nicht woran. Als ich meinen Vater bemerkte und daran dachte, wie vielen Kummer, wie vie- len Verdruß ich ihm gemacht hätte, mußte ich weinen, daß er jetzt so abgehärmt und jämmer- lich aussah, und verschämt das nackte Gerippe mehr verdeckte als die andern. Sie hörten mich schluchzen und gingen still wie mit bösem Ge- wissen zur Thür hinaus, aber doch so langsam und gesetzt, daß sie glauben mußten, ich hätte sie nicht bemerkt. -- Wenn wir ohne Schau- der unter unsern Möbeln sitzen, warum wollen wir uns denn vor Todtengerippen fürchten? -- Aus dem Gebeine der Thiere arbeiten sich die Menschen Putz heraus, und entsetzen sich vor den näher verwandten Knochen.
Ich durchstrich noch in derselben Mitternacht das todte Gefilde, und rief alle Gespenster her- bei und gab ihnen Gewalt über mich. Ich rief es in alle Winde, aber ich ward nicht gehört. -- Die Klocken schlugen aus der Ferne und spra- chen so langsam und feierlich wie betende Prie- ster, Wälder und Winde sangen Grabgesang, und prophezeiten allem, was da lebt, den unaus- bleiblichen Tod, aber alle Geschöpfe schliefen fest und hörten nichts davon, der Mond sah weinend
nicht woran. Als ich meinen Vater bemerkte und daran dachte, wie vielen Kummer, wie vie- len Verdruß ich ihm gemacht haͤtte, mußte ich weinen, daß er jetzt ſo abgehaͤrmt und jaͤmmer- lich ausſah, und verſchaͤmt das nackte Gerippe mehr verdeckte als die andern. Sie hoͤrten mich ſchluchzen und gingen ſtill wie mit boͤſem Ge- wiſſen zur Thuͤr hinaus, aber doch ſo langſam und geſetzt, daß ſie glauben mußten, ich haͤtte ſie nicht bemerkt. — Wenn wir ohne Schau- der unter unſern Moͤbeln ſitzen, warum wollen wir uns denn vor Todtengerippen fuͤrchten? — Aus dem Gebeine der Thiere arbeiten ſich die Menſchen Putz heraus, und entſetzen ſich vor den naͤher verwandten Knochen.
Ich durchſtrich noch in derſelben Mitternacht das todte Gefilde, und rief alle Geſpenſter her- bei und gab ihnen Gewalt uͤber mich. Ich rief es in alle Winde, aber ich ward nicht gehoͤrt. — Die Klocken ſchlugen aus der Ferne und ſpra- chen ſo langſam und feierlich wie betende Prie- ſter, Waͤlder und Winde ſangen Grabgeſang, und prophezeiten allem, was da lebt, den unaus- bleiblichen Tod, aber alle Geſchoͤpfe ſchliefen feſt und hoͤrten nichts davon, der Mond ſah weinend
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nicht woran. Als ich meinen Vater bemerkte
und daran dachte, wie vielen Kummer, wie vie-
len Verdruß ich ihm gemacht haͤtte, mußte ich
weinen, daß er jetzt ſo abgehaͤrmt und jaͤmmer-
lich ausſah, und verſchaͤmt das nackte Gerippe
mehr verdeckte als die andern. Sie hoͤrten mich
ſchluchzen und gingen ſtill wie mit boͤſem Ge-
wiſſen zur Thuͤr hinaus, aber doch ſo langſam
und geſetzt, daß ſie glauben mußten, ich haͤtte
ſie nicht bemerkt. — Wenn wir ohne Schau-
der unter unſern Moͤbeln ſitzen, warum wollen
wir uns denn vor Todtengerippen fuͤrchten? —
Aus dem Gebeine der Thiere arbeiten ſich die
Menſchen Putz heraus, und entſetzen ſich vor
den naͤher verwandten Knochen.
Ich durchſtrich noch in derſelben Mitternacht
das todte Gefilde, und rief alle Geſpenſter her-
bei und gab ihnen Gewalt uͤber mich. Ich rief
es in alle Winde, aber ich ward nicht gehoͤrt. —
Die Klocken ſchlugen aus der Ferne und ſpra-
chen ſo langſam und feierlich wie betende Prie-
ſter, Waͤlder und Winde ſangen Grabgeſang,
und prophezeiten allem, was da lebt, den unaus-
bleiblichen Tod, aber alle Geſchoͤpfe ſchliefen feſt
und hoͤrten nichts davon, der Mond ſah weinend
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/46>, abgerufen am 23.11.2024.
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