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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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eine Verbindung zwischen ihm und dem Geiste
ist für unser Fassungsvermögen unbegreiflich.
Die Seele stehet tief hinab in einem dunkeln
Hintergrunde und lebt im weiten Gebäude für
sich, wie ein eingekerkerter Engel: sie hängt
mit dem Körper und seinen vielfachen Theilen
eben so wenig zusammen, wie der Verbrecher
mit der Stadt in der er gefangen sitzt; wie
man eben so wenig glauben würde, daß alle
Straßen mit den Thoren und Thürmen umher
bloß für den Gefangenen angelegt wären.

Was kann ich also für meine Seele thun,
die wie ein unaufgelöstes Räthsel in mir wohnt?
die dem sichtbaren Menschen die größte Will-
kühr läßt, weil sie ihn auf keine Weise beherr-
schen kann? und wie kann ein Körper gut oder
böse seyn? -- Er ist, das ist sein Verbrechen
und seine Tugend, sein Daseyn ist seine Stra-
fe, und seine Wohlthat, und wer hat dies nicht
schon in sich selber empfunden?

Damit die verächtlichen Maschinen sich brü-
sten können, haben sie Nahmen und Unterschie-
de wie bunte, klägliche Ordenszeichen erfun-
den; nur der Pöbel hat die tiefe Achtung vor
diesen.


eine Verbindung zwiſchen ihm und dem Geiſte
iſt fuͤr unſer Faſſungsvermoͤgen unbegreiflich.
Die Seele ſtehet tief hinab in einem dunkeln
Hintergrunde und lebt im weiten Gebaͤude fuͤr
ſich, wie ein eingekerkerter Engel: ſie haͤngt
mit dem Koͤrper und ſeinen vielfachen Theilen
eben ſo wenig zuſammen, wie der Verbrecher
mit der Stadt in der er gefangen ſitzt; wie
man eben ſo wenig glauben wuͤrde, daß alle
Straßen mit den Thoren und Thuͤrmen umher
bloß fuͤr den Gefangenen angelegt waͤren.

Was kann ich alſo fuͤr meine Seele thun,
die wie ein unaufgeloͤſtes Raͤthſel in mir wohnt?
die dem ſichtbaren Menſchen die groͤßte Will-
kuͤhr laͤßt, weil ſie ihn auf keine Weiſe beherr-
ſchen kann? und wie kann ein Koͤrper gut oder
boͤſe ſeyn? — Er iſt, das iſt ſein Verbrechen
und ſeine Tugend, ſein Daſeyn iſt ſeine Stra-
fe, und ſeine Wohlthat, und wer hat dies nicht
ſchon in ſich ſelber empfunden?

Damit die veraͤchtlichen Maſchinen ſich bruͤ-
ſten koͤnnen, haben ſie Nahmen und Unterſchie-
de wie bunte, klaͤgliche Ordenszeichen erfun-
den; nur der Poͤbel hat die tiefe Achtung vor
dieſen.


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[340/0346] eine Verbindung zwiſchen ihm und dem Geiſte iſt fuͤr unſer Faſſungsvermoͤgen unbegreiflich. Die Seele ſtehet tief hinab in einem dunkeln Hintergrunde und lebt im weiten Gebaͤude fuͤr ſich, wie ein eingekerkerter Engel: ſie haͤngt mit dem Koͤrper und ſeinen vielfachen Theilen eben ſo wenig zuſammen, wie der Verbrecher mit der Stadt in der er gefangen ſitzt; wie man eben ſo wenig glauben wuͤrde, daß alle Straßen mit den Thoren und Thuͤrmen umher bloß fuͤr den Gefangenen angelegt waͤren. Was kann ich alſo fuͤr meine Seele thun, die wie ein unaufgeloͤſtes Raͤthſel in mir wohnt? die dem ſichtbaren Menſchen die groͤßte Will- kuͤhr laͤßt, weil ſie ihn auf keine Weiſe beherr- ſchen kann? und wie kann ein Koͤrper gut oder boͤſe ſeyn? — Er iſt, das iſt ſein Verbrechen und ſeine Tugend, ſein Daſeyn iſt ſeine Stra- fe, und ſeine Wohlthat, und wer hat dies nicht ſchon in ſich ſelber empfunden? Damit die veraͤchtlichen Maſchinen ſich bruͤ- ſten koͤnnen, haben ſie Nahmen und Unterſchie- de wie bunte, klaͤgliche Ordenszeichen erfun- den; nur der Poͤbel hat die tiefe Achtung vor dieſen.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/346>, abgerufen am 22.11.2024.