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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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sprechen könnten, jeder Brief ist eine Abhand-
lung voll erlogener Sätze mit einem falschen
Titel überschrieben, und so möcht' ich denn gern
fortfahren zu schwatzen, wenn mich mein Gefühl
nicht zu sehr ängstigte und zur Erzählung einer
seltsamen Begebenheit hinrisse.

Es war vorgestern, als ich mit einer großen
Gesellschaft zu einem prächtigen maskirten Bal-
le fuhr. Ich liebe diese Maskeraden, weil sie
mich stets in eine frölich wehmüthige Stim-
mung versetzen. Das Rauschen der seltsamen
Gestalten durch die Säle und auf den Treppen,
das räthselhafte Gezische und Geflüster, die
Unbekanntschaft mit allen Menschen umher, al-
les ist für mich ein stilles Gedicht über das
menschliche Leben, ein Schauspiel, worin die
Schauspieler selbst ihre Rollen nicht verstehn,
und sie dennoch meisterhaft darstellen. -- Ich
sah hier Pantalons und Pierrot's durcheinander
springen, die Musik klang verworren in das
bunte Geräusch hinein, die Kerzen flimmerten
durch die Säle und glänzten gegen den Putz
von schönkoeffirten Damen, ich stand an einen
Pfeiler gelehnt und sah ohne Sehnsucht und
ohne Ruhe in das große Findelhaus der mensch-

ſprechen koͤnnten, jeder Brief iſt eine Abhand-
lung voll erlogener Saͤtze mit einem falſchen
Titel uͤberſchrieben, und ſo moͤcht’ ich denn gern
fortfahren zu ſchwatzen, wenn mich mein Gefuͤhl
nicht zu ſehr aͤngſtigte und zur Erzaͤhlung einer
ſeltſamen Begebenheit hinriſſe.

Es war vorgeſtern, als ich mit einer großen
Geſellſchaft zu einem praͤchtigen maskirten Bal-
le fuhr. Ich liebe dieſe Maskeraden, weil ſie
mich ſtets in eine froͤlich wehmuͤthige Stim-
mung verſetzen. Das Rauſchen der ſeltſamen
Geſtalten durch die Saͤle und auf den Treppen,
das raͤthſelhafte Geziſche und Gefluͤſter, die
Unbekanntſchaft mit allen Menſchen umher, al-
les iſt fuͤr mich ein ſtilles Gedicht uͤber das
menſchliche Leben, ein Schauſpiel, worin die
Schauſpieler ſelbſt ihre Rollen nicht verſtehn,
und ſie dennoch meiſterhaft darſtellen. — Ich
ſah hier Pantalons und Pierrot’s durcheinander
ſpringen, die Muſik klang verworren in das
bunte Geraͤuſch hinein, die Kerzen flimmerten
durch die Saͤle und glaͤnzten gegen den Putz
von ſchoͤnkoeffirten Damen, ich ſtand an einen
Pfeiler gelehnt und ſah ohne Sehnſucht und
ohne Ruhe in das große Findelhaus der menſch-

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[330/0336] ſprechen koͤnnten, jeder Brief iſt eine Abhand- lung voll erlogener Saͤtze mit einem falſchen Titel uͤberſchrieben, und ſo moͤcht’ ich denn gern fortfahren zu ſchwatzen, wenn mich mein Gefuͤhl nicht zu ſehr aͤngſtigte und zur Erzaͤhlung einer ſeltſamen Begebenheit hinriſſe. Es war vorgeſtern, als ich mit einer großen Geſellſchaft zu einem praͤchtigen maskirten Bal- le fuhr. Ich liebe dieſe Maskeraden, weil ſie mich ſtets in eine froͤlich wehmuͤthige Stim- mung verſetzen. Das Rauſchen der ſeltſamen Geſtalten durch die Saͤle und auf den Treppen, das raͤthſelhafte Geziſche und Gefluͤſter, die Unbekanntſchaft mit allen Menſchen umher, al- les iſt fuͤr mich ein ſtilles Gedicht uͤber das menſchliche Leben, ein Schauſpiel, worin die Schauſpieler ſelbſt ihre Rollen nicht verſtehn, und ſie dennoch meiſterhaft darſtellen. — Ich ſah hier Pantalons und Pierrot’s durcheinander ſpringen, die Muſik klang verworren in das bunte Geraͤuſch hinein, die Kerzen flimmerten durch die Saͤle und glaͤnzten gegen den Putz von ſchoͤnkoeffirten Damen, ich ſtand an einen Pfeiler gelehnt und ſah ohne Sehnſucht und ohne Ruhe in das große Findelhaus der menſch-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/336>, abgerufen am 22.11.2024.