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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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gend eine andre meiner Schwächen meine Ver-
nunft verblendet?

Alles schmeichelt mir jetzt, selbst die Men-
schen von denen ich weiß, daß sie mich nicht
leiden können und mich verachten. Alle denken,
wenn sie mich erblicken, an mein Vermögen,
und alle Bücklinge und Erniedrigungen gelten
diesem Begriff, der nur auf eine zufällige
Weise mit mir selber zusammengefallen ist. Die-
se Vorstellung von meinem Reichthum beherrscht
alle die Menschen, die in meine Atmosphäre
gerathen, und wohin ich trete, folgt mir diese
Vortreflichkeit nach. Ich kann es also niemand
verargen, wenn er sein Vermögen und seine
Herrschaft über die Gemüther zu vergrößern
sucht, denn dadurch wird er im eigentlichsten
Verstande Regent der Welt. Ein goldner Zau-
berstab bewaffnet seine Hand, der allen gebeut.
Dies ist das einzige, was noch mehr würkt, als
alle möglichen Captationes benevolentiae.

So lange man bey recht vielen Leuten den
Gedanken erzeugen kann, daß man ihnen
wohl nützlich seyn könnte, hat man recht viele
Freunde. Alle sprechen von Aufopferung und
hohen Tugenden, bloß um uns in eine solche

gend eine andre meiner Schwaͤchen meine Ver-
nunft verblendet?

Alles ſchmeichelt mir jetzt, ſelbſt die Men-
ſchen von denen ich weiß, daß ſie mich nicht
leiden koͤnnen und mich verachten. Alle denken,
wenn ſie mich erblicken, an mein Vermoͤgen,
und alle Buͤcklinge und Erniedrigungen gelten
dieſem Begriff, der nur auf eine zufaͤllige
Weiſe mit mir ſelber zuſammengefallen iſt. Die-
ſe Vorſtellung von meinem Reichthum beherrſcht
alle die Menſchen, die in meine Atmosphaͤre
gerathen, und wohin ich trete, folgt mir dieſe
Vortreflichkeit nach. Ich kann es alſo niemand
verargen, wenn er ſein Vermoͤgen und ſeine
Herrſchaft uͤber die Gemuͤther zu vergroͤßern
ſucht, denn dadurch wird er im eigentlichſten
Verſtande Regent der Welt. Ein goldner Zau-
berſtab bewaffnet ſeine Hand, der allen gebeut.
Dies iſt das einzige, was noch mehr wuͤrkt, als
alle moͤglichen Captationes benevolentiae.

So lange man bey recht vielen Leuten den
Gedanken erzeugen kann, daß man ihnen
wohl nuͤtzlich ſeyn koͤnnte, hat man recht viele
Freunde. Alle ſprechen von Aufopferung und
hohen Tugenden, bloß um uns in eine ſolche

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[405/0411] gend eine andre meiner Schwaͤchen meine Ver- nunft verblendet? Alles ſchmeichelt mir jetzt, ſelbſt die Men- ſchen von denen ich weiß, daß ſie mich nicht leiden koͤnnen und mich verachten. Alle denken, wenn ſie mich erblicken, an mein Vermoͤgen, und alle Buͤcklinge und Erniedrigungen gelten dieſem Begriff, der nur auf eine zufaͤllige Weiſe mit mir ſelber zuſammengefallen iſt. Die- ſe Vorſtellung von meinem Reichthum beherrſcht alle die Menſchen, die in meine Atmosphaͤre gerathen, und wohin ich trete, folgt mir dieſe Vortreflichkeit nach. Ich kann es alſo niemand verargen, wenn er ſein Vermoͤgen und ſeine Herrſchaft uͤber die Gemuͤther zu vergroͤßern ſucht, denn dadurch wird er im eigentlichſten Verſtande Regent der Welt. Ein goldner Zau- berſtab bewaffnet ſeine Hand, der allen gebeut. Dies iſt das einzige, was noch mehr wuͤrkt, als alle moͤglichen Captationes benevolentiae. So lange man bey recht vielen Leuten den Gedanken erzeugen kann, daß man ihnen wohl nuͤtzlich ſeyn koͤnnte, hat man recht viele Freunde. Alle ſprechen von Aufopferung und hohen Tugenden, bloß um uns in eine ſolche

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/411>, abgerufen am 21.11.2024.