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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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Oft ärgerte ich mich, daß ich noch in Schott-
land war, und machte doch nicht die kleinsten
Anstalten zur Abreise, ich führte mit meinen
Verwandten das elendeste und platteste Leben
von der Welt; ein Viehverkäufer genießt es
auf eine gesundere Art, ja ein Mensch, der mit
einem armseligen Schattenspiel von einem Dor-
fe zum andern wandert und in jedem seine elen-
den Späße wiederholt, beschäftigt sich geistrei-
cher, als ich in dieser ganzen unermeßlichen lan-
gen Zeit gethan habe. Mein Blut war so trä-
ge und phlegmatisch, daß ich manchmal meine
Finger gegen die Tischecke schlug, um mir nur
Schmerz zu machen, mich zu ärgern und zu er-
hitzen, denn nichts ist niedriger, als wenn in der
Sanduhr unsers Körpers so recht gemach ein
Tropfen nach dem andern langsam und zögernd
unser Leben abmißt, je mehr die Ströme des
Bluts durcheinander rauschen, und freilich die
Maschine etwas mehr abnutzen, um so heller und
deutlicher lebt der Mensch. -- Ich wünsche
oft in Glasgow mit Sehnsucht, daß ein Gezänk
oder Schlägerei auf der Gasse vorfallen mögte,
damit ich nur etwas hätte, wofür ich mich in-
teressiren könnte, es ward mir am Ende wichtig,

Oft aͤrgerte ich mich, daß ich noch in Schott-
land war, und machte doch nicht die kleinſten
Anſtalten zur Abreiſe, ich fuͤhrte mit meinen
Verwandten das elendeſte und platteſte Leben
von der Welt; ein Viehverkaͤufer genießt es
auf eine geſundere Art, ja ein Menſch, der mit
einem armſeligen Schattenſpiel von einem Dor-
fe zum andern wandert und in jedem ſeine elen-
den Spaͤße wiederholt, beſchaͤftigt ſich geiſtrei-
cher, als ich in dieſer ganzen unermeßlichen lan-
gen Zeit gethan habe. Mein Blut war ſo traͤ-
ge und phlegmatiſch, daß ich manchmal meine
Finger gegen die Tiſchecke ſchlug, um mir nur
Schmerz zu machen, mich zu aͤrgern und zu er-
hitzen, denn nichts iſt niedriger, als wenn in der
Sanduhr unſers Koͤrpers ſo recht gemach ein
Tropfen nach dem andern langſam und zoͤgernd
unſer Leben abmißt, je mehr die Stroͤme des
Bluts durcheinander rauſchen, und freilich die
Maſchine etwas mehr abnutzen, um ſo heller und
deutlicher lebt der Menſch. — Ich wuͤnſche
oft in Glasgow mit Sehnſucht, daß ein Gezaͤnk
oder Schlaͤgerei auf der Gaſſe vorfallen moͤgte,
damit ich nur etwas haͤtte, wofuͤr ich mich in-
tereſſiren koͤnnte, es ward mir am Ende wichtig,

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[46/0052] Oft aͤrgerte ich mich, daß ich noch in Schott- land war, und machte doch nicht die kleinſten Anſtalten zur Abreiſe, ich fuͤhrte mit meinen Verwandten das elendeſte und platteſte Leben von der Welt; ein Viehverkaͤufer genießt es auf eine geſundere Art, ja ein Menſch, der mit einem armſeligen Schattenſpiel von einem Dor- fe zum andern wandert und in jedem ſeine elen- den Spaͤße wiederholt, beſchaͤftigt ſich geiſtrei- cher, als ich in dieſer ganzen unermeßlichen lan- gen Zeit gethan habe. Mein Blut war ſo traͤ- ge und phlegmatiſch, daß ich manchmal meine Finger gegen die Tiſchecke ſchlug, um mir nur Schmerz zu machen, mich zu aͤrgern und zu er- hitzen, denn nichts iſt niedriger, als wenn in der Sanduhr unſers Koͤrpers ſo recht gemach ein Tropfen nach dem andern langſam und zoͤgernd unſer Leben abmißt, je mehr die Stroͤme des Bluts durcheinander rauſchen, und freilich die Maſchine etwas mehr abnutzen, um ſo heller und deutlicher lebt der Menſch. — Ich wuͤnſche oft in Glasgow mit Sehnſucht, daß ein Gezaͤnk oder Schlaͤgerei auf der Gaſſe vorfallen moͤgte, damit ich nur etwas haͤtte, wofuͤr ich mich in- tereſſiren koͤnnte, es ward mir am Ende wichtig,

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/52>, abgerufen am 21.11.2024.