Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

birgen aufsuchen, um von Dir zu lernen und
mit Dir zu leben.

Sollte es möglich seyn, daß ich schon hin-
ter dem Vorhang stände, der die jenseitige Welt
von den hiesigen Menschen sondert? Es ist viel-
leicht und ich erschrecke nicht mehr vor dem
Gedanken. --

Mein Geist knüpfet sich immer vertrauter
an Andrea, ich verstehe ihn, so viel sich zwey
Menschen verstehen können, die immer das
Nehmliche meynen und ganz etwas anders spre-
chen; in jedem Körper liegt die Seele, wie ein
armer Gequälter in dem Stiere des Phalaris,
sie will ihren Jammer und ihre Schmerzen aus-
drücken, und die Töne verwandeln sich und die-
nen zur Belustigung der umgebenden Menge. --
Sein feiner Sinn vermischt stets die Vernunft
mit seinem innersten Gefühle, er baut sich kei-
ne Ueberzeugungen, um bequem in ihnen zu
wohnen, er sucht nichts in sich zu verändern
und auszurotten. --

Doch ich vergesse ganz, was ich erzählen
wollte. Man vergißt über Worte sich und al-
les übrige, wir sprechen selten von uns selbst,
sondern meist nur darüber, wie wir von uns

birgen aufſuchen, um von Dir zu lernen und
mit Dir zu leben.

Sollte es moͤglich ſeyn, daß ich ſchon hin-
ter dem Vorhang ſtaͤnde, der die jenſeitige Welt
von den hieſigen Menſchen ſondert? Es iſt viel-
leicht und ich erſchrecke nicht mehr vor dem
Gedanken. —

Mein Geiſt knuͤpfet ſich immer vertrauter
an Andrea, ich verſtehe ihn, ſo viel ſich zwey
Menſchen verſtehen koͤnnen, die immer das
Nehmliche meynen und ganz etwas anders ſpre-
chen; in jedem Koͤrper liegt die Seele, wie ein
armer Gequaͤlter in dem Stiere des Phalaris,
ſie will ihren Jammer und ihre Schmerzen aus-
druͤcken, und die Toͤne verwandeln ſich und die-
nen zur Beluſtigung der umgebenden Menge. —
Sein feiner Sinn vermiſcht ſtets die Vernunft
mit ſeinem innerſten Gefuͤhle, er baut ſich kei-
ne Ueberzeugungen, um bequem in ihnen zu
wohnen, er ſucht nichts in ſich zu veraͤndern
und auszurotten. —

Doch ich vergeſſe ganz, was ich erzaͤhlen
wollte. Man vergißt uͤber Worte ſich und al-
les uͤbrige, wir ſprechen ſelten von uns ſelbſt,
ſondern meiſt nur daruͤber, wie wir von uns

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0335" n="329"/>
birgen auf&#x017F;uchen, um von Dir zu lernen und<lb/>
mit Dir zu leben.</p><lb/>
          <p>Sollte es mo&#x0364;glich &#x017F;eyn, daß ich &#x017F;chon hin-<lb/>
ter dem Vorhang &#x017F;ta&#x0364;nde, der die jen&#x017F;eitige Welt<lb/>
von den hie&#x017F;igen Men&#x017F;chen &#x017F;ondert? Es i&#x017F;t viel-<lb/>
leicht und ich er&#x017F;chrecke nicht mehr vor dem<lb/>
Gedanken. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Mein Gei&#x017F;t knu&#x0364;pfet &#x017F;ich immer vertrauter<lb/>
an Andrea, ich ver&#x017F;tehe ihn, &#x017F;o viel &#x017F;ich zwey<lb/>
Men&#x017F;chen ver&#x017F;tehen ko&#x0364;nnen, die immer das<lb/>
Nehmliche meynen und ganz etwas anders &#x017F;pre-<lb/>
chen; in jedem Ko&#x0364;rper liegt die Seele, wie ein<lb/>
armer Gequa&#x0364;lter in dem Stiere des Phalaris,<lb/>
&#x017F;ie will ihren Jammer und ihre Schmerzen aus-<lb/>
dru&#x0364;cken, und die To&#x0364;ne verwandeln &#x017F;ich und die-<lb/>
nen zur Belu&#x017F;tigung der umgebenden Menge. &#x2014;<lb/>
Sein feiner Sinn vermi&#x017F;cht &#x017F;tets die Vernunft<lb/>
mit &#x017F;einem inner&#x017F;ten Gefu&#x0364;hle, er baut &#x017F;ich kei-<lb/>
ne Ueberzeugungen, um bequem in ihnen zu<lb/>
wohnen, er &#x017F;ucht nichts in &#x017F;ich zu vera&#x0364;ndern<lb/>
und auszurotten. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Doch ich verge&#x017F;&#x017F;e ganz, was ich erza&#x0364;hlen<lb/>
wollte. Man vergißt u&#x0364;ber Worte &#x017F;ich und al-<lb/>
les u&#x0364;brige, wir &#x017F;prechen &#x017F;elten von uns &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;ondern mei&#x017F;t nur daru&#x0364;ber, wie wir von uns<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[329/0335] birgen aufſuchen, um von Dir zu lernen und mit Dir zu leben. Sollte es moͤglich ſeyn, daß ich ſchon hin- ter dem Vorhang ſtaͤnde, der die jenſeitige Welt von den hieſigen Menſchen ſondert? Es iſt viel- leicht und ich erſchrecke nicht mehr vor dem Gedanken. — Mein Geiſt knuͤpfet ſich immer vertrauter an Andrea, ich verſtehe ihn, ſo viel ſich zwey Menſchen verſtehen koͤnnen, die immer das Nehmliche meynen und ganz etwas anders ſpre- chen; in jedem Koͤrper liegt die Seele, wie ein armer Gequaͤlter in dem Stiere des Phalaris, ſie will ihren Jammer und ihre Schmerzen aus- druͤcken, und die Toͤne verwandeln ſich und die- nen zur Beluſtigung der umgebenden Menge. — Sein feiner Sinn vermiſcht ſtets die Vernunft mit ſeinem innerſten Gefuͤhle, er baut ſich kei- ne Ueberzeugungen, um bequem in ihnen zu wohnen, er ſucht nichts in ſich zu veraͤndern und auszurotten. — Doch ich vergeſſe ganz, was ich erzaͤhlen wollte. Man vergißt uͤber Worte ſich und al- les uͤbrige, wir ſprechen ſelten von uns ſelbſt, ſondern meiſt nur daruͤber, wie wir von uns

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/335
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/335>, abgerufen am 16.06.2024.