wenn der dicke Mann im benachbarten Hause einen andern Rock als gewöhnlich trug. Ich schäme mich noch jetzt dieses Lebens, so qualvoll und langsam, so schleichend und doch so ohne Ruhe, wie eine Schnecke leben muß, die bei ih- ren Wanderungen ihr Schaalenhaus verlohren hat, und es im heißen Sonnenschein wiedersucht.
Endlich dacht ich an Dich und an London, an die Zerstreuungen dort, an alle die philosophi- schen Gespräche, die wir miteinander führen könnten: ich unterdrückte es gewaltsam, wenn mir auch diese Aussicht manchmal langweilig vorkommen wollte. Ich entschloß mich kurz, nahm von allen meinen Freunden und Bekann- ten zärtlichen Abschied, setzte mich zu Pferde, und ritt mit frischem Leben erfüllt davon.
Mein Herz schlug immer gewaltiger, je mehr Meilen ich auf Englischem Boden zurücklegte. Ei! dacht ich, ein paar Tage mehr oder weni- ger! und beschloß dicht vor Bonstreet vorüber- zureiten, aber ja niemand da zu besuchen, es könne doch von ohngefähr seyn, daß ich Emilien durch das Gartenthor erblickte. Ich machte gar keinen Plan, wie ich mich nehmen würde, wenn dis der Fall seyn würde, denn ich handle sehr
wenn der dicke Mann im benachbarten Hauſe einen andern Rock als gewoͤhnlich trug. Ich ſchaͤme mich noch jetzt dieſes Lebens, ſo qualvoll und langſam, ſo ſchleichend und doch ſo ohne Ruhe, wie eine Schnecke leben muß, die bei ih- ren Wanderungen ihr Schaalenhaus verlohren hat, und es im heißen Sonnenſchein wiederſucht.
Endlich dacht ich an Dich und an London, an die Zerſtreuungen dort, an alle die philoſophi- ſchen Geſpraͤche, die wir miteinander fuͤhren koͤnnten: ich unterdruͤckte es gewaltſam, wenn mir auch dieſe Ausſicht manchmal langweilig vorkommen wollte. Ich entſchloß mich kurz, nahm von allen meinen Freunden und Bekann- ten zaͤrtlichen Abſchied, ſetzte mich zu Pferde, und ritt mit friſchem Leben erfuͤllt davon.
Mein Herz ſchlug immer gewaltiger, je mehr Meilen ich auf Engliſchem Boden zuruͤcklegte. Ei! dacht ich, ein paar Tage mehr oder weni- ger! und beſchloß dicht vor Bonſtreet voruͤber- zureiten, aber ja niemand da zu beſuchen, es koͤnne doch von ohngefaͤhr ſeyn, daß ich Emilien durch das Gartenthor erblickte. Ich machte gar keinen Plan, wie ich mich nehmen wuͤrde, wenn dis der Fall ſeyn wuͤrde, denn ich handle ſehr
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wenn der dicke Mann im benachbarten Hauſe
einen andern Rock als gewoͤhnlich trug. Ich
ſchaͤme mich noch jetzt dieſes Lebens, ſo qualvoll
und langſam, ſo ſchleichend und doch ſo ohne
Ruhe, wie eine Schnecke leben muß, die bei ih-
ren Wanderungen ihr Schaalenhaus verlohren
hat, und es im heißen Sonnenſchein wiederſucht.
Endlich dacht ich an Dich und an London,
an die Zerſtreuungen dort, an alle die philoſophi-
ſchen Geſpraͤche, die wir miteinander fuͤhren
koͤnnten: ich unterdruͤckte es gewaltſam, wenn
mir auch dieſe Ausſicht manchmal langweilig
vorkommen wollte. Ich entſchloß mich kurz,
nahm von allen meinen Freunden und Bekann-
ten zaͤrtlichen Abſchied, ſetzte mich zu Pferde,
und ritt mit friſchem Leben erfuͤllt davon.
Mein Herz ſchlug immer gewaltiger, je mehr
Meilen ich auf Engliſchem Boden zuruͤcklegte.
Ei! dacht ich, ein paar Tage mehr oder weni-
ger! und beſchloß dicht vor Bonſtreet voruͤber-
zureiten, aber ja niemand da zu beſuchen, es
koͤnne doch von ohngefaͤhr ſeyn, daß ich Emilien
durch das Gartenthor erblickte. Ich machte gar
keinen Plan, wie ich mich nehmen wuͤrde, wenn
dis der Fall ſeyn wuͤrde, denn ich handle ſehr
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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/53>, abgerufen am 21.11.2024.
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