgen? —
Und lern’ und erfahr’ ich denn nicht hier in
Rom genug? Genuͤgt mir nicht dies tiefe wun-
derbare Leben, in dem die Wunder mit den
Stunden wechſeln? Wohin von hier? Das Ge-
wand der ganzen Erde iſt kahl und duͤrftig, —
o Balder, ich moͤchte dich in den tiefen Ge-
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/334>, abgerufen am 22.11.2024.
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