Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht in seinen Büchern gefunden hat, und im
Grunde bin ich wahnsinnig, weil ich nicht dumm
und phlegmatisch bin. Daß Gewohnheit und
Dummheit die Menschen so wie ein dicker Ne-
bel umgeben kann, aus dem sie nie herauszu-
schreiten vermögen! Lag er nicht von Jugend
auf wie eine Gewitterwolke in mir, die ich mir
selbst mit Armseligkeiten verdeckte und mir log,
ich sei froh? Kündigte sich nicht oft der innerste
dunkle Genius durch einen Ton an, dem ich ei-
gensinnig mein Ohr verstopfte? -- Ich verstel-
le mich nicht mehr und bin wahnsinnig! --
Wie vernünftig die Menschen doch sind!

O ich muß fort, fort, ich will in wilden
Wäldern die Seelen suchen, die mich mehr ver-
stehn, ich will Kinder erziehn, die mit mir sym-
pathisiren: es ist nur nicht Mode so zu denken,
wie ich, weil es nicht einträglich ist.

Ich spiele mit den Menschen, die zu mir
kommen wie mit bunten Bildern. Ich gab mir
neulich die Mühe, mich zu dem dummen Ge-
schwätze meines Arztes herunter zu lassen; wir
sprachen über Stadtneuigkeiten, über Anekdo-
ten, die er ungemein lächerlich fand; ich lieh
ihm meine Zunge zum Dreinklingen und er

nicht in ſeinen Buͤchern gefunden hat, und im
Grunde bin ich wahnſinnig, weil ich nicht dumm
und phlegmatiſch bin. Daß Gewohnheit und
Dummheit die Menſchen ſo wie ein dicker Ne-
bel umgeben kann, aus dem ſie nie herauszu-
ſchreiten vermoͤgen! Lag er nicht von Jugend
auf wie eine Gewitterwolke in mir, die ich mir
ſelbſt mit Armſeligkeiten verdeckte und mir log,
ich ſei froh? Kuͤndigte ſich nicht oft der innerſte
dunkle Genius durch einen Ton an, dem ich ei-
genſinnig mein Ohr verſtopfte? — Ich verſtel-
le mich nicht mehr und bin wahnſinnig!
Wie vernuͤnftig die Menſchen doch ſind!

O ich muß fort, fort, ich will in wilden
Waͤldern die Seelen ſuchen, die mich mehr ver-
ſtehn, ich will Kinder erziehn, die mit mir ſym-
pathiſiren: es iſt nur nicht Mode ſo zu denken,
wie ich, weil es nicht eintraͤglich iſt.

Ich ſpiele mit den Menſchen, die zu mir
kommen wie mit bunten Bildern. Ich gab mir
neulich die Muͤhe, mich zu dem dummen Ge-
ſchwaͤtze meines Arztes herunter zu laſſen; wir
ſprachen uͤber Stadtneuigkeiten, uͤber Anekdo-
ten, die er ungemein laͤcherlich fand; ich lieh
ihm meine Zunge zum Dreinklingen und er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0042" n="36"/>
nicht in &#x017F;einen Bu&#x0364;chern gefunden hat, und im<lb/>
Grunde bin ich wahn&#x017F;innig, weil ich nicht dumm<lb/>
und phlegmati&#x017F;ch bin. Daß Gewohnheit und<lb/>
Dummheit die Men&#x017F;chen &#x017F;o wie ein dicker Ne-<lb/>
bel umgeben kann, aus dem &#x017F;ie nie herauszu-<lb/>
&#x017F;chreiten vermo&#x0364;gen! Lag er nicht von Jugend<lb/>
auf wie eine Gewitterwolke in mir, die ich mir<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t mit Arm&#x017F;eligkeiten verdeckte und mir log,<lb/>
ich &#x017F;ei froh? Ku&#x0364;ndigte &#x017F;ich nicht oft der inner&#x017F;te<lb/>
dunkle Genius durch einen Ton an, dem ich ei-<lb/>
gen&#x017F;innig mein Ohr ver&#x017F;topfte? &#x2014; Ich ver&#x017F;tel-<lb/>
le mich nicht mehr und bin <hi rendition="#g">wahn&#x017F;innig!</hi> &#x2014;<lb/>
Wie <hi rendition="#g">vernu&#x0364;nftig</hi> die Men&#x017F;chen doch &#x017F;ind!</p><lb/>
          <p>O ich muß fort, fort, ich will in wilden<lb/>
Wa&#x0364;ldern die Seelen &#x017F;uchen, die mich mehr ver-<lb/>
&#x017F;tehn, ich will Kinder erziehn, die mit mir &#x017F;ym-<lb/>
pathi&#x017F;iren: es i&#x017F;t nur nicht Mode &#x017F;o zu denken,<lb/>
wie ich, weil es nicht eintra&#x0364;glich i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Ich &#x017F;piele mit den Men&#x017F;chen, die zu mir<lb/>
kommen wie mit bunten Bildern. Ich gab mir<lb/>
neulich die Mu&#x0364;he, mich zu dem dummen Ge-<lb/>
&#x017F;chwa&#x0364;tze meines Arztes herunter zu la&#x017F;&#x017F;en; wir<lb/>
&#x017F;prachen u&#x0364;ber Stadtneuigkeiten, u&#x0364;ber Anekdo-<lb/>
ten, die er ungemein la&#x0364;cherlich fand; ich lieh<lb/>
ihm meine Zunge zum Dreinklingen und er<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0042] nicht in ſeinen Buͤchern gefunden hat, und im Grunde bin ich wahnſinnig, weil ich nicht dumm und phlegmatiſch bin. Daß Gewohnheit und Dummheit die Menſchen ſo wie ein dicker Ne- bel umgeben kann, aus dem ſie nie herauszu- ſchreiten vermoͤgen! Lag er nicht von Jugend auf wie eine Gewitterwolke in mir, die ich mir ſelbſt mit Armſeligkeiten verdeckte und mir log, ich ſei froh? Kuͤndigte ſich nicht oft der innerſte dunkle Genius durch einen Ton an, dem ich ei- genſinnig mein Ohr verſtopfte? — Ich verſtel- le mich nicht mehr und bin wahnſinnig! — Wie vernuͤnftig die Menſchen doch ſind! O ich muß fort, fort, ich will in wilden Waͤldern die Seelen ſuchen, die mich mehr ver- ſtehn, ich will Kinder erziehn, die mit mir ſym- pathiſiren: es iſt nur nicht Mode ſo zu denken, wie ich, weil es nicht eintraͤglich iſt. Ich ſpiele mit den Menſchen, die zu mir kommen wie mit bunten Bildern. Ich gab mir neulich die Muͤhe, mich zu dem dummen Ge- ſchwaͤtze meines Arztes herunter zu laſſen; wir ſprachen uͤber Stadtneuigkeiten, uͤber Anekdo- ten, die er ungemein laͤcherlich fand; ich lieh ihm meine Zunge zum Dreinklingen und er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/42
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/42>, abgerufen am 09.11.2024.